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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Heinrich von HreitschKe.*)

Es war im Sommer des Jahres 1864, als innerhalb der großen libe¬
ralen gegen das preußische Ministerium vereinigten Partei einzelne Bedenken
gegen die Unfehlbarkeit der oppositionellen Tendenzen sich zuerst regten. Ge¬
rade die aufgeklärtesten Kreise, gerade die eigentlich politisch denkenden Köpfe
unserer Nation waren ja von der allgemeinen liberalen Oppositionspartei
umschlossen: es konnte nicht fehlen, daß der Gang der Dinge in Preußen und
in Deutschland an mehr als einer Stelle Einzelne stutzig machte. Nicht als
ob irgend welche Zweifel über die Verwerflichkeit der Reactionsbestrebungen,
über die Bodenlosigkeit der berüchtigten "Lückentheorie" oder über die Ge¬
hässigkeit des auf das persönlichste Gebiet übertragenen Parteieifers des Junker¬
ministeriums hätten aufkommen können oder dürfen. Nein darüber waren alle
Liberalen einig. Aber bei dem großen Zuge der auswärtigen Politik, den
widerwillig oder gerne seit 1864 die Einsichtigen als thatsächlich vorhanden
anerkennen mußten, bei dem von dem verhaßten "Junker" Bismarck ganz er¬
sichtlich in die Hand genommenen Plane, bestimmte Aufgaben der preußischen
Politik mit festem Entschlüsse lösen zu wollen, -- da mußte sich doch vielen
Liberalen die Erwägung aufdrängen, daß auch dies durch und durch reactionäre
oder doch wenigstens antiliberale Ministerium den Interessen des preußischen
Staates am Ende nützlich werden könne. Die Liberalen hatten bisher die
deutsche Frage als ihre eigenste Domaine betrachtet. Die Parteistellung von
1848 und 1849 wirkte noch nach: es war wohl schwerlich einem Liberalen in
den Sinn gekommen, daß die preußischen Junker das Programm der "Gothaer"
oder der "Coburger" oder des Nationalvereines in seinen Anfängen zu ver¬
wirklichen sich entschließen könnten. Wenn 1862 hier und da verlautet hatte,
Herr von Bismarck gehe mit dergleichen Gedanken schwanger, so wurde das
wie ein schlechter Witz angesehen und belacht. Wenn 1863 von der beabsich-
tigten deutschen "Action" des Ministerpräsidenten geredet wurde, so begegnete
das erst recht nur ungläubigen Gemüthern oder wurde als eine böswillige



Historische und politische Aufsätze von Heinrich von Treitschke. Vierte vermehrte Aufl.
3 Bde. Leipzig, Verlag v. S. Hirzel. 1871.
Grenzboten II. 1872. ß
Heinrich von HreitschKe.*)

Es war im Sommer des Jahres 1864, als innerhalb der großen libe¬
ralen gegen das preußische Ministerium vereinigten Partei einzelne Bedenken
gegen die Unfehlbarkeit der oppositionellen Tendenzen sich zuerst regten. Ge¬
rade die aufgeklärtesten Kreise, gerade die eigentlich politisch denkenden Köpfe
unserer Nation waren ja von der allgemeinen liberalen Oppositionspartei
umschlossen: es konnte nicht fehlen, daß der Gang der Dinge in Preußen und
in Deutschland an mehr als einer Stelle Einzelne stutzig machte. Nicht als
ob irgend welche Zweifel über die Verwerflichkeit der Reactionsbestrebungen,
über die Bodenlosigkeit der berüchtigten „Lückentheorie" oder über die Ge¬
hässigkeit des auf das persönlichste Gebiet übertragenen Parteieifers des Junker¬
ministeriums hätten aufkommen können oder dürfen. Nein darüber waren alle
Liberalen einig. Aber bei dem großen Zuge der auswärtigen Politik, den
widerwillig oder gerne seit 1864 die Einsichtigen als thatsächlich vorhanden
anerkennen mußten, bei dem von dem verhaßten „Junker" Bismarck ganz er¬
sichtlich in die Hand genommenen Plane, bestimmte Aufgaben der preußischen
Politik mit festem Entschlüsse lösen zu wollen, — da mußte sich doch vielen
Liberalen die Erwägung aufdrängen, daß auch dies durch und durch reactionäre
oder doch wenigstens antiliberale Ministerium den Interessen des preußischen
Staates am Ende nützlich werden könne. Die Liberalen hatten bisher die
deutsche Frage als ihre eigenste Domaine betrachtet. Die Parteistellung von
1848 und 1849 wirkte noch nach: es war wohl schwerlich einem Liberalen in
den Sinn gekommen, daß die preußischen Junker das Programm der „Gothaer"
oder der „Coburger" oder des Nationalvereines in seinen Anfängen zu ver¬
wirklichen sich entschließen könnten. Wenn 1862 hier und da verlautet hatte,
Herr von Bismarck gehe mit dergleichen Gedanken schwanger, so wurde das
wie ein schlechter Witz angesehen und belacht. Wenn 1863 von der beabsich-
tigten deutschen „Action" des Ministerpräsidenten geredet wurde, so begegnete
das erst recht nur ungläubigen Gemüthern oder wurde als eine böswillige



Historische und politische Aufsätze von Heinrich von Treitschke. Vierte vermehrte Aufl.
3 Bde. Leipzig, Verlag v. S. Hirzel. 1871.
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[0049] Heinrich von HreitschKe.*) Es war im Sommer des Jahres 1864, als innerhalb der großen libe¬ ralen gegen das preußische Ministerium vereinigten Partei einzelne Bedenken gegen die Unfehlbarkeit der oppositionellen Tendenzen sich zuerst regten. Ge¬ rade die aufgeklärtesten Kreise, gerade die eigentlich politisch denkenden Köpfe unserer Nation waren ja von der allgemeinen liberalen Oppositionspartei umschlossen: es konnte nicht fehlen, daß der Gang der Dinge in Preußen und in Deutschland an mehr als einer Stelle Einzelne stutzig machte. Nicht als ob irgend welche Zweifel über die Verwerflichkeit der Reactionsbestrebungen, über die Bodenlosigkeit der berüchtigten „Lückentheorie" oder über die Ge¬ hässigkeit des auf das persönlichste Gebiet übertragenen Parteieifers des Junker¬ ministeriums hätten aufkommen können oder dürfen. Nein darüber waren alle Liberalen einig. Aber bei dem großen Zuge der auswärtigen Politik, den widerwillig oder gerne seit 1864 die Einsichtigen als thatsächlich vorhanden anerkennen mußten, bei dem von dem verhaßten „Junker" Bismarck ganz er¬ sichtlich in die Hand genommenen Plane, bestimmte Aufgaben der preußischen Politik mit festem Entschlüsse lösen zu wollen, — da mußte sich doch vielen Liberalen die Erwägung aufdrängen, daß auch dies durch und durch reactionäre oder doch wenigstens antiliberale Ministerium den Interessen des preußischen Staates am Ende nützlich werden könne. Die Liberalen hatten bisher die deutsche Frage als ihre eigenste Domaine betrachtet. Die Parteistellung von 1848 und 1849 wirkte noch nach: es war wohl schwerlich einem Liberalen in den Sinn gekommen, daß die preußischen Junker das Programm der „Gothaer" oder der „Coburger" oder des Nationalvereines in seinen Anfängen zu ver¬ wirklichen sich entschließen könnten. Wenn 1862 hier und da verlautet hatte, Herr von Bismarck gehe mit dergleichen Gedanken schwanger, so wurde das wie ein schlechter Witz angesehen und belacht. Wenn 1863 von der beabsich- tigten deutschen „Action" des Ministerpräsidenten geredet wurde, so begegnete das erst recht nur ungläubigen Gemüthern oder wurde als eine böswillige Historische und politische Aufsätze von Heinrich von Treitschke. Vierte vermehrte Aufl. 3 Bde. Leipzig, Verlag v. S. Hirzel. 1871. Grenzboten II. 1872. ß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/49>, abgerufen am 03.07.2024.