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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Lin Katholischer und dennoch deutscher Iischof.

Vor kurzem ist die Selbstbiographie des Grafen Leopold Sedlnitzky,
Fürstbischofs von Breslau, -j-1871. erschienen, ein bescheidener Octavband
und auch sonst recht anspruchslos ausgestattet. Wir glauben uns nicht zu täuschen,
wenn wir annehmen, daß nur wenige ein Interesse an diesem Buche zu haben
vermeinen, welches sie zu seiner Lectüre, oder auch nur zu einem Durchblättern
veranlassen könnte. Der Gegenstand ist, wie vielfältige Erfahrung uns be¬
wiesen hat, bis aus den Namen dem Gedächtniß unserer so rasch vergessenden
Zeitgenossen entschwunden und außerhalb der ehemaligen Heimath des Mannes,
Schlesien, und speciell Breslau, dürfte selten jemand gefunden werden, der sich
noch des großen Aufsehens erinnerte, welches die bedeutendste That des jüngst
verstorbenen Bischofs, seine Resignation auf den Stuhl .des goldenen Bis-
thums" im Jahre 1840 hervorbrachte. Aber schon damals warfen andere
größere Aufregungen der Geister sehr bald einen Nebel-Schleier über dieses
Ereigniß: die allgemeine Bewegung, die ganz Preußen und Deutschland mit
und durch das Auftreten oder richtiger die glänzenden Reden des neuen Königs
Friedrich Wilhelm IV. durchzuckte, dazu noch das Aufflackern des gemeinsamen
deutschen Patriotismus gegenüber den unverschämten Kriegsdrohungen und
dem zügellosen Geschrei nach Revanche für Waterloo und nach der Rhein¬
grenze, welches bekanntlich von dem saubern Louis Philipp und seinem ebenso
saubern damaligen Premier, Herrn Thiers, dem jetzigen Horte des Weltfriedens,
in Scene gesetzt war, um die ISO Millionen für die Befestigung von Paris
den Franzosen oder mindestens den Kammern plausibel zu machen. Nichts
konnte einer gewissen Partei, vor welcher Sedlnitzky die Segel hatte streichen
müssen, der damals freilich nur im Embryo vorhandenen ultramontan-jesuitischen
Clique in der preußischen katholischen Kirche, gelegener kommen, als daß
das Publicum seine Augen anders wohin richtete. Mit ihrer herkömmlichen
Gewandtheit und schlauen Agilität that sie, was nur gethan werden konnte,
um in scheinbar die Gemüther beschwichtigender Weise alle Spuren des für
sie höchst odiösen Falles und der noch odiöseren Persönlichkeit, die ihn veran¬
laßt hatte, zu verwischen. Es gelang ihr um so leichter, weil Sedlnitzky selbst
ein Mann war, der nichts mehr als das öffentliche Heraustreten, die


Grenzboten III. 1872. 36
Lin Katholischer und dennoch deutscher Iischof.

Vor kurzem ist die Selbstbiographie des Grafen Leopold Sedlnitzky,
Fürstbischofs von Breslau, -j-1871. erschienen, ein bescheidener Octavband
und auch sonst recht anspruchslos ausgestattet. Wir glauben uns nicht zu täuschen,
wenn wir annehmen, daß nur wenige ein Interesse an diesem Buche zu haben
vermeinen, welches sie zu seiner Lectüre, oder auch nur zu einem Durchblättern
veranlassen könnte. Der Gegenstand ist, wie vielfältige Erfahrung uns be¬
wiesen hat, bis aus den Namen dem Gedächtniß unserer so rasch vergessenden
Zeitgenossen entschwunden und außerhalb der ehemaligen Heimath des Mannes,
Schlesien, und speciell Breslau, dürfte selten jemand gefunden werden, der sich
noch des großen Aufsehens erinnerte, welches die bedeutendste That des jüngst
verstorbenen Bischofs, seine Resignation auf den Stuhl .des goldenen Bis-
thums" im Jahre 1840 hervorbrachte. Aber schon damals warfen andere
größere Aufregungen der Geister sehr bald einen Nebel-Schleier über dieses
Ereigniß: die allgemeine Bewegung, die ganz Preußen und Deutschland mit
und durch das Auftreten oder richtiger die glänzenden Reden des neuen Königs
Friedrich Wilhelm IV. durchzuckte, dazu noch das Aufflackern des gemeinsamen
deutschen Patriotismus gegenüber den unverschämten Kriegsdrohungen und
dem zügellosen Geschrei nach Revanche für Waterloo und nach der Rhein¬
grenze, welches bekanntlich von dem saubern Louis Philipp und seinem ebenso
saubern damaligen Premier, Herrn Thiers, dem jetzigen Horte des Weltfriedens,
in Scene gesetzt war, um die ISO Millionen für die Befestigung von Paris
den Franzosen oder mindestens den Kammern plausibel zu machen. Nichts
konnte einer gewissen Partei, vor welcher Sedlnitzky die Segel hatte streichen
müssen, der damals freilich nur im Embryo vorhandenen ultramontan-jesuitischen
Clique in der preußischen katholischen Kirche, gelegener kommen, als daß
das Publicum seine Augen anders wohin richtete. Mit ihrer herkömmlichen
Gewandtheit und schlauen Agilität that sie, was nur gethan werden konnte,
um in scheinbar die Gemüther beschwichtigender Weise alle Spuren des für
sie höchst odiösen Falles und der noch odiöseren Persönlichkeit, die ihn veran¬
laßt hatte, zu verwischen. Es gelang ihr um so leichter, weil Sedlnitzky selbst
ein Mann war, der nichts mehr als das öffentliche Heraustreten, die


Grenzboten III. 1872. 36
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[0281] Lin Katholischer und dennoch deutscher Iischof. Vor kurzem ist die Selbstbiographie des Grafen Leopold Sedlnitzky, Fürstbischofs von Breslau, -j-1871. erschienen, ein bescheidener Octavband und auch sonst recht anspruchslos ausgestattet. Wir glauben uns nicht zu täuschen, wenn wir annehmen, daß nur wenige ein Interesse an diesem Buche zu haben vermeinen, welches sie zu seiner Lectüre, oder auch nur zu einem Durchblättern veranlassen könnte. Der Gegenstand ist, wie vielfältige Erfahrung uns be¬ wiesen hat, bis aus den Namen dem Gedächtniß unserer so rasch vergessenden Zeitgenossen entschwunden und außerhalb der ehemaligen Heimath des Mannes, Schlesien, und speciell Breslau, dürfte selten jemand gefunden werden, der sich noch des großen Aufsehens erinnerte, welches die bedeutendste That des jüngst verstorbenen Bischofs, seine Resignation auf den Stuhl .des goldenen Bis- thums" im Jahre 1840 hervorbrachte. Aber schon damals warfen andere größere Aufregungen der Geister sehr bald einen Nebel-Schleier über dieses Ereigniß: die allgemeine Bewegung, die ganz Preußen und Deutschland mit und durch das Auftreten oder richtiger die glänzenden Reden des neuen Königs Friedrich Wilhelm IV. durchzuckte, dazu noch das Aufflackern des gemeinsamen deutschen Patriotismus gegenüber den unverschämten Kriegsdrohungen und dem zügellosen Geschrei nach Revanche für Waterloo und nach der Rhein¬ grenze, welches bekanntlich von dem saubern Louis Philipp und seinem ebenso saubern damaligen Premier, Herrn Thiers, dem jetzigen Horte des Weltfriedens, in Scene gesetzt war, um die ISO Millionen für die Befestigung von Paris den Franzosen oder mindestens den Kammern plausibel zu machen. Nichts konnte einer gewissen Partei, vor welcher Sedlnitzky die Segel hatte streichen müssen, der damals freilich nur im Embryo vorhandenen ultramontan-jesuitischen Clique in der preußischen katholischen Kirche, gelegener kommen, als daß das Publicum seine Augen anders wohin richtete. Mit ihrer herkömmlichen Gewandtheit und schlauen Agilität that sie, was nur gethan werden konnte, um in scheinbar die Gemüther beschwichtigender Weise alle Spuren des für sie höchst odiösen Falles und der noch odiöseren Persönlichkeit, die ihn veran¬ laßt hatte, zu verwischen. Es gelang ihr um so leichter, weil Sedlnitzky selbst ein Mann war, der nichts mehr als das öffentliche Heraustreten, die Grenzboten III. 1872. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/281>, abgerufen am 26.06.2024.