Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zu. Sie ließ die Jesuiten trotz Art. 15 des Kirchengesetzes im ganzen Lande
gewähren, so lange sie nur kein Haus auf ihren eigenen Namen in die Grund¬
bücher eintragen ließen: um wie viel mehr die marianische Congregation. Der
Scandal der Stuttgarter Jesuitenmission ist heute noch in Aller Erinnerung.
Kann man wohl auch künftighin die Reichsgesetzgebung in gleicher Weise
ignoriren? Könnte nicht auf diesem Wege das Ministerium auch einmal in
die Lage kommen, den Ultramontanen unangenehm zu werden? Man erzählt
sich, daß jenes unerhörte Votum zu Gunsten der marianischen Congregation
mit Hülfe der speciellen Einwirkung des Grafen Rechberg und des ihm ganz
". ergebenen Bischofs Hesele durchgesetzt worden sei.




Line deutsche Volksausgabe von Andersen's Werken.

In einer deutschen Stadt tritt eine junge Dame in die Buchhandlung
und verlangt Tegner's Frithjof-Sage, ruft aber, nachdem sie den Preis
gehört, verwundert aus: "Ich denke, die deutschen Classiker sind billiger
geworden?" Wir wollen ununtersucht lassen, ob die junge Schöne nicht vielleicht
zu einer literarischen Internationale zählt, die in allen Völkern Stammes¬
brüder, in allen Schriftstellern Classiker sieht, gewiß aber ist, daß ihre Re-
gistrirung auf Tegner's skandinavischen Landsmann, auf H. C. Andersen mit
bessern: Rechte anzuwenden wäre. Durch die von ihm selbst geleitete deutsche
Ausgabe seiner Werke ist er der. unsere geworden, und ist es um so mehr,
als, mögen auch die politischen Sympathien des Dänen den Deutschen ent¬
gegengesetzte sein, der Geist, der aus seinen Schriften spricht, seine An¬
schauungen, sein Fühlen und Denken dem unsern so innig verwandt erscheinen,
daß wir, wenn wir ihn lesen, vergessen, daß ein Ausländer zu uns spricht,
denn er ist unser, und einer unsrer Besten.

Ist auch dies Annexion? Die böse Annexion, in der das schlimme
Deutschland so entsetzliche Fortschritte macht? Nein, er hat sich uns ja selbst
gegeben, und wir haben mit Freuden diese Gabe acceptirt. Seht nur unsre
deutschen Kinder an, wenn sie mit leuchtenden Augen ein Andersen'sches
Märchen anhören, und seht die großen Erzählenden an, mit welchem Behagen
sie sich in die Ideenwelt des Dichters versenken. Die Märchen fehlen kaum
in einem deutschen Haus, die Romane von Andersen aber sind, nachdem
sie vor Jahren freudiges Aufsehen erregt, vom großen Publikum zurückgelegt
worden, und doch entfaltet sich gerade in diesen sein Talent reicher und eigen¬
artiger noch als in den Märchen. In der alten Jnselstadt Odense hat er
zuerst die Augen aufgethan, aber während ganz Europa unter den schweren
Tritten von Napoleon's Kriegsschaaren zitterte, während Kanonendonner,


zu. Sie ließ die Jesuiten trotz Art. 15 des Kirchengesetzes im ganzen Lande
gewähren, so lange sie nur kein Haus auf ihren eigenen Namen in die Grund¬
bücher eintragen ließen: um wie viel mehr die marianische Congregation. Der
Scandal der Stuttgarter Jesuitenmission ist heute noch in Aller Erinnerung.
Kann man wohl auch künftighin die Reichsgesetzgebung in gleicher Weise
ignoriren? Könnte nicht auf diesem Wege das Ministerium auch einmal in
die Lage kommen, den Ultramontanen unangenehm zu werden? Man erzählt
sich, daß jenes unerhörte Votum zu Gunsten der marianischen Congregation
mit Hülfe der speciellen Einwirkung des Grafen Rechberg und des ihm ganz
«. ergebenen Bischofs Hesele durchgesetzt worden sei.




Line deutsche Volksausgabe von Andersen's Werken.

In einer deutschen Stadt tritt eine junge Dame in die Buchhandlung
und verlangt Tegner's Frithjof-Sage, ruft aber, nachdem sie den Preis
gehört, verwundert aus: „Ich denke, die deutschen Classiker sind billiger
geworden?" Wir wollen ununtersucht lassen, ob die junge Schöne nicht vielleicht
zu einer literarischen Internationale zählt, die in allen Völkern Stammes¬
brüder, in allen Schriftstellern Classiker sieht, gewiß aber ist, daß ihre Re-
gistrirung auf Tegner's skandinavischen Landsmann, auf H. C. Andersen mit
bessern: Rechte anzuwenden wäre. Durch die von ihm selbst geleitete deutsche
Ausgabe seiner Werke ist er der. unsere geworden, und ist es um so mehr,
als, mögen auch die politischen Sympathien des Dänen den Deutschen ent¬
gegengesetzte sein, der Geist, der aus seinen Schriften spricht, seine An¬
schauungen, sein Fühlen und Denken dem unsern so innig verwandt erscheinen,
daß wir, wenn wir ihn lesen, vergessen, daß ein Ausländer zu uns spricht,
denn er ist unser, und einer unsrer Besten.

Ist auch dies Annexion? Die böse Annexion, in der das schlimme
Deutschland so entsetzliche Fortschritte macht? Nein, er hat sich uns ja selbst
gegeben, und wir haben mit Freuden diese Gabe acceptirt. Seht nur unsre
deutschen Kinder an, wenn sie mit leuchtenden Augen ein Andersen'sches
Märchen anhören, und seht die großen Erzählenden an, mit welchem Behagen
sie sich in die Ideenwelt des Dichters versenken. Die Märchen fehlen kaum
in einem deutschen Haus, die Romane von Andersen aber sind, nachdem
sie vor Jahren freudiges Aufsehen erregt, vom großen Publikum zurückgelegt
worden, und doch entfaltet sich gerade in diesen sein Talent reicher und eigen¬
artiger noch als in den Märchen. In der alten Jnselstadt Odense hat er
zuerst die Augen aufgethan, aber während ganz Europa unter den schweren
Tritten von Napoleon's Kriegsschaaren zitterte, während Kanonendonner,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192929"/>
          <p xml:id="ID_375" prev="#ID_374"> zu. Sie ließ die Jesuiten trotz Art. 15 des Kirchengesetzes im ganzen Lande<lb/>
gewähren, so lange sie nur kein Haus auf ihren eigenen Namen in die Grund¬<lb/>
bücher eintragen ließen: um wie viel mehr die marianische Congregation. Der<lb/>
Scandal der Stuttgarter Jesuitenmission ist heute noch in Aller Erinnerung.<lb/>
Kann man wohl auch künftighin die Reichsgesetzgebung in gleicher Weise<lb/>
ignoriren? Könnte nicht auf diesem Wege das Ministerium auch einmal in<lb/>
die Lage kommen, den Ultramontanen unangenehm zu werden? Man erzählt<lb/>
sich, daß jenes unerhörte Votum zu Gunsten der marianischen Congregation<lb/>
mit Hülfe der speciellen Einwirkung des Grafen Rechberg und des ihm ganz<lb/><note type="byline"> «.</note> ergebenen Bischofs Hesele durchgesetzt worden sei. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Line deutsche Volksausgabe von Andersen's Werken.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_376"> In einer deutschen Stadt tritt eine junge Dame in die Buchhandlung<lb/>
und verlangt Tegner's Frithjof-Sage, ruft aber, nachdem sie den Preis<lb/>
gehört, verwundert aus: &#x201E;Ich denke, die deutschen Classiker sind billiger<lb/>
geworden?" Wir wollen ununtersucht lassen, ob die junge Schöne nicht vielleicht<lb/>
zu einer literarischen Internationale zählt, die in allen Völkern Stammes¬<lb/>
brüder, in allen Schriftstellern Classiker sieht, gewiß aber ist, daß ihre Re-<lb/>
gistrirung auf Tegner's skandinavischen Landsmann, auf H. C. Andersen mit<lb/>
bessern: Rechte anzuwenden wäre. Durch die von ihm selbst geleitete deutsche<lb/>
Ausgabe seiner Werke ist er der. unsere geworden, und ist es um so mehr,<lb/>
als, mögen auch die politischen Sympathien des Dänen den Deutschen ent¬<lb/>
gegengesetzte sein, der Geist, der aus seinen Schriften spricht, seine An¬<lb/>
schauungen, sein Fühlen und Denken dem unsern so innig verwandt erscheinen,<lb/>
daß wir, wenn wir ihn lesen, vergessen, daß ein Ausländer zu uns spricht,<lb/>
denn er ist unser, und einer unsrer Besten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_377" next="#ID_378"> Ist auch dies Annexion? Die böse Annexion, in der das schlimme<lb/>
Deutschland so entsetzliche Fortschritte macht? Nein, er hat sich uns ja selbst<lb/>
gegeben, und wir haben mit Freuden diese Gabe acceptirt. Seht nur unsre<lb/>
deutschen Kinder an, wenn sie mit leuchtenden Augen ein Andersen'sches<lb/>
Märchen anhören, und seht die großen Erzählenden an, mit welchem Behagen<lb/>
sie sich in die Ideenwelt des Dichters versenken. Die Märchen fehlen kaum<lb/>
in einem deutschen Haus, die Romane von Andersen aber sind, nachdem<lb/>
sie vor Jahren freudiges Aufsehen erregt, vom großen Publikum zurückgelegt<lb/>
worden, und doch entfaltet sich gerade in diesen sein Talent reicher und eigen¬<lb/>
artiger noch als in den Märchen. In der alten Jnselstadt Odense hat er<lb/>
zuerst die Augen aufgethan, aber während ganz Europa unter den schweren<lb/>
Tritten von Napoleon's Kriegsschaaren zitterte, während Kanonendonner,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] zu. Sie ließ die Jesuiten trotz Art. 15 des Kirchengesetzes im ganzen Lande gewähren, so lange sie nur kein Haus auf ihren eigenen Namen in die Grund¬ bücher eintragen ließen: um wie viel mehr die marianische Congregation. Der Scandal der Stuttgarter Jesuitenmission ist heute noch in Aller Erinnerung. Kann man wohl auch künftighin die Reichsgesetzgebung in gleicher Weise ignoriren? Könnte nicht auf diesem Wege das Ministerium auch einmal in die Lage kommen, den Ultramontanen unangenehm zu werden? Man erzählt sich, daß jenes unerhörte Votum zu Gunsten der marianischen Congregation mit Hülfe der speciellen Einwirkung des Grafen Rechberg und des ihm ganz «. ergebenen Bischofs Hesele durchgesetzt worden sei. Line deutsche Volksausgabe von Andersen's Werken. In einer deutschen Stadt tritt eine junge Dame in die Buchhandlung und verlangt Tegner's Frithjof-Sage, ruft aber, nachdem sie den Preis gehört, verwundert aus: „Ich denke, die deutschen Classiker sind billiger geworden?" Wir wollen ununtersucht lassen, ob die junge Schöne nicht vielleicht zu einer literarischen Internationale zählt, die in allen Völkern Stammes¬ brüder, in allen Schriftstellern Classiker sieht, gewiß aber ist, daß ihre Re- gistrirung auf Tegner's skandinavischen Landsmann, auf H. C. Andersen mit bessern: Rechte anzuwenden wäre. Durch die von ihm selbst geleitete deutsche Ausgabe seiner Werke ist er der. unsere geworden, und ist es um so mehr, als, mögen auch die politischen Sympathien des Dänen den Deutschen ent¬ gegengesetzte sein, der Geist, der aus seinen Schriften spricht, seine An¬ schauungen, sein Fühlen und Denken dem unsern so innig verwandt erscheinen, daß wir, wenn wir ihn lesen, vergessen, daß ein Ausländer zu uns spricht, denn er ist unser, und einer unsrer Besten. Ist auch dies Annexion? Die böse Annexion, in der das schlimme Deutschland so entsetzliche Fortschritte macht? Nein, er hat sich uns ja selbst gegeben, und wir haben mit Freuden diese Gabe acceptirt. Seht nur unsre deutschen Kinder an, wenn sie mit leuchtenden Augen ein Andersen'sches Märchen anhören, und seht die großen Erzählenden an, mit welchem Behagen sie sich in die Ideenwelt des Dichters versenken. Die Märchen fehlen kaum in einem deutschen Haus, die Romane von Andersen aber sind, nachdem sie vor Jahren freudiges Aufsehen erregt, vom großen Publikum zurückgelegt worden, und doch entfaltet sich gerade in diesen sein Talent reicher und eigen¬ artiger noch als in den Märchen. In der alten Jnselstadt Odense hat er zuerst die Augen aufgethan, aber während ganz Europa unter den schweren Tritten von Napoleon's Kriegsschaaren zitterte, während Kanonendonner,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/126>, abgerufen am 05.02.2025.