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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Ile Malertechnik und Kunstübung alter Meister.

Es ist eine bekannte und erklärliche Neigung des kunstliebenden Pub¬
likums, den Künstler nicht allein auf den Ausstellungen und in seinen Wer¬
ken, sondern auch, wenn's geht, im Atelier kennen zu lernen. Der Künstler
erzählt in seinen Historien-, Genre- und Stimmungsbildern so Manches und
Interessantes, läßt aber noch mehr ahnen und errathen. Da ergeht es dem
Beschauer unwillkürlich wie dem Kinde, das am Ende der Geschichte erwar¬
tungsvoll spricht: Und nun weiter? Außerdem gewährt ja das schaffen-und
entstehen-sehen an sich Vergnügen; außerdem, wer hat nicht die kleine Eitelkeit, sich
in der Umgebung dieses oder jenes berühmten Künstlers gern sehen zu lassen;
außerdem wer ist nicht ein wenig Dilettant und hofft dem schaffenden Mei¬
ster seine Geheimnisse abzulauschen, oder wer hält sich nicht für sehr gefördert,
wenn er Spachtel, Firnis und Farben derselben Etikette bezieht wie der oder
der bekannte Mann. So wirft man denn gern einen Blick auf die Mappen.
Studien. Cartons und den übrigen Apparat, der das Atelier eines Künstlers
füllt; wie man auch neugierig ist. hinter die Coulissen des Theaters oder in
die Proben des Musikers zu schauen.

Dieser Neigung wollen ja auch die in Zeitschriften so beliebten bio¬
graphischen Mittheilungen aus dem Künstlerleben, Portraits. Abbildungen der
Maler und Bildhauer in ihren Ateliers Rechnung tragen. Sie wollen dem
Beschauer den Künstler und die Kunstübung näher führen.

Nicht minder groß, wenn auch schwerer zu befriedigen, da dem kunst- und
kulturhistorischen noch näherliegend ist das Interesse, ähnliches auch von Künst¬
lern und Kunstwerken vergangener Zeiten zu erfahren. Wie lebten sie? Wie
sah es bei ihnen aus? Wie malten sie? Was für Farben? Welche Tech¬
nik? Welche Preise? Welche Bestellungen? Das sind Fragen, die sich dem
Beschauer alter Kunstwerke schon von selbst aufdrängen.

Klärlich wird diesem Interesse nicht durch alte und neue Kunsthistörchen
und Phantasiegemälde Genüge gethan. Es ist Niemandem zuzumuthen, den
bekannten Atelierbildern alter Zeiten, die sich durch colossale Oelflaschen, Reib¬
schalen. Farbenblasen, unmögliche Architektur und frei componirte Tracht aus¬
zeichnen, Glauben zu schenken.


Grenzboten 1873. 111. 41
Ile Malertechnik und Kunstübung alter Meister.

Es ist eine bekannte und erklärliche Neigung des kunstliebenden Pub¬
likums, den Künstler nicht allein auf den Ausstellungen und in seinen Wer¬
ken, sondern auch, wenn's geht, im Atelier kennen zu lernen. Der Künstler
erzählt in seinen Historien-, Genre- und Stimmungsbildern so Manches und
Interessantes, läßt aber noch mehr ahnen und errathen. Da ergeht es dem
Beschauer unwillkürlich wie dem Kinde, das am Ende der Geschichte erwar¬
tungsvoll spricht: Und nun weiter? Außerdem gewährt ja das schaffen-und
entstehen-sehen an sich Vergnügen; außerdem, wer hat nicht die kleine Eitelkeit, sich
in der Umgebung dieses oder jenes berühmten Künstlers gern sehen zu lassen;
außerdem wer ist nicht ein wenig Dilettant und hofft dem schaffenden Mei¬
ster seine Geheimnisse abzulauschen, oder wer hält sich nicht für sehr gefördert,
wenn er Spachtel, Firnis und Farben derselben Etikette bezieht wie der oder
der bekannte Mann. So wirft man denn gern einen Blick auf die Mappen.
Studien. Cartons und den übrigen Apparat, der das Atelier eines Künstlers
füllt; wie man auch neugierig ist. hinter die Coulissen des Theaters oder in
die Proben des Musikers zu schauen.

Dieser Neigung wollen ja auch die in Zeitschriften so beliebten bio¬
graphischen Mittheilungen aus dem Künstlerleben, Portraits. Abbildungen der
Maler und Bildhauer in ihren Ateliers Rechnung tragen. Sie wollen dem
Beschauer den Künstler und die Kunstübung näher führen.

Nicht minder groß, wenn auch schwerer zu befriedigen, da dem kunst- und
kulturhistorischen noch näherliegend ist das Interesse, ähnliches auch von Künst¬
lern und Kunstwerken vergangener Zeiten zu erfahren. Wie lebten sie? Wie
sah es bei ihnen aus? Wie malten sie? Was für Farben? Welche Tech¬
nik? Welche Preise? Welche Bestellungen? Das sind Fragen, die sich dem
Beschauer alter Kunstwerke schon von selbst aufdrängen.

Klärlich wird diesem Interesse nicht durch alte und neue Kunsthistörchen
und Phantasiegemälde Genüge gethan. Es ist Niemandem zuzumuthen, den
bekannten Atelierbildern alter Zeiten, die sich durch colossale Oelflaschen, Reib¬
schalen. Farbenblasen, unmögliche Architektur und frei componirte Tracht aus¬
zeichnen, Glauben zu schenken.


Grenzboten 1873. 111. 41
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[0329] Ile Malertechnik und Kunstübung alter Meister. Es ist eine bekannte und erklärliche Neigung des kunstliebenden Pub¬ likums, den Künstler nicht allein auf den Ausstellungen und in seinen Wer¬ ken, sondern auch, wenn's geht, im Atelier kennen zu lernen. Der Künstler erzählt in seinen Historien-, Genre- und Stimmungsbildern so Manches und Interessantes, läßt aber noch mehr ahnen und errathen. Da ergeht es dem Beschauer unwillkürlich wie dem Kinde, das am Ende der Geschichte erwar¬ tungsvoll spricht: Und nun weiter? Außerdem gewährt ja das schaffen-und entstehen-sehen an sich Vergnügen; außerdem, wer hat nicht die kleine Eitelkeit, sich in der Umgebung dieses oder jenes berühmten Künstlers gern sehen zu lassen; außerdem wer ist nicht ein wenig Dilettant und hofft dem schaffenden Mei¬ ster seine Geheimnisse abzulauschen, oder wer hält sich nicht für sehr gefördert, wenn er Spachtel, Firnis und Farben derselben Etikette bezieht wie der oder der bekannte Mann. So wirft man denn gern einen Blick auf die Mappen. Studien. Cartons und den übrigen Apparat, der das Atelier eines Künstlers füllt; wie man auch neugierig ist. hinter die Coulissen des Theaters oder in die Proben des Musikers zu schauen. Dieser Neigung wollen ja auch die in Zeitschriften so beliebten bio¬ graphischen Mittheilungen aus dem Künstlerleben, Portraits. Abbildungen der Maler und Bildhauer in ihren Ateliers Rechnung tragen. Sie wollen dem Beschauer den Künstler und die Kunstübung näher führen. Nicht minder groß, wenn auch schwerer zu befriedigen, da dem kunst- und kulturhistorischen noch näherliegend ist das Interesse, ähnliches auch von Künst¬ lern und Kunstwerken vergangener Zeiten zu erfahren. Wie lebten sie? Wie sah es bei ihnen aus? Wie malten sie? Was für Farben? Welche Tech¬ nik? Welche Preise? Welche Bestellungen? Das sind Fragen, die sich dem Beschauer alter Kunstwerke schon von selbst aufdrängen. Klärlich wird diesem Interesse nicht durch alte und neue Kunsthistörchen und Phantasiegemälde Genüge gethan. Es ist Niemandem zuzumuthen, den bekannten Atelierbildern alter Zeiten, die sich durch colossale Oelflaschen, Reib¬ schalen. Farbenblasen, unmögliche Architektur und frei componirte Tracht aus¬ zeichnen, Glauben zu schenken. Grenzboten 1873. 111. 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/329>, abgerufen am 05.02.2025.