Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.Me Aufgabe der religiösen Kunst im Kulturkampfe unserer Zeit. Wie Vielen wohl ist der Gedanke schon aufgestiegen, welche Rolle die Heute bewegen wir uns noch in den Extremen. Der Evangelische fürchtet Me Aufgabe der religiösen Kunst im Kulturkampfe unserer Zeit. Wie Vielen wohl ist der Gedanke schon aufgestiegen, welche Rolle die Heute bewegen wir uns noch in den Extremen. Der Evangelische fürchtet <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133708"/> </div> <div n="1"> <head> Me Aufgabe der religiösen Kunst im Kulturkampfe<lb/> unserer Zeit.</head><lb/> <p xml:id="ID_1349"> Wie Vielen wohl ist der Gedanke schon aufgestiegen, welche Rolle die<lb/> Kunst beim Gottesdienste ausübt? Ich glaube nur Wenigen. Denn die<lb/> große Masse genießt aus Gewohnheit und erkennt erst den Werth, wenn sie<lb/> entbehren soll. Schickt die Katholiken in solche evangelische Kirchen, wo fast<lb/> jeder Zierrath fehlt und die absolute Nüchternheit herrscht, so erkennen sie<lb/> leicht, daß der katholische Cultus Schätze der Kunst besitzt, die zum Herzen<lb/> sprechen, während der evangelische Cultus hauptsächlich auf die Rednergabe<lb/> des Predigers und aus den Gesang der Gemeinde angewiesen ist. Freilich, wenn<lb/> umgekehrt der Evangelische in eine katholische Jesuitenkirche kommt und dort<lb/> die trivialste Darstellung der Heiligen und nur vergoldeten Prunk findet und<lb/> die Kirchenfürsten erblickt mit gold- und silbergestickten' Gewändern, welche<lb/> mit Heiligenbildern überladen sind, so lächelt er ob dieses faschingartigen<lb/> Götzendienstes und ist froh, daß er den Spruch befolgt: „Du sollst Gott im<lb/> Geiste und in der Wahrheit anbeten." Kommt dagegen selbst der nüchternste<lb/> Evangelische in den Kölner-Dom, oder in das Pantheon Roms, so gesteht<lb/> er gern, daß eine solche Gewalt der Kunst in diesen Hallen herrscht, daß auch<lb/> das ungläubigste und verhärtetste Gemüth tief empfindet, in einem Gottes¬<lb/> hause sich zu befinden, wo die Steine reden und ihren Schöpfer preisen. Das<lb/> ist der Zauber der Kunst!</p><lb/> <p xml:id="ID_1350" next="#ID_1351"> Heute bewegen wir uns noch in den Extremen. Der Evangelische fürchtet<lb/> den Aberglauben, der nur zu gern sich an die Bildwerke anhängt, und der<lb/> Katholik fürchtet die Armuth und Nüchternheit, wenn er mit den überlieferten<lb/> Cultusformen, die ja aus der heiligen Urzeit der Völker stammen, bricht-<lb/> Liegt da das Richtige nicht in der Mitte? Können die Katholiken nicht den<lb/> übertriebenen Würden- und Heiligencultus opfern und können die Evan¬<lb/> gelischen nicht zu den gereinigten Symbolen der christlichen Kunst zurückkehren?<lb/> Einsichtsvolle evangelische Prediger und katholische Geistliche bejahen diese<lb/> Frage. Wollen wir jedoch auf der goldenen Mittelstraße uns vereinigen,<lb/> ist zunächst von beiden Seiten die Erkenntniß nothwendig, um was es sich<lb/> handelt? Einige Definitionen kann ich daher mir nicht ersparen, die für die<lb/> Richtigstellung und Lösung der Frage unentbehrlich sind. Keine Frage lautet<lb/> wohl einfacher und wird weniger verstanden und verschiedener beantwortet als<lb/> folgende: „Was ist Kunst?" Man verwechselt mit dem Wesen der Kunst<lb/> die Geschicklichkeit und das Kunststück. Kunst kommt zwar vom Zeitwort<lb/> „Können", ist aber doch unendlich viel mehr, als die Mache, denn sie ist die<lb/> Versinnbildlichung oder Darstellung unserer Empfindungen. Ich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
Me Aufgabe der religiösen Kunst im Kulturkampfe
unserer Zeit.
Wie Vielen wohl ist der Gedanke schon aufgestiegen, welche Rolle die
Kunst beim Gottesdienste ausübt? Ich glaube nur Wenigen. Denn die
große Masse genießt aus Gewohnheit und erkennt erst den Werth, wenn sie
entbehren soll. Schickt die Katholiken in solche evangelische Kirchen, wo fast
jeder Zierrath fehlt und die absolute Nüchternheit herrscht, so erkennen sie
leicht, daß der katholische Cultus Schätze der Kunst besitzt, die zum Herzen
sprechen, während der evangelische Cultus hauptsächlich auf die Rednergabe
des Predigers und aus den Gesang der Gemeinde angewiesen ist. Freilich, wenn
umgekehrt der Evangelische in eine katholische Jesuitenkirche kommt und dort
die trivialste Darstellung der Heiligen und nur vergoldeten Prunk findet und
die Kirchenfürsten erblickt mit gold- und silbergestickten' Gewändern, welche
mit Heiligenbildern überladen sind, so lächelt er ob dieses faschingartigen
Götzendienstes und ist froh, daß er den Spruch befolgt: „Du sollst Gott im
Geiste und in der Wahrheit anbeten." Kommt dagegen selbst der nüchternste
Evangelische in den Kölner-Dom, oder in das Pantheon Roms, so gesteht
er gern, daß eine solche Gewalt der Kunst in diesen Hallen herrscht, daß auch
das ungläubigste und verhärtetste Gemüth tief empfindet, in einem Gottes¬
hause sich zu befinden, wo die Steine reden und ihren Schöpfer preisen. Das
ist der Zauber der Kunst!
Heute bewegen wir uns noch in den Extremen. Der Evangelische fürchtet
den Aberglauben, der nur zu gern sich an die Bildwerke anhängt, und der
Katholik fürchtet die Armuth und Nüchternheit, wenn er mit den überlieferten
Cultusformen, die ja aus der heiligen Urzeit der Völker stammen, bricht-
Liegt da das Richtige nicht in der Mitte? Können die Katholiken nicht den
übertriebenen Würden- und Heiligencultus opfern und können die Evan¬
gelischen nicht zu den gereinigten Symbolen der christlichen Kunst zurückkehren?
Einsichtsvolle evangelische Prediger und katholische Geistliche bejahen diese
Frage. Wollen wir jedoch auf der goldenen Mittelstraße uns vereinigen,
ist zunächst von beiden Seiten die Erkenntniß nothwendig, um was es sich
handelt? Einige Definitionen kann ich daher mir nicht ersparen, die für die
Richtigstellung und Lösung der Frage unentbehrlich sind. Keine Frage lautet
wohl einfacher und wird weniger verstanden und verschiedener beantwortet als
folgende: „Was ist Kunst?" Man verwechselt mit dem Wesen der Kunst
die Geschicklichkeit und das Kunststück. Kunst kommt zwar vom Zeitwort
„Können", ist aber doch unendlich viel mehr, als die Mache, denn sie ist die
Versinnbildlichung oder Darstellung unserer Empfindungen. Ich
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