Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ein rechter Sammelplatz von allerhand Conditionen, welche sich daselbst täglich
divertiren.

Nachdem nun auch wir unser Gemüth zur Genüge divertiret, verließen
wir diesen vlaisanten Ort und fuhren wiederum nach dem Haag, allwo wir
die Ehre hatten, dem Herrn Resident Hüneken, wie auch der Gemahlin des
lüneburg'schen Envoye', Herrn Boehmer und dessen Fräulein Tochter, aufzu¬
warten und mit allerhand Confitüren und delicaten Weinen regaliret zu
werden.




pariser Ariefe.

Eine gute Polizei zu haben ist eine wichtige Aufgabe, die Frankreich nie
genügend gelöst hat. Polizeiwissenschaft ist etwas Unerhörtes hier. Batele war
ein Kürassieroffizier und ein Gemäldeliebhaber, der aus einem Polizeipräfecten
zum Senator geworden ist, ohne außerordentliche Dienste geleistet zu haben-
Rebillot war Gensdarmen-Oberst, der die Ehre gehabt den Prinzen Louis-
Napoleon unter Louis Philipp gefangen eingezogen zu haben, aber obgleich er
Horaz mit einem Auge las, hat er in der Polizei nicht weit gesehen. Benjamin
Delessert reportirte dem König den Tag vor der Februar-Revolution, daß er
für die Ruhe der Stadt gut stehe! Pietri der jüngere hat nicht eingesehen
daß Jules Favre während zwanzig Jahren die Seele der Opposition war und
daß man die Mittel haben konnte ihn zum Schweigen zu bringen. Statt
dessen hat man ihm zum Eintritt in Akademie verholfen und es gab eine
Zeit wo er mit E, Ollivier im selben Ministerium zu sitzen hoffte. Als ich
während der Belagerung von Paris bei einem Musikhändler sagte, daß I.
Favre einst Oliviers Hand drückte, rief mir ein Freiwilliger zu: -- Wenn Sie,
mein Herr, nicht so alt wären, würde ich von Ihnen dafür Genugthuung ver¬
langt haben. -- Nehmen Sie mein Alter in keine Betrachtung, antwortete ich
ihm, da ich Fechtmeister bin, mag das Gleichgewicht dadurch hergestellt werden.
Der junge Mann aber zog vor, sich mit mir nicht zumessen und da die Zeit
mir Recht gegeben hat, mag ich hinzufügen daß Herr Jules Favre jetzt
auf seinen Oekonomien eine Gemälde-Galerie sich zu sammeln angefangen
hat. Auch Jules Simon giebt sich mit Kunstgegenständen ab, seitdem das
Kunstministerium mit dem der Volksaufklärung verbunden ist. Was die
französischen Minister nicht Alles lernen müssen, nachdem sie Minister geworden
sind, ist erstaunlich.

Herr Leon Renault, der jetzige Polizei-Prcifect, ist ein Hausfreund von


ein rechter Sammelplatz von allerhand Conditionen, welche sich daselbst täglich
divertiren.

Nachdem nun auch wir unser Gemüth zur Genüge divertiret, verließen
wir diesen vlaisanten Ort und fuhren wiederum nach dem Haag, allwo wir
die Ehre hatten, dem Herrn Resident Hüneken, wie auch der Gemahlin des
lüneburg'schen Envoye', Herrn Boehmer und dessen Fräulein Tochter, aufzu¬
warten und mit allerhand Confitüren und delicaten Weinen regaliret zu
werden.




pariser Ariefe.

Eine gute Polizei zu haben ist eine wichtige Aufgabe, die Frankreich nie
genügend gelöst hat. Polizeiwissenschaft ist etwas Unerhörtes hier. Batele war
ein Kürassieroffizier und ein Gemäldeliebhaber, der aus einem Polizeipräfecten
zum Senator geworden ist, ohne außerordentliche Dienste geleistet zu haben-
Rebillot war Gensdarmen-Oberst, der die Ehre gehabt den Prinzen Louis-
Napoleon unter Louis Philipp gefangen eingezogen zu haben, aber obgleich er
Horaz mit einem Auge las, hat er in der Polizei nicht weit gesehen. Benjamin
Delessert reportirte dem König den Tag vor der Februar-Revolution, daß er
für die Ruhe der Stadt gut stehe! Pietri der jüngere hat nicht eingesehen
daß Jules Favre während zwanzig Jahren die Seele der Opposition war und
daß man die Mittel haben konnte ihn zum Schweigen zu bringen. Statt
dessen hat man ihm zum Eintritt in Akademie verholfen und es gab eine
Zeit wo er mit E, Ollivier im selben Ministerium zu sitzen hoffte. Als ich
während der Belagerung von Paris bei einem Musikhändler sagte, daß I.
Favre einst Oliviers Hand drückte, rief mir ein Freiwilliger zu: — Wenn Sie,
mein Herr, nicht so alt wären, würde ich von Ihnen dafür Genugthuung ver¬
langt haben. — Nehmen Sie mein Alter in keine Betrachtung, antwortete ich
ihm, da ich Fechtmeister bin, mag das Gleichgewicht dadurch hergestellt werden.
Der junge Mann aber zog vor, sich mit mir nicht zumessen und da die Zeit
mir Recht gegeben hat, mag ich hinzufügen daß Herr Jules Favre jetzt
auf seinen Oekonomien eine Gemälde-Galerie sich zu sammeln angefangen
hat. Auch Jules Simon giebt sich mit Kunstgegenständen ab, seitdem das
Kunstministerium mit dem der Volksaufklärung verbunden ist. Was die
französischen Minister nicht Alles lernen müssen, nachdem sie Minister geworden
sind, ist erstaunlich.

Herr Leon Renault, der jetzige Polizei-Prcifect, ist ein Hausfreund von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128044"/>
            <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318"> ein rechter Sammelplatz von allerhand Conditionen, welche sich daselbst täglich<lb/>
divertiren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_320"> Nachdem nun auch wir unser Gemüth zur Genüge divertiret, verließen<lb/>
wir diesen vlaisanten Ort und fuhren wiederum nach dem Haag, allwo wir<lb/>
die Ehre hatten, dem Herrn Resident Hüneken, wie auch der Gemahlin des<lb/>
lüneburg'schen Envoye', Herrn Boehmer und dessen Fräulein Tochter, aufzu¬<lb/>
warten und mit allerhand Confitüren und delicaten Weinen regaliret zu<lb/>
werden.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> pariser Ariefe.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_321"> Eine gute Polizei zu haben ist eine wichtige Aufgabe, die Frankreich nie<lb/>
genügend gelöst hat. Polizeiwissenschaft ist etwas Unerhörtes hier. Batele war<lb/>
ein Kürassieroffizier und ein Gemäldeliebhaber, der aus einem Polizeipräfecten<lb/>
zum Senator geworden ist, ohne außerordentliche Dienste geleistet zu haben-<lb/>
Rebillot war Gensdarmen-Oberst, der die Ehre gehabt den Prinzen Louis-<lb/>
Napoleon unter Louis Philipp gefangen eingezogen zu haben, aber obgleich er<lb/>
Horaz mit einem Auge las, hat er in der Polizei nicht weit gesehen. Benjamin<lb/>
Delessert reportirte dem König den Tag vor der Februar-Revolution, daß er<lb/>
für die Ruhe der Stadt gut stehe! Pietri der jüngere hat nicht eingesehen<lb/>
daß Jules Favre während zwanzig Jahren die Seele der Opposition war und<lb/>
daß man die Mittel haben konnte ihn zum Schweigen zu bringen. Statt<lb/>
dessen hat man ihm zum Eintritt in Akademie verholfen und es gab eine<lb/>
Zeit wo er mit E, Ollivier im selben Ministerium zu sitzen hoffte. Als ich<lb/>
während der Belagerung von Paris bei einem Musikhändler sagte, daß I.<lb/>
Favre einst Oliviers Hand drückte, rief mir ein Freiwilliger zu: &#x2014; Wenn Sie,<lb/>
mein Herr, nicht so alt wären, würde ich von Ihnen dafür Genugthuung ver¬<lb/>
langt haben. &#x2014; Nehmen Sie mein Alter in keine Betrachtung, antwortete ich<lb/>
ihm, da ich Fechtmeister bin, mag das Gleichgewicht dadurch hergestellt werden.<lb/>
Der junge Mann aber zog vor, sich mit mir nicht zumessen und da die Zeit<lb/>
mir Recht gegeben hat, mag ich hinzufügen daß Herr Jules Favre jetzt<lb/>
auf seinen Oekonomien eine Gemälde-Galerie sich zu sammeln angefangen<lb/>
hat. Auch Jules Simon giebt sich mit Kunstgegenständen ab, seitdem das<lb/>
Kunstministerium mit dem der Volksaufklärung verbunden ist. Was die<lb/>
französischen Minister nicht Alles lernen müssen, nachdem sie Minister geworden<lb/>
sind, ist erstaunlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_322" next="#ID_323"> Herr Leon Renault, der jetzige Polizei-Prcifect, ist ein Hausfreund von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] ein rechter Sammelplatz von allerhand Conditionen, welche sich daselbst täglich divertiren. Nachdem nun auch wir unser Gemüth zur Genüge divertiret, verließen wir diesen vlaisanten Ort und fuhren wiederum nach dem Haag, allwo wir die Ehre hatten, dem Herrn Resident Hüneken, wie auch der Gemahlin des lüneburg'schen Envoye', Herrn Boehmer und dessen Fräulein Tochter, aufzu¬ warten und mit allerhand Confitüren und delicaten Weinen regaliret zu werden. pariser Ariefe. Eine gute Polizei zu haben ist eine wichtige Aufgabe, die Frankreich nie genügend gelöst hat. Polizeiwissenschaft ist etwas Unerhörtes hier. Batele war ein Kürassieroffizier und ein Gemäldeliebhaber, der aus einem Polizeipräfecten zum Senator geworden ist, ohne außerordentliche Dienste geleistet zu haben- Rebillot war Gensdarmen-Oberst, der die Ehre gehabt den Prinzen Louis- Napoleon unter Louis Philipp gefangen eingezogen zu haben, aber obgleich er Horaz mit einem Auge las, hat er in der Polizei nicht weit gesehen. Benjamin Delessert reportirte dem König den Tag vor der Februar-Revolution, daß er für die Ruhe der Stadt gut stehe! Pietri der jüngere hat nicht eingesehen daß Jules Favre während zwanzig Jahren die Seele der Opposition war und daß man die Mittel haben konnte ihn zum Schweigen zu bringen. Statt dessen hat man ihm zum Eintritt in Akademie verholfen und es gab eine Zeit wo er mit E, Ollivier im selben Ministerium zu sitzen hoffte. Als ich während der Belagerung von Paris bei einem Musikhändler sagte, daß I. Favre einst Oliviers Hand drückte, rief mir ein Freiwilliger zu: — Wenn Sie, mein Herr, nicht so alt wären, würde ich von Ihnen dafür Genugthuung ver¬ langt haben. — Nehmen Sie mein Alter in keine Betrachtung, antwortete ich ihm, da ich Fechtmeister bin, mag das Gleichgewicht dadurch hergestellt werden. Der junge Mann aber zog vor, sich mit mir nicht zumessen und da die Zeit mir Recht gegeben hat, mag ich hinzufügen daß Herr Jules Favre jetzt auf seinen Oekonomien eine Gemälde-Galerie sich zu sammeln angefangen hat. Auch Jules Simon giebt sich mit Kunstgegenständen ab, seitdem das Kunstministerium mit dem der Volksaufklärung verbunden ist. Was die französischen Minister nicht Alles lernen müssen, nachdem sie Minister geworden sind, ist erstaunlich. Herr Leon Renault, der jetzige Polizei-Prcifect, ist ein Hausfreund von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/116>, abgerufen am 21.12.2024.