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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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drücken können darüber, wie viel hier gesagt wird. Die Karten find offen
auf den Tisch gelegt; mit Nichts ist zurückgehalten. Oft erhebt sich die Dar¬
legung zu allgemeinen, belehrenden Betrachtungen, ja zuweilen spitzt sie sich
zu scharfen allgemein gültigen Axiomen zu: es ist gelegentlich wie ein appli-
catorischer Unterricht, angeknüpft an das erhabenste Weltereigniß der neueren
Geschichte. Sehr lehrreich für Heer und Volk; sehr lehrreich aber auch für
den Feind. Und er wird lernen; darauf können wir uns verlassen. Ob er
jedoch, auch wenn er dieselben Wege einschlägt bei seiner wunderbaren Neigung
zu schematisiren und chablonisiren, zu denselben Zielen kommt wie wir, das
steht freilich dahin. Die Initiative des persönlichen Genies scheint den Fran¬
zosen abhanden gekommen zu sein. Einholen könnten sie uns sicherlich nur
in dem einen Falle, daß wir nicht fortschritten. Sei uns die rückhaltlose
Mittheilung unserer Siegesvorbereitung von 1870 ein Sporn, uns für die Folge
noch besser, noch vollkommener zu rüsten, und bleiben wir heut wie gestern
M. I. tonjnurs on vsäette l




Zur KharaKterM Koöert M'aus.
ii.

In der zweiten Hälfte des Monat August nahm Blum etwa auf eine
Woche Urlaub nach Leipzig. Von den glänzenden Ovationen, welche ihm
hier und in der Umgegend gebracht wurden, erzählen noch heute die Mit¬
bürger. Ein Fackelzug von wohl 10.000 Fackeln zog an seinem bescheidenen
Hause vorüber. Im Schützenhause zu Leipzig gab er vor vielen Tausenden
begeisterter Zuhörer den Bericht seines Wirkens im Frankfurter Parlament.
Aber all diese Huldigungen täuschten ihn nicht über die Schwierigkeit, ja
UnHaltbarkeit seiner politischen Stellung in Frankfurt und in der Heimath.
Nur für Tage hatte sich, dem Führer zu Liebe, der klaffende Riß in der eigenen
heimathlichen Partei, zwischen dem ihm näherstehenden rechten und dem social¬
demokratisch-revolutionären linken Flügel der von Blum gegründeten "Vater¬
landsvereine" geschlossen. Bald nach seiner Abreise klaffte er unheilbar. Die
preußisch-deutsche Partei aber sandte ihm beim Abschied von Leipzig eine öffent¬
liche Erklärung nach, welche, abgesehen von dem nur in der Parteileidenschaft
wider ihn erhobenen ungerechten Vorwurf undeutscher Gesinnung, doch auch
manche wunde Stelle seiner Partei und Parteitaktik scharf und schneidend be¬
rührte, welche er bitter selbst empfinden mochte, ohne doch mit einem
Male mit den Velleitäten der Partei brechen zu können. Auch die Geister


drücken können darüber, wie viel hier gesagt wird. Die Karten find offen
auf den Tisch gelegt; mit Nichts ist zurückgehalten. Oft erhebt sich die Dar¬
legung zu allgemeinen, belehrenden Betrachtungen, ja zuweilen spitzt sie sich
zu scharfen allgemein gültigen Axiomen zu: es ist gelegentlich wie ein appli-
catorischer Unterricht, angeknüpft an das erhabenste Weltereigniß der neueren
Geschichte. Sehr lehrreich für Heer und Volk; sehr lehrreich aber auch für
den Feind. Und er wird lernen; darauf können wir uns verlassen. Ob er
jedoch, auch wenn er dieselben Wege einschlägt bei seiner wunderbaren Neigung
zu schematisiren und chablonisiren, zu denselben Zielen kommt wie wir, das
steht freilich dahin. Die Initiative des persönlichen Genies scheint den Fran¬
zosen abhanden gekommen zu sein. Einholen könnten sie uns sicherlich nur
in dem einen Falle, daß wir nicht fortschritten. Sei uns die rückhaltlose
Mittheilung unserer Siegesvorbereitung von 1870 ein Sporn, uns für die Folge
noch besser, noch vollkommener zu rüsten, und bleiben wir heut wie gestern
M. I. tonjnurs on vsäette l




Zur KharaKterM Koöert M'aus.
ii.

In der zweiten Hälfte des Monat August nahm Blum etwa auf eine
Woche Urlaub nach Leipzig. Von den glänzenden Ovationen, welche ihm
hier und in der Umgegend gebracht wurden, erzählen noch heute die Mit¬
bürger. Ein Fackelzug von wohl 10.000 Fackeln zog an seinem bescheidenen
Hause vorüber. Im Schützenhause zu Leipzig gab er vor vielen Tausenden
begeisterter Zuhörer den Bericht seines Wirkens im Frankfurter Parlament.
Aber all diese Huldigungen täuschten ihn nicht über die Schwierigkeit, ja
UnHaltbarkeit seiner politischen Stellung in Frankfurt und in der Heimath.
Nur für Tage hatte sich, dem Führer zu Liebe, der klaffende Riß in der eigenen
heimathlichen Partei, zwischen dem ihm näherstehenden rechten und dem social¬
demokratisch-revolutionären linken Flügel der von Blum gegründeten „Vater¬
landsvereine" geschlossen. Bald nach seiner Abreise klaffte er unheilbar. Die
preußisch-deutsche Partei aber sandte ihm beim Abschied von Leipzig eine öffent¬
liche Erklärung nach, welche, abgesehen von dem nur in der Parteileidenschaft
wider ihn erhobenen ungerechten Vorwurf undeutscher Gesinnung, doch auch
manche wunde Stelle seiner Partei und Parteitaktik scharf und schneidend be¬
rührte, welche er bitter selbst empfinden mochte, ohne doch mit einem
Male mit den Velleitäten der Partei brechen zu können. Auch die Geister


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/252>, abgerufen am 30.12.2024.