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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Fsässtsch-pfälzische Ueisegtossen.
ii.

Wenig Erfreuliches hat der Leser meinem Briefe entnehmen können. Um
so mehr beeile ich mich, zu gestehen, daß dem deutschen Besucher des Elsaß
doch auch Manches begegnet, was ihn mit aufrichtiger Befriedigung erfüllt.
Straßburg, obwohl unter allen französischen Städten von den Kriegsereig¬
nissen vielleicht am schwersten heimgesucht, hatte in seiner äußeren Physio¬
gnomie schon ein Jahr nach der Beschießung durchaus nicht mehr den Ausdruck
einer allgemeinen Niedergeschlagenheit; die Rolle eines Venedig, welche die
Pariser Regisseure es zwar zu gern hätten spielen lassen, war ihm schlechter¬
dings unmöglich, Was den El'sässern die Widerstandskraft von vornherein
gelähmt hat. das ist eben ihr deutsches Blut. Das zarte Geschlecht Straß-
burgs war im Jahre 1871 einig darüber, daß seine Reize dem Auge des
"brutalen Eroberers" ewig unter der düstern Hülle der Trauer verborgen
bleiben müßten; heute suche Einer, ob er in Straßburg auch nur ein
schwarzes Kleid mehr entdeckt, als in jeder entsprechend großen deutschen
Stadt! Man hat eben die innerliche Lächerlichkeit einer solchen permanenten
..National"-Trauer bald genug herausgefühlt. Oeffentlich zugestehen wird
Man dergleichen freilich niemals. Daß der trotz aller französischen Centrali¬
sation erhalten gebliebene deutsche Grundcharakter des Elsaß die Einverlei¬
bung in Deutschland des häßlichen Beigeschmacks der gewöhnlichen Eroberung
entkleide, ist in dem öffentlichen Raisonnement der Elsässer ein schlechterdings
unmöglicher Gedanke; selbst diejenige Partei, welche sich rückhaltslos und
ehrlich auf den Boden der gegebenen Thatsachen gestellt zu haben behauptet
und von diesem aus für ihr Heimathland eine autonome Stellung bean¬
sprucht, vermeidet ängstlich, auf ein Moment hinzuweisen, ^welches die neue
Provinz noch am ersten geeignet erscheinen lassen könnte, ein selbständiges
Glied des Reichs in der Weise der übrigen deutschen Particularstaaten zu
werden; ihr Preßorgan sucht seine Stärke noch immer darin, seine Leser, statt
sie über die reale Lage, über die praktischen Aufgaben einer verständigen
elsässischen Politik aufzuklären, des Langen und Breiten mit sentimentalen
Klagen über das "verlorene Baterland", ja die "verlorene Nationalität" (!)
Zu haranguiren und dann die nebelhafte Ermahnung daran zu knüpfen, "un¬
ablässig zu kämpfen, um unsere Freiheiten (!) wieder zu erobern". Allein
während der offene Markt wiederhallt von diesen nichtssagenden Decla-
Mationen, geht in der Stille die neue Entwicklung ihren langsamen,
aber sichern Gang. Ein erfreuliches Beispiel davon lieferte der bereits
erwähnte deutsch-österreichische Bienencongreß. An allerlei landwirth.
schaftlichen Festen hat es in den letzten Jahren im Elsaß nicht gefehlt, auch


Grenzboten IV. 1875. 29
Fsässtsch-pfälzische Ueisegtossen.
ii.

Wenig Erfreuliches hat der Leser meinem Briefe entnehmen können. Um
so mehr beeile ich mich, zu gestehen, daß dem deutschen Besucher des Elsaß
doch auch Manches begegnet, was ihn mit aufrichtiger Befriedigung erfüllt.
Straßburg, obwohl unter allen französischen Städten von den Kriegsereig¬
nissen vielleicht am schwersten heimgesucht, hatte in seiner äußeren Physio¬
gnomie schon ein Jahr nach der Beschießung durchaus nicht mehr den Ausdruck
einer allgemeinen Niedergeschlagenheit; die Rolle eines Venedig, welche die
Pariser Regisseure es zwar zu gern hätten spielen lassen, war ihm schlechter¬
dings unmöglich, Was den El'sässern die Widerstandskraft von vornherein
gelähmt hat. das ist eben ihr deutsches Blut. Das zarte Geschlecht Straß-
burgs war im Jahre 1871 einig darüber, daß seine Reize dem Auge des
»brutalen Eroberers" ewig unter der düstern Hülle der Trauer verborgen
bleiben müßten; heute suche Einer, ob er in Straßburg auch nur ein
schwarzes Kleid mehr entdeckt, als in jeder entsprechend großen deutschen
Stadt! Man hat eben die innerliche Lächerlichkeit einer solchen permanenten
..National"-Trauer bald genug herausgefühlt. Oeffentlich zugestehen wird
Man dergleichen freilich niemals. Daß der trotz aller französischen Centrali¬
sation erhalten gebliebene deutsche Grundcharakter des Elsaß die Einverlei¬
bung in Deutschland des häßlichen Beigeschmacks der gewöhnlichen Eroberung
entkleide, ist in dem öffentlichen Raisonnement der Elsässer ein schlechterdings
unmöglicher Gedanke; selbst diejenige Partei, welche sich rückhaltslos und
ehrlich auf den Boden der gegebenen Thatsachen gestellt zu haben behauptet
und von diesem aus für ihr Heimathland eine autonome Stellung bean¬
sprucht, vermeidet ängstlich, auf ein Moment hinzuweisen, ^welches die neue
Provinz noch am ersten geeignet erscheinen lassen könnte, ein selbständiges
Glied des Reichs in der Weise der übrigen deutschen Particularstaaten zu
werden; ihr Preßorgan sucht seine Stärke noch immer darin, seine Leser, statt
sie über die reale Lage, über die praktischen Aufgaben einer verständigen
elsässischen Politik aufzuklären, des Langen und Breiten mit sentimentalen
Klagen über das „verlorene Baterland", ja die „verlorene Nationalität" (!)
Zu haranguiren und dann die nebelhafte Ermahnung daran zu knüpfen, „un¬
ablässig zu kämpfen, um unsere Freiheiten (!) wieder zu erobern". Allein
während der offene Markt wiederhallt von diesen nichtssagenden Decla-
Mationen, geht in der Stille die neue Entwicklung ihren langsamen,
aber sichern Gang. Ein erfreuliches Beispiel davon lieferte der bereits
erwähnte deutsch-österreichische Bienencongreß. An allerlei landwirth.
schaftlichen Festen hat es in den letzten Jahren im Elsaß nicht gefehlt, auch


Grenzboten IV. 1875. 29
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[0229] Fsässtsch-pfälzische Ueisegtossen. ii. Wenig Erfreuliches hat der Leser meinem Briefe entnehmen können. Um so mehr beeile ich mich, zu gestehen, daß dem deutschen Besucher des Elsaß doch auch Manches begegnet, was ihn mit aufrichtiger Befriedigung erfüllt. Straßburg, obwohl unter allen französischen Städten von den Kriegsereig¬ nissen vielleicht am schwersten heimgesucht, hatte in seiner äußeren Physio¬ gnomie schon ein Jahr nach der Beschießung durchaus nicht mehr den Ausdruck einer allgemeinen Niedergeschlagenheit; die Rolle eines Venedig, welche die Pariser Regisseure es zwar zu gern hätten spielen lassen, war ihm schlechter¬ dings unmöglich, Was den El'sässern die Widerstandskraft von vornherein gelähmt hat. das ist eben ihr deutsches Blut. Das zarte Geschlecht Straß- burgs war im Jahre 1871 einig darüber, daß seine Reize dem Auge des »brutalen Eroberers" ewig unter der düstern Hülle der Trauer verborgen bleiben müßten; heute suche Einer, ob er in Straßburg auch nur ein schwarzes Kleid mehr entdeckt, als in jeder entsprechend großen deutschen Stadt! Man hat eben die innerliche Lächerlichkeit einer solchen permanenten ..National"-Trauer bald genug herausgefühlt. Oeffentlich zugestehen wird Man dergleichen freilich niemals. Daß der trotz aller französischen Centrali¬ sation erhalten gebliebene deutsche Grundcharakter des Elsaß die Einverlei¬ bung in Deutschland des häßlichen Beigeschmacks der gewöhnlichen Eroberung entkleide, ist in dem öffentlichen Raisonnement der Elsässer ein schlechterdings unmöglicher Gedanke; selbst diejenige Partei, welche sich rückhaltslos und ehrlich auf den Boden der gegebenen Thatsachen gestellt zu haben behauptet und von diesem aus für ihr Heimathland eine autonome Stellung bean¬ sprucht, vermeidet ängstlich, auf ein Moment hinzuweisen, ^welches die neue Provinz noch am ersten geeignet erscheinen lassen könnte, ein selbständiges Glied des Reichs in der Weise der übrigen deutschen Particularstaaten zu werden; ihr Preßorgan sucht seine Stärke noch immer darin, seine Leser, statt sie über die reale Lage, über die praktischen Aufgaben einer verständigen elsässischen Politik aufzuklären, des Langen und Breiten mit sentimentalen Klagen über das „verlorene Baterland", ja die „verlorene Nationalität" (!) Zu haranguiren und dann die nebelhafte Ermahnung daran zu knüpfen, „un¬ ablässig zu kämpfen, um unsere Freiheiten (!) wieder zu erobern". Allein während der offene Markt wiederhallt von diesen nichtssagenden Decla- Mationen, geht in der Stille die neue Entwicklung ihren langsamen, aber sichern Gang. Ein erfreuliches Beispiel davon lieferte der bereits erwähnte deutsch-österreichische Bienencongreß. An allerlei landwirth. schaftlichen Festen hat es in den letzten Jahren im Elsaß nicht gefehlt, auch Grenzboten IV. 1875. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/229>, abgerufen am 22.07.2024.