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Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band.

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In Sachen der finanziellen Lage der Universität Jena

erhielten wir folgende Zuschrift von einem Manne, der sich uns als völlig
unparteiisch bezeichnete:

Jena, September. Der Verfasser der beiden Artikel in Ihrer geehrten
Zeitschrift über die hiesige Universität hat sich insofern einen Anspruch auf
den Dank aller Angehörigen derselben erworben, als er den Regierungen der
sächsischen Herzogthümer, insbesondere denen von Meiningen und Gotha hin¬
sichtlich der Unterhaltung der Universität, so zu sagen, das Gewissen geschärft
hat. Er hat aber gleichwohl dadurch hier eine gewisse Mißstimmung erregt,
daß er die hiesigen Zustände in einem viel zu ungünstigen, der Wirklichkeit
nichts weniger als entsprechenden Lichte Dargestellt hat. Es ist freilich ge¬
gründet, daß die hiesige Universität weniger reich dotirt ist, als die meisten
übrigen Universitäten, und daß namentlich die Gehalte der Docenten wenigstens
sum Theil unverhältnißmäßig gering sind: aber folgt denn daraus, daß noth¬
wendig auch die Leistungen der Universität ungenügend sein müssen? Wir
^unter mehrere Beispiele anführen, daß ihr ausgezeichnete Lehrkräfte trotz
dürftiger Besoldungen treu geblieben sind, und wenn manche Docenten, nach-
^in. sie hier ihren Ruf begründet, auswärtigen Rufen gefolgt sind, dürfte
^ vielleicht zweifelhaft sein, ob nicht gerade Jena aus ihrer frischen, jugent-
^es aufstrebenden Kraft den besten Vortheil gezogen: hat man nicht neuer¬
dings den angeblichen Verfall der Berliner Universität daraus erklären wollen,
^ß dieselbe meist ältere Professoren habe, und worin kann dies anders seinen
^rund haben, als darin, daß eine Berliner Professur wegen der damit ver¬
bundenen äußeren Vortheile für einen akademischen Lehrer die letzte Stufe zu
'idem pflegt? Gewiß, wer nur das Jenaische Lectionsverzeichniß ansieht und
^>n z. B. in der theologischen Facultät die Namen Hase. Lipsius. Pflei-
^er, Schrader, Hilgenfeld, Grimm verzeichnet findet, wird die hiesige Ani-
^sitae nicht mit dem Verfasser "eine langsam hinsiechende" nennen wollen,
^en so wenig aber wird man bei den Studierenden, deren Zahl im letzten
^'wester auf 600 gestiegen, irgend ein Symptom des Siechthums entdecken
°unen. Es herrscht unter ihnen ein frisches reges Leben, und der wissen¬
tliche Sinn, von dem die meisten beseelt sind, zeigt sich unter Anderem
"es darin, daß die nicht zum Brotstudium gehörigen philosophischen und
frischen Collegien. wenn ich nicht irre, hier verhältnißmäßig zahlreicher
^naht werden als auf andern Universitäten.

^ Der Verfasser unserer Artikel will aber selbst nicht, daß dieses Siechthum
r Universität zum Tode führe. Er späht daher nach neuen Lebenssäften für
Mbe aus; wie es scheint, mit geringem Erfolg. Die sächsischen Her-


In Sachen der finanziellen Lage der Universität Jena

erhielten wir folgende Zuschrift von einem Manne, der sich uns als völlig
unparteiisch bezeichnete:

Jena, September. Der Verfasser der beiden Artikel in Ihrer geehrten
Zeitschrift über die hiesige Universität hat sich insofern einen Anspruch auf
den Dank aller Angehörigen derselben erworben, als er den Regierungen der
sächsischen Herzogthümer, insbesondere denen von Meiningen und Gotha hin¬
sichtlich der Unterhaltung der Universität, so zu sagen, das Gewissen geschärft
hat. Er hat aber gleichwohl dadurch hier eine gewisse Mißstimmung erregt,
daß er die hiesigen Zustände in einem viel zu ungünstigen, der Wirklichkeit
nichts weniger als entsprechenden Lichte Dargestellt hat. Es ist freilich ge¬
gründet, daß die hiesige Universität weniger reich dotirt ist, als die meisten
übrigen Universitäten, und daß namentlich die Gehalte der Docenten wenigstens
sum Theil unverhältnißmäßig gering sind: aber folgt denn daraus, daß noth¬
wendig auch die Leistungen der Universität ungenügend sein müssen? Wir
^unter mehrere Beispiele anführen, daß ihr ausgezeichnete Lehrkräfte trotz
dürftiger Besoldungen treu geblieben sind, und wenn manche Docenten, nach-
^in. sie hier ihren Ruf begründet, auswärtigen Rufen gefolgt sind, dürfte
^ vielleicht zweifelhaft sein, ob nicht gerade Jena aus ihrer frischen, jugent-
^es aufstrebenden Kraft den besten Vortheil gezogen: hat man nicht neuer¬
dings den angeblichen Verfall der Berliner Universität daraus erklären wollen,
^ß dieselbe meist ältere Professoren habe, und worin kann dies anders seinen
^rund haben, als darin, daß eine Berliner Professur wegen der damit ver¬
bundenen äußeren Vortheile für einen akademischen Lehrer die letzte Stufe zu
'idem pflegt? Gewiß, wer nur das Jenaische Lectionsverzeichniß ansieht und
^>n z. B. in der theologischen Facultät die Namen Hase. Lipsius. Pflei-
^er, Schrader, Hilgenfeld, Grimm verzeichnet findet, wird die hiesige Ani-
^sitae nicht mit dem Verfasser „eine langsam hinsiechende" nennen wollen,
^en so wenig aber wird man bei den Studierenden, deren Zahl im letzten
^'wester auf 600 gestiegen, irgend ein Symptom des Siechthums entdecken
°unen. Es herrscht unter ihnen ein frisches reges Leben, und der wissen¬
tliche Sinn, von dem die meisten beseelt sind, zeigt sich unter Anderem
"es darin, daß die nicht zum Brotstudium gehörigen philosophischen und
frischen Collegien. wenn ich nicht irre, hier verhältnißmäßig zahlreicher
^naht werden als auf andern Universitäten.

^ Der Verfasser unserer Artikel will aber selbst nicht, daß dieses Siechthum
r Universität zum Tode führe. Er späht daher nach neuen Lebenssäften für
Mbe aus; wie es scheint, mit geringem Erfolg. Die sächsischen Her-


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[0073] In Sachen der finanziellen Lage der Universität Jena erhielten wir folgende Zuschrift von einem Manne, der sich uns als völlig unparteiisch bezeichnete: Jena, September. Der Verfasser der beiden Artikel in Ihrer geehrten Zeitschrift über die hiesige Universität hat sich insofern einen Anspruch auf den Dank aller Angehörigen derselben erworben, als er den Regierungen der sächsischen Herzogthümer, insbesondere denen von Meiningen und Gotha hin¬ sichtlich der Unterhaltung der Universität, so zu sagen, das Gewissen geschärft hat. Er hat aber gleichwohl dadurch hier eine gewisse Mißstimmung erregt, daß er die hiesigen Zustände in einem viel zu ungünstigen, der Wirklichkeit nichts weniger als entsprechenden Lichte Dargestellt hat. Es ist freilich ge¬ gründet, daß die hiesige Universität weniger reich dotirt ist, als die meisten übrigen Universitäten, und daß namentlich die Gehalte der Docenten wenigstens sum Theil unverhältnißmäßig gering sind: aber folgt denn daraus, daß noth¬ wendig auch die Leistungen der Universität ungenügend sein müssen? Wir ^unter mehrere Beispiele anführen, daß ihr ausgezeichnete Lehrkräfte trotz dürftiger Besoldungen treu geblieben sind, und wenn manche Docenten, nach- ^in. sie hier ihren Ruf begründet, auswärtigen Rufen gefolgt sind, dürfte ^ vielleicht zweifelhaft sein, ob nicht gerade Jena aus ihrer frischen, jugent- ^es aufstrebenden Kraft den besten Vortheil gezogen: hat man nicht neuer¬ dings den angeblichen Verfall der Berliner Universität daraus erklären wollen, ^ß dieselbe meist ältere Professoren habe, und worin kann dies anders seinen ^rund haben, als darin, daß eine Berliner Professur wegen der damit ver¬ bundenen äußeren Vortheile für einen akademischen Lehrer die letzte Stufe zu 'idem pflegt? Gewiß, wer nur das Jenaische Lectionsverzeichniß ansieht und ^>n z. B. in der theologischen Facultät die Namen Hase. Lipsius. Pflei- ^er, Schrader, Hilgenfeld, Grimm verzeichnet findet, wird die hiesige Ani- ^sitae nicht mit dem Verfasser „eine langsam hinsiechende" nennen wollen, ^en so wenig aber wird man bei den Studierenden, deren Zahl im letzten ^'wester auf 600 gestiegen, irgend ein Symptom des Siechthums entdecken °unen. Es herrscht unter ihnen ein frisches reges Leben, und der wissen¬ tliche Sinn, von dem die meisten beseelt sind, zeigt sich unter Anderem "es darin, daß die nicht zum Brotstudium gehörigen philosophischen und frischen Collegien. wenn ich nicht irre, hier verhältnißmäßig zahlreicher ^naht werden als auf andern Universitäten. ^ Der Verfasser unserer Artikel will aber selbst nicht, daß dieses Siechthum r Universität zum Tode führe. Er späht daher nach neuen Lebenssäften für Mbe aus; wie es scheint, mit geringem Erfolg. Die sächsischen Her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359154/73>, abgerufen am 28.12.2024.