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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Dom preußischen Landtag.

Nachdem die Kreisordnung am 26. Nov. in dritter Lesung von den Ab¬
geordneten angenommen worden, wurde der vielbesprochene Pairsschub noch
in dieser Woche erwartet. Er ist bis heute nicht bekannt, und dies hat natür¬
lich allerlei Gerüchte hervorgerufen, welche die Maßregel selbst in Zweifel
stellen wollen. Die Herrenhausmajorttät soll sich erbötig erklärt haben, die
Kreisordnung nun doch anzunehmen. Andere Gerüchte wollen wissen, daß die
Herren zwar zur Annahme bereit seien, aber um den Anstand zu wahren, ver¬
langten sie, einige scheinbare Abänderungen vornehmen zu dürfen. Dies
würde nun aber das Abgeordnetenhaus verletzen, weil diesem der Minister
des Innern in der bündigsten Weise erklärt hat, die Annahme der bei der
jetzigen Vorlegung von der Regierung verlangten Abänderungen sei der Preis,
um welchen die Negierung für die fernere Unabänderlichkeit des Gesetzes ein¬
treten wolle. Alle diese Zweifel müssen sich in den nächsten Tagen heben.
Ein Theil der bisherigen Herrenhausmajorität wird jedenfalls bei der Ab¬
lehnung der Kreisordnung verharren. Der größere Theil wird um irgend
welchen Preis, wahrscheinlich auch schon um einen größeren Pairsschub zu
hintertreiben, sich zur Annahme verstehen und die Verleugnung der so pomp¬
haft verkündeten Erklärung: "Brechen aber nicht biegen zu wollen" , auf sich
nehmen. Der öffentlichen Meinung würde dieser Ausgang aber wenig genügen,
weil mit demselben die Reform des Herrenhauses aufgegeben schiene, welche
eine unableugbare Nothwendigkeit ist, deren Vollzug wegen der bevorstehenden
interconfessionellen Gesetze auch keinen langen Aufschub mehr gestattet.^

Ich glaube nun, daß, wenn der Pairsschub jetzt auf wenig Ernennungen
beschränkt bleiben sollte, die Frage der Herrenhausreform damit doch nicht im
negativen Sinn entschieden wäre, sondern nur vertagt bis zur Rückkehr des
Fürsten Bismarck, also um 4--5 Wochen. Sollte eine große Anzahl Pairs.
ernennungen jetzt unmittelbar erfolgen, so wäre dies ein Zeichen, daß die An¬
regung der Herrenhausreform in dieser Landtagsession von der Regierung be¬
reits beschlossen worden. Es ist wahrscheinlich, daß zum Austrag dieser
Frage das Erscheinen des Fürsten Bismarck vor Ablauf seines Urlaubs kürz¬
lich gewünscht worden. Da jedoch der Minister der Ruhe noch nothwendig
bedürfte, so sind jedenfalls die Modalitäten der Maßregel noch nicht festgestellt,
während sich in den nächsten Tagen zeigen wird, ob wenigstens der Entschluß
zur Reform überhaupt feststeht. Wenn jetzt nur einige Pairsernennungen er¬
folgen, so ist dies jedoch nicht das geringste Hinderniß, daß in einigen Wochen


Dom preußischen Landtag.

Nachdem die Kreisordnung am 26. Nov. in dritter Lesung von den Ab¬
geordneten angenommen worden, wurde der vielbesprochene Pairsschub noch
in dieser Woche erwartet. Er ist bis heute nicht bekannt, und dies hat natür¬
lich allerlei Gerüchte hervorgerufen, welche die Maßregel selbst in Zweifel
stellen wollen. Die Herrenhausmajorttät soll sich erbötig erklärt haben, die
Kreisordnung nun doch anzunehmen. Andere Gerüchte wollen wissen, daß die
Herren zwar zur Annahme bereit seien, aber um den Anstand zu wahren, ver¬
langten sie, einige scheinbare Abänderungen vornehmen zu dürfen. Dies
würde nun aber das Abgeordnetenhaus verletzen, weil diesem der Minister
des Innern in der bündigsten Weise erklärt hat, die Annahme der bei der
jetzigen Vorlegung von der Regierung verlangten Abänderungen sei der Preis,
um welchen die Negierung für die fernere Unabänderlichkeit des Gesetzes ein¬
treten wolle. Alle diese Zweifel müssen sich in den nächsten Tagen heben.
Ein Theil der bisherigen Herrenhausmajorität wird jedenfalls bei der Ab¬
lehnung der Kreisordnung verharren. Der größere Theil wird um irgend
welchen Preis, wahrscheinlich auch schon um einen größeren Pairsschub zu
hintertreiben, sich zur Annahme verstehen und die Verleugnung der so pomp¬
haft verkündeten Erklärung: „Brechen aber nicht biegen zu wollen" , auf sich
nehmen. Der öffentlichen Meinung würde dieser Ausgang aber wenig genügen,
weil mit demselben die Reform des Herrenhauses aufgegeben schiene, welche
eine unableugbare Nothwendigkeit ist, deren Vollzug wegen der bevorstehenden
interconfessionellen Gesetze auch keinen langen Aufschub mehr gestattet.^

Ich glaube nun, daß, wenn der Pairsschub jetzt auf wenig Ernennungen
beschränkt bleiben sollte, die Frage der Herrenhausreform damit doch nicht im
negativen Sinn entschieden wäre, sondern nur vertagt bis zur Rückkehr des
Fürsten Bismarck, also um 4—5 Wochen. Sollte eine große Anzahl Pairs.
ernennungen jetzt unmittelbar erfolgen, so wäre dies ein Zeichen, daß die An¬
regung der Herrenhausreform in dieser Landtagsession von der Regierung be¬
reits beschlossen worden. Es ist wahrscheinlich, daß zum Austrag dieser
Frage das Erscheinen des Fürsten Bismarck vor Ablauf seines Urlaubs kürz¬
lich gewünscht worden. Da jedoch der Minister der Ruhe noch nothwendig
bedürfte, so sind jedenfalls die Modalitäten der Maßregel noch nicht festgestellt,
während sich in den nächsten Tagen zeigen wird, ob wenigstens der Entschluß
zur Reform überhaupt feststeht. Wenn jetzt nur einige Pairsernennungen er¬
folgen, so ist dies jedoch nicht das geringste Hinderniß, daß in einigen Wochen


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[0444] Dom preußischen Landtag. Nachdem die Kreisordnung am 26. Nov. in dritter Lesung von den Ab¬ geordneten angenommen worden, wurde der vielbesprochene Pairsschub noch in dieser Woche erwartet. Er ist bis heute nicht bekannt, und dies hat natür¬ lich allerlei Gerüchte hervorgerufen, welche die Maßregel selbst in Zweifel stellen wollen. Die Herrenhausmajorttät soll sich erbötig erklärt haben, die Kreisordnung nun doch anzunehmen. Andere Gerüchte wollen wissen, daß die Herren zwar zur Annahme bereit seien, aber um den Anstand zu wahren, ver¬ langten sie, einige scheinbare Abänderungen vornehmen zu dürfen. Dies würde nun aber das Abgeordnetenhaus verletzen, weil diesem der Minister des Innern in der bündigsten Weise erklärt hat, die Annahme der bei der jetzigen Vorlegung von der Regierung verlangten Abänderungen sei der Preis, um welchen die Negierung für die fernere Unabänderlichkeit des Gesetzes ein¬ treten wolle. Alle diese Zweifel müssen sich in den nächsten Tagen heben. Ein Theil der bisherigen Herrenhausmajorität wird jedenfalls bei der Ab¬ lehnung der Kreisordnung verharren. Der größere Theil wird um irgend welchen Preis, wahrscheinlich auch schon um einen größeren Pairsschub zu hintertreiben, sich zur Annahme verstehen und die Verleugnung der so pomp¬ haft verkündeten Erklärung: „Brechen aber nicht biegen zu wollen" , auf sich nehmen. Der öffentlichen Meinung würde dieser Ausgang aber wenig genügen, weil mit demselben die Reform des Herrenhauses aufgegeben schiene, welche eine unableugbare Nothwendigkeit ist, deren Vollzug wegen der bevorstehenden interconfessionellen Gesetze auch keinen langen Aufschub mehr gestattet.^ Ich glaube nun, daß, wenn der Pairsschub jetzt auf wenig Ernennungen beschränkt bleiben sollte, die Frage der Herrenhausreform damit doch nicht im negativen Sinn entschieden wäre, sondern nur vertagt bis zur Rückkehr des Fürsten Bismarck, also um 4—5 Wochen. Sollte eine große Anzahl Pairs. ernennungen jetzt unmittelbar erfolgen, so wäre dies ein Zeichen, daß die An¬ regung der Herrenhausreform in dieser Landtagsession von der Regierung be¬ reits beschlossen worden. Es ist wahrscheinlich, daß zum Austrag dieser Frage das Erscheinen des Fürsten Bismarck vor Ablauf seines Urlaubs kürz¬ lich gewünscht worden. Da jedoch der Minister der Ruhe noch nothwendig bedürfte, so sind jedenfalls die Modalitäten der Maßregel noch nicht festgestellt, während sich in den nächsten Tagen zeigen wird, ob wenigstens der Entschluß zur Reform überhaupt feststeht. Wenn jetzt nur einige Pairsernennungen er¬ folgen, so ist dies jedoch nicht das geringste Hinderniß, daß in einigen Wochen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/444>, abgerufen am 22.07.2024.