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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Die HraMiten der Aassenftädter.
von
O. Schwebe!.

Das Volk der Mark Brandenburg hat die letzten zwei Jahrhunderte
seiner Geschichte schnell und unter sich drängenden großen Ereignissen verlebt;
vom großen Kurfürsten bis zum Jahre 1871 zieht sich fast ununterbrochen
eine Kette gewaltiger Begebenheiten fort, und wie im Leben des Einzelnen
eine Fülle von Erlebnissen die Erinnerung an die Vergangenheit abstumpft,
so auch im Leben der Völker. Die Brandenburger haben ihre alte Geschichte
vergessen, und wo wir vielleicht jetzt im Volke einem Gedanken an sie begegnen,
da ist das ein künstlich geweckter. Mußten ja auch dem römischen Volke einst
seine Anfänge durch die Dichtkunst wieder vorgeführt werden! Deren Rolle
hat bei uns die Geschichtsschreibung übernommen, und wer unter ihrer Leitung
in die Vergangenheit unseres Volkes sich versenkt, der hat einen reichlichen
Gewinn, nicht allein in Hinsicht auf den Umfang des Wissens, sondern auch
für Herz und Gemüth. Bereits die ersten Zeiten Brandenburgs zeigen eine
Bedeutsamkeit, eine charaktervolle Eigenthümlichkeit, ein Leben und Streben,
das nicht das Interesse einer wehmüthigen geschichtlichen Erinnerung für sich
in Anspruch nimmt, sondern das eines Keims, der volle Frucht getragen hat.
Die Gebildeten unseres Volkes sind die berufenen Träge-r der Einnerung an
ein Fürstengeschlecht, dem wir verdanken, daß wir ein deutsches Volk wurden.
Selten hat ein Geschlecht auf deutschem Boden geherrscht, das mit solcher
Willenskraft und Treue an der ihm zugemessenen Ausgabe gearbeitet hat, wie
die Ballenstädter an der Colonisation der Nordost-Marken des Reiches. Neben
diesen Fürsten hatten sich zwar noch zwei andere Kräfte in den Dienst dieser
hohen Aufgabe gestellt, jene Hunderte von schildgeborenen sächsischen Ge¬
schlechtern, die zum Theil noch heut den Kern des preußischen Adels bilden,
und die Corporationen der mittelalterlichen Kirche, die Templer, die Johan-
niter, die Prämonstratenser und die (Zisterzienser; -- den Antrieb und die
unausgesetzte Förderung dieses hochbedeutsamen Werkes aber haben wir den
Ballenstädtern zuzuschreiben. Dieses große Fürstengeschlecht hat belebend und
erhebend auf alle Kreise des Volkes eingewirkt.

Am Schluß des dreizehnten Jahrhunderts war die Colonisation der
Marken vollendet. Wir glauben nicht, daß Fürsten wie die Ballenstädter
jemals in träger Ruhe den Blick auf das, was sie geleistet hatten, zurückge¬
worfen haben, aber wenn diese Herren, die den größten Theil ihres Lebens
auf dem Rosse zubrachten, durch ihre Lande ritten, dann boten ihnen blühende
Städte, reiche Dörfer, umgürtet von grünen Saatfeldern, stattliche Klöster mit
ernsten braunen Backsteinmauern ein freundliches Bild dar. Und wie sie das
Land schufen, so schufen sie sich ihr Volk: einen Adel, stark und ritterlich wie


Die HraMiten der Aassenftädter.
von
O. Schwebe!.

Das Volk der Mark Brandenburg hat die letzten zwei Jahrhunderte
seiner Geschichte schnell und unter sich drängenden großen Ereignissen verlebt;
vom großen Kurfürsten bis zum Jahre 1871 zieht sich fast ununterbrochen
eine Kette gewaltiger Begebenheiten fort, und wie im Leben des Einzelnen
eine Fülle von Erlebnissen die Erinnerung an die Vergangenheit abstumpft,
so auch im Leben der Völker. Die Brandenburger haben ihre alte Geschichte
vergessen, und wo wir vielleicht jetzt im Volke einem Gedanken an sie begegnen,
da ist das ein künstlich geweckter. Mußten ja auch dem römischen Volke einst
seine Anfänge durch die Dichtkunst wieder vorgeführt werden! Deren Rolle
hat bei uns die Geschichtsschreibung übernommen, und wer unter ihrer Leitung
in die Vergangenheit unseres Volkes sich versenkt, der hat einen reichlichen
Gewinn, nicht allein in Hinsicht auf den Umfang des Wissens, sondern auch
für Herz und Gemüth. Bereits die ersten Zeiten Brandenburgs zeigen eine
Bedeutsamkeit, eine charaktervolle Eigenthümlichkeit, ein Leben und Streben,
das nicht das Interesse einer wehmüthigen geschichtlichen Erinnerung für sich
in Anspruch nimmt, sondern das eines Keims, der volle Frucht getragen hat.
Die Gebildeten unseres Volkes sind die berufenen Träge-r der Einnerung an
ein Fürstengeschlecht, dem wir verdanken, daß wir ein deutsches Volk wurden.
Selten hat ein Geschlecht auf deutschem Boden geherrscht, das mit solcher
Willenskraft und Treue an der ihm zugemessenen Ausgabe gearbeitet hat, wie
die Ballenstädter an der Colonisation der Nordost-Marken des Reiches. Neben
diesen Fürsten hatten sich zwar noch zwei andere Kräfte in den Dienst dieser
hohen Aufgabe gestellt, jene Hunderte von schildgeborenen sächsischen Ge¬
schlechtern, die zum Theil noch heut den Kern des preußischen Adels bilden,
und die Corporationen der mittelalterlichen Kirche, die Templer, die Johan-
niter, die Prämonstratenser und die (Zisterzienser; — den Antrieb und die
unausgesetzte Förderung dieses hochbedeutsamen Werkes aber haben wir den
Ballenstädtern zuzuschreiben. Dieses große Fürstengeschlecht hat belebend und
erhebend auf alle Kreise des Volkes eingewirkt.

Am Schluß des dreizehnten Jahrhunderts war die Colonisation der
Marken vollendet. Wir glauben nicht, daß Fürsten wie die Ballenstädter
jemals in träger Ruhe den Blick auf das, was sie geleistet hatten, zurückge¬
worfen haben, aber wenn diese Herren, die den größten Theil ihres Lebens
auf dem Rosse zubrachten, durch ihre Lande ritten, dann boten ihnen blühende
Städte, reiche Dörfer, umgürtet von grünen Saatfeldern, stattliche Klöster mit
ernsten braunen Backsteinmauern ein freundliches Bild dar. Und wie sie das
Land schufen, so schufen sie sich ihr Volk: einen Adel, stark und ritterlich wie


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[0378] Die HraMiten der Aassenftädter. von O. Schwebe!. Das Volk der Mark Brandenburg hat die letzten zwei Jahrhunderte seiner Geschichte schnell und unter sich drängenden großen Ereignissen verlebt; vom großen Kurfürsten bis zum Jahre 1871 zieht sich fast ununterbrochen eine Kette gewaltiger Begebenheiten fort, und wie im Leben des Einzelnen eine Fülle von Erlebnissen die Erinnerung an die Vergangenheit abstumpft, so auch im Leben der Völker. Die Brandenburger haben ihre alte Geschichte vergessen, und wo wir vielleicht jetzt im Volke einem Gedanken an sie begegnen, da ist das ein künstlich geweckter. Mußten ja auch dem römischen Volke einst seine Anfänge durch die Dichtkunst wieder vorgeführt werden! Deren Rolle hat bei uns die Geschichtsschreibung übernommen, und wer unter ihrer Leitung in die Vergangenheit unseres Volkes sich versenkt, der hat einen reichlichen Gewinn, nicht allein in Hinsicht auf den Umfang des Wissens, sondern auch für Herz und Gemüth. Bereits die ersten Zeiten Brandenburgs zeigen eine Bedeutsamkeit, eine charaktervolle Eigenthümlichkeit, ein Leben und Streben, das nicht das Interesse einer wehmüthigen geschichtlichen Erinnerung für sich in Anspruch nimmt, sondern das eines Keims, der volle Frucht getragen hat. Die Gebildeten unseres Volkes sind die berufenen Träge-r der Einnerung an ein Fürstengeschlecht, dem wir verdanken, daß wir ein deutsches Volk wurden. Selten hat ein Geschlecht auf deutschem Boden geherrscht, das mit solcher Willenskraft und Treue an der ihm zugemessenen Ausgabe gearbeitet hat, wie die Ballenstädter an der Colonisation der Nordost-Marken des Reiches. Neben diesen Fürsten hatten sich zwar noch zwei andere Kräfte in den Dienst dieser hohen Aufgabe gestellt, jene Hunderte von schildgeborenen sächsischen Ge¬ schlechtern, die zum Theil noch heut den Kern des preußischen Adels bilden, und die Corporationen der mittelalterlichen Kirche, die Templer, die Johan- niter, die Prämonstratenser und die (Zisterzienser; — den Antrieb und die unausgesetzte Förderung dieses hochbedeutsamen Werkes aber haben wir den Ballenstädtern zuzuschreiben. Dieses große Fürstengeschlecht hat belebend und erhebend auf alle Kreise des Volkes eingewirkt. Am Schluß des dreizehnten Jahrhunderts war die Colonisation der Marken vollendet. Wir glauben nicht, daß Fürsten wie die Ballenstädter jemals in träger Ruhe den Blick auf das, was sie geleistet hatten, zurückge¬ worfen haben, aber wenn diese Herren, die den größten Theil ihres Lebens auf dem Rosse zubrachten, durch ihre Lande ritten, dann boten ihnen blühende Städte, reiche Dörfer, umgürtet von grünen Saatfeldern, stattliche Klöster mit ernsten braunen Backsteinmauern ein freundliches Bild dar. Und wie sie das Land schufen, so schufen sie sich ihr Volk: einen Adel, stark und ritterlich wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/378>, abgerufen am 21.12.2024.