Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Mus VI. und die Franzosen.
(Schluß.)
Von S. Sugenheim.

Obwohl Pius VI. jetzt sich beeilte, diesen für ihn noch weit nachtheiligeren
Vertrag schon vier Tage nach seinem Abschlüsse (23. Febr.) zu ratifieiren,
erlangte er dadurch doch nicht die so sehr ersehnte Ruhe vor den bösen Re¬
publikanern. Nachdem Spedalieri's Buch Italiens Bevölkerungen den neuen
revolutionären Ideen und Lehren nur noch zugänglicher gemacht, fielen die
süßen bestechenden Worte Bonaparte's von beabsichtigter Wiederherstellung
ihrer alten republikanischen Freiheit schon gleich bei seinem Erscheinen im
Kirchenstaate auf einen überaus empfänglichen Boden, am frühesten in Bo¬
logna, der zweiten Stadt desselben, aber auch in den andern Städten
Aemiliens, zumal in Ferrara, Reggio und Moden". Denn alle, auch die
lombardischen, waren leichtgläubig genug, zu wähnen, daß die französischen
Siege die Wiederkehr der guten alten republikanischen Zeiten verhießen, daß
"auf so viele Jahrhunderte grausamer Sklaverei jetzt eine unerwartete Glück¬
seligkeit folgen werde." So entstanden die cispadanische Republik (27. Decbr.
1796) und kurz darauf (8. Jan. 1797), durch Nachäffung der Mailänder und
anderer Lombarden, die transpadanische noch vor dem erwähnten entscheiden¬
den Triumphe Bonaparte's, der bald nach demselben aus beiden und der
Romagna die cisalpinische Republik bildete. Bei deren feierlicher Installation
zu Mailand (9. Juli 1797) drängten auch Priester sich auf die Rednerstühle,
in pompösen Reden die französische Großmuth preisend; einer dieser Geistlichen
verstieg sich sogar so weit, den Freiheitsbaum mit dem Kreuze Jesu zu ver¬
gleichen. *)

Die Rückwirkung dieser Vorgänge auf die ^o leicht entzündlichen Be¬
wohner der Siebenhügelstadt ließ um so weniger lange auf sich warten, da
das Direktorium und Bonaparte längst auch diese zu insurgiren beschlossen
hatten, und andere Städte des Kirchenstaates jenen mit schlimmem Beispiel
vorangingen. Unterstützt von dem französischen Kommandanten ihrer Cita¬
delle hatten die Anconitaner sich für immer vom apostolischen Stuhle losge¬
sagt, als selbständige Republik (19. Nov. 1797) constituirt und mit Hülfe
ihrer cisalpinischen Schwester auch die noch päpstlichen Städte Sinigaglia und
Pesaro (Decbr.) revolutionirt. Um dem Abfalle der übrigen vorzubeugen,
verfiel Pius VI., trotz der mit dem Buche Spedalieri's bereits gemachten Er¬
fahrung, auf das sonderbare Auskunftsmittel, die Lehren desselben durch
einen der einflußreichsten und geachtetsten Prälaten des Kirchenstaates, den



-) Ruth. Gesch. des ltalien. Volkes unter der napoleonischen Herrschaft S. 33 (Leipz. 18SS).
Mus VI. und die Franzosen.
(Schluß.)
Von S. Sugenheim.

Obwohl Pius VI. jetzt sich beeilte, diesen für ihn noch weit nachtheiligeren
Vertrag schon vier Tage nach seinem Abschlüsse (23. Febr.) zu ratifieiren,
erlangte er dadurch doch nicht die so sehr ersehnte Ruhe vor den bösen Re¬
publikanern. Nachdem Spedalieri's Buch Italiens Bevölkerungen den neuen
revolutionären Ideen und Lehren nur noch zugänglicher gemacht, fielen die
süßen bestechenden Worte Bonaparte's von beabsichtigter Wiederherstellung
ihrer alten republikanischen Freiheit schon gleich bei seinem Erscheinen im
Kirchenstaate auf einen überaus empfänglichen Boden, am frühesten in Bo¬
logna, der zweiten Stadt desselben, aber auch in den andern Städten
Aemiliens, zumal in Ferrara, Reggio und Moden«. Denn alle, auch die
lombardischen, waren leichtgläubig genug, zu wähnen, daß die französischen
Siege die Wiederkehr der guten alten republikanischen Zeiten verhießen, daß
„auf so viele Jahrhunderte grausamer Sklaverei jetzt eine unerwartete Glück¬
seligkeit folgen werde." So entstanden die cispadanische Republik (27. Decbr.
1796) und kurz darauf (8. Jan. 1797), durch Nachäffung der Mailänder und
anderer Lombarden, die transpadanische noch vor dem erwähnten entscheiden¬
den Triumphe Bonaparte's, der bald nach demselben aus beiden und der
Romagna die cisalpinische Republik bildete. Bei deren feierlicher Installation
zu Mailand (9. Juli 1797) drängten auch Priester sich auf die Rednerstühle,
in pompösen Reden die französische Großmuth preisend; einer dieser Geistlichen
verstieg sich sogar so weit, den Freiheitsbaum mit dem Kreuze Jesu zu ver¬
gleichen. *)

Die Rückwirkung dieser Vorgänge auf die ^o leicht entzündlichen Be¬
wohner der Siebenhügelstadt ließ um so weniger lange auf sich warten, da
das Direktorium und Bonaparte längst auch diese zu insurgiren beschlossen
hatten, und andere Städte des Kirchenstaates jenen mit schlimmem Beispiel
vorangingen. Unterstützt von dem französischen Kommandanten ihrer Cita¬
delle hatten die Anconitaner sich für immer vom apostolischen Stuhle losge¬
sagt, als selbständige Republik (19. Nov. 1797) constituirt und mit Hülfe
ihrer cisalpinischen Schwester auch die noch päpstlichen Städte Sinigaglia und
Pesaro (Decbr.) revolutionirt. Um dem Abfalle der übrigen vorzubeugen,
verfiel Pius VI., trotz der mit dem Buche Spedalieri's bereits gemachten Er¬
fahrung, auf das sonderbare Auskunftsmittel, die Lehren desselben durch
einen der einflußreichsten und geachtetsten Prälaten des Kirchenstaates, den



-) Ruth. Gesch. des ltalien. Volkes unter der napoleonischen Herrschaft S. 33 (Leipz. 18SS).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0426" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/132120"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mus VI. und die Franzosen.<lb/>
(Schluß.)<lb/><note type="byline"> Von S. Sugenheim.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1475"> Obwohl Pius VI. jetzt sich beeilte, diesen für ihn noch weit nachtheiligeren<lb/>
Vertrag schon vier Tage nach seinem Abschlüsse (23. Febr.) zu ratifieiren,<lb/>
erlangte er dadurch doch nicht die so sehr ersehnte Ruhe vor den bösen Re¬<lb/>
publikanern. Nachdem Spedalieri's Buch Italiens Bevölkerungen den neuen<lb/>
revolutionären Ideen und Lehren nur noch zugänglicher gemacht, fielen die<lb/>
süßen bestechenden Worte Bonaparte's von beabsichtigter Wiederherstellung<lb/>
ihrer alten republikanischen Freiheit schon gleich bei seinem Erscheinen im<lb/>
Kirchenstaate auf einen überaus empfänglichen Boden, am frühesten in Bo¬<lb/>
logna, der zweiten Stadt desselben, aber auch in den andern Städten<lb/>
Aemiliens, zumal in Ferrara, Reggio und Moden«. Denn alle, auch die<lb/>
lombardischen, waren leichtgläubig genug, zu wähnen, daß die französischen<lb/>
Siege die Wiederkehr der guten alten republikanischen Zeiten verhießen, daß<lb/>
&#x201E;auf so viele Jahrhunderte grausamer Sklaverei jetzt eine unerwartete Glück¬<lb/>
seligkeit folgen werde." So entstanden die cispadanische Republik (27. Decbr.<lb/>
1796) und kurz darauf (8. Jan. 1797), durch Nachäffung der Mailänder und<lb/>
anderer Lombarden, die transpadanische noch vor dem erwähnten entscheiden¬<lb/>
den Triumphe Bonaparte's, der bald nach demselben aus beiden und der<lb/>
Romagna die cisalpinische Republik bildete. Bei deren feierlicher Installation<lb/>
zu Mailand (9. Juli 1797) drängten auch Priester sich auf die Rednerstühle,<lb/>
in pompösen Reden die französische Großmuth preisend; einer dieser Geistlichen<lb/>
verstieg sich sogar so weit, den Freiheitsbaum mit dem Kreuze Jesu zu ver¬<lb/>
gleichen. *)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1476" next="#ID_1477"> Die Rückwirkung dieser Vorgänge auf die ^o leicht entzündlichen Be¬<lb/>
wohner der Siebenhügelstadt ließ um so weniger lange auf sich warten, da<lb/>
das Direktorium und Bonaparte längst auch diese zu insurgiren beschlossen<lb/>
hatten, und andere Städte des Kirchenstaates jenen mit schlimmem Beispiel<lb/>
vorangingen. Unterstützt von dem französischen Kommandanten ihrer Cita¬<lb/>
delle hatten die Anconitaner sich für immer vom apostolischen Stuhle losge¬<lb/>
sagt, als selbständige Republik (19. Nov. 1797) constituirt und mit Hülfe<lb/>
ihrer cisalpinischen Schwester auch die noch päpstlichen Städte Sinigaglia und<lb/>
Pesaro (Decbr.) revolutionirt. Um dem Abfalle der übrigen vorzubeugen,<lb/>
verfiel Pius VI., trotz der mit dem Buche Spedalieri's bereits gemachten Er¬<lb/>
fahrung, auf das sonderbare Auskunftsmittel, die Lehren desselben durch<lb/>
einen der einflußreichsten und geachtetsten Prälaten des Kirchenstaates, den</p><lb/>
          <note xml:id="FID_182" place="foot"> -) Ruth. Gesch. des ltalien. Volkes unter der napoleonischen Herrschaft S. 33 (Leipz. 18SS).</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0426] Mus VI. und die Franzosen. (Schluß.) Von S. Sugenheim. Obwohl Pius VI. jetzt sich beeilte, diesen für ihn noch weit nachtheiligeren Vertrag schon vier Tage nach seinem Abschlüsse (23. Febr.) zu ratifieiren, erlangte er dadurch doch nicht die so sehr ersehnte Ruhe vor den bösen Re¬ publikanern. Nachdem Spedalieri's Buch Italiens Bevölkerungen den neuen revolutionären Ideen und Lehren nur noch zugänglicher gemacht, fielen die süßen bestechenden Worte Bonaparte's von beabsichtigter Wiederherstellung ihrer alten republikanischen Freiheit schon gleich bei seinem Erscheinen im Kirchenstaate auf einen überaus empfänglichen Boden, am frühesten in Bo¬ logna, der zweiten Stadt desselben, aber auch in den andern Städten Aemiliens, zumal in Ferrara, Reggio und Moden«. Denn alle, auch die lombardischen, waren leichtgläubig genug, zu wähnen, daß die französischen Siege die Wiederkehr der guten alten republikanischen Zeiten verhießen, daß „auf so viele Jahrhunderte grausamer Sklaverei jetzt eine unerwartete Glück¬ seligkeit folgen werde." So entstanden die cispadanische Republik (27. Decbr. 1796) und kurz darauf (8. Jan. 1797), durch Nachäffung der Mailänder und anderer Lombarden, die transpadanische noch vor dem erwähnten entscheiden¬ den Triumphe Bonaparte's, der bald nach demselben aus beiden und der Romagna die cisalpinische Republik bildete. Bei deren feierlicher Installation zu Mailand (9. Juli 1797) drängten auch Priester sich auf die Rednerstühle, in pompösen Reden die französische Großmuth preisend; einer dieser Geistlichen verstieg sich sogar so weit, den Freiheitsbaum mit dem Kreuze Jesu zu ver¬ gleichen. *) Die Rückwirkung dieser Vorgänge auf die ^o leicht entzündlichen Be¬ wohner der Siebenhügelstadt ließ um so weniger lange auf sich warten, da das Direktorium und Bonaparte längst auch diese zu insurgiren beschlossen hatten, und andere Städte des Kirchenstaates jenen mit schlimmem Beispiel vorangingen. Unterstützt von dem französischen Kommandanten ihrer Cita¬ delle hatten die Anconitaner sich für immer vom apostolischen Stuhle losge¬ sagt, als selbständige Republik (19. Nov. 1797) constituirt und mit Hülfe ihrer cisalpinischen Schwester auch die noch päpstlichen Städte Sinigaglia und Pesaro (Decbr.) revolutionirt. Um dem Abfalle der übrigen vorzubeugen, verfiel Pius VI., trotz der mit dem Buche Spedalieri's bereits gemachten Er¬ fahrung, auf das sonderbare Auskunftsmittel, die Lehren desselben durch einen der einflußreichsten und geachtetsten Prälaten des Kirchenstaates, den -) Ruth. Gesch. des ltalien. Volkes unter der napoleonischen Herrschaft S. 33 (Leipz. 18SS).

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/426
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 33, 1874, II. Semester, I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341819_359152/426>, abgerufen am 22.07.2024.