Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.Europa ruhig". Heut dürfen wir sagen: die Laune Frankreichs, mag es mit Dom deutschen Keichstag. Am 30. October fand die erste Berathung der Reichhaushaltsaufstellung Europa ruhig". Heut dürfen wir sagen: die Laune Frankreichs, mag es mit Dom deutschen Keichstag. Am 30. October fand die erste Berathung der Reichhaushaltsaufstellung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192546"/> <p xml:id="ID_926" prev="#ID_925"> Europa ruhig". Heut dürfen wir sagen: die Laune Frankreichs, mag es mit<lb/> dem Communismus, mit dem alten oder einem jungen Caesar spielen, ist<lb/> Europa gleichgültig, seitdem es den Arm besitzt, der die Ausschreitungen die¬<lb/> ser Laune nöthigenfalls im Zaume hält.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Dom deutschen Keichstag.</head><lb/> <p xml:id="ID_927" next="#ID_928"> Am 30. October fand die erste Berathung der Reichhaushaltsaufstellung<lb/> statt. Die erste Berathung eines so verwickelten und großen Gegenstandes<lb/> gab erklärlicher Weise nur zu allgemeinen Bemerkungen von verschiedenen<lb/> Seiten Anlaß. Der conservative Abgeordnete von Wedell lieh sicherlich mehr<lb/> als einer Parteimeinung Ausdruck, wenn er den Etat als einen so gro߬<lb/> artigen und glänzenden bezeichnete, wie er kaum fe einer Volksvertretung<lb/> vorgelegt worden. Mußte doch der ultramontane Abgeordnete Grell denselben<lb/> Eindruck anerkennen, natürlich um sich sofort zur Bekämpfung der „Militair-<lb/> last" zu wenden. Die Beweggründe des Ultramontanismus in diesem Kampf<lb/> gegen die deutsche Streitbarkeit sind nur allzu durchsichtig. So sahen wir<lb/> denn den Abgeordneten Laster, dessen Patriotismus niemals bezweifelt werden<lb/> kann, zum ersten Male als Vertheidiger eines beträchtlichen Heeraufwandes<lb/> hervortreten. Ein militärischer Tagesschriftstcller, der sich zur freiconservativen<lb/> Partei zählt, schrieb kürzlich, der Abg. Laster habe am 30. October nicht<lb/> seinen glücklichen Tag gehabt. Wir fanden, daß dieser Abgeordnete noch<lb/> niemals einen so guten Tag gehabt hat. Wir freuen uns. daß endlich ein¬<lb/> mal ein Vertreter des vorgeschrittenen Liberalismus den Muth und die Ein¬<lb/> sicht gehabt hat, die Ansicht für veraltet zu erklären, als sei eine starke Armee<lb/> ein Hinderniß der Freiheit. Gewiß hatte der Redner Recht, wenn er sagte,<lb/> es ist wichtig, auszusprechen und die Nation mit dem Gedanken vertraut zu<lb/> machen, daß ihre Freiheit und ihre Macht in Waffen nicht unverträgliche<lb/> Gegensätze sind. Wir hätten noch lieber gesehen, wenn der Abgeordnete den<lb/> Gegensatz etwas deutlicher gefaßt hätte. Es handelt sich darum, das gro߬<lb/> artige Institut des preußischen Heeres,', wie es seit 1815 bis auf die Gegen¬<lb/> wart sich entwickelt hat, nicht länger im Gegensatz zu denken mit der zukunft¬<lb/> reichen Entwickelung des deutschen Staates. Es ist freilich längst Mode ge¬<lb/> worden, die allgemeine Wehrpflicht zu preisen und was in Preußen bereits<lb/> Mode war. fängt jetzt an, in Europa Mode zu werden. Aber der unter¬<lb/> scheidende Charakter des preußischen Heeres, dessen Charakter ja auf das<lb/> deutsche Heer übergehen soll und zum Theil übergegangen ist, beruht nicht<lb/> allein in der allgemeinen Wehrpflicht, sondern ebenso in denjenigen In¬<lb/> stitutionen, welche bewirkt haben, daß die allgemeine Wehrpflicht nicht eine<lb/> ohnmächtige Miliz, sondern eine in Bezug auf Technik und kriegerischen Geist<lb/> vollendete Armee geliefert hat. Es ist hohe Zeit, sagen wir, daß der Libe¬<lb/> ralismus, soweit er patriotisch sein will, die Aufgabe einsieht und sich zu ihr<lb/> bekennt, das in seinem Wesen unangetastet zu erhaltende preußische Heer mit<lb/> den künftigen Institutionen des deutschen Heeres organisch zu verschmelzen.<lb/> Ohne das" Bewußtsein dieser Aufgabe bleiben Liberalismus und Heer die<lb/> feindlichen Pole des 'Staatswesens, die sich verhalten wie Staatszerrüttung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0245]
Europa ruhig". Heut dürfen wir sagen: die Laune Frankreichs, mag es mit
dem Communismus, mit dem alten oder einem jungen Caesar spielen, ist
Europa gleichgültig, seitdem es den Arm besitzt, der die Ausschreitungen die¬
ser Laune nöthigenfalls im Zaume hält.
Dom deutschen Keichstag.
Am 30. October fand die erste Berathung der Reichhaushaltsaufstellung
statt. Die erste Berathung eines so verwickelten und großen Gegenstandes
gab erklärlicher Weise nur zu allgemeinen Bemerkungen von verschiedenen
Seiten Anlaß. Der conservative Abgeordnete von Wedell lieh sicherlich mehr
als einer Parteimeinung Ausdruck, wenn er den Etat als einen so gro߬
artigen und glänzenden bezeichnete, wie er kaum fe einer Volksvertretung
vorgelegt worden. Mußte doch der ultramontane Abgeordnete Grell denselben
Eindruck anerkennen, natürlich um sich sofort zur Bekämpfung der „Militair-
last" zu wenden. Die Beweggründe des Ultramontanismus in diesem Kampf
gegen die deutsche Streitbarkeit sind nur allzu durchsichtig. So sahen wir
denn den Abgeordneten Laster, dessen Patriotismus niemals bezweifelt werden
kann, zum ersten Male als Vertheidiger eines beträchtlichen Heeraufwandes
hervortreten. Ein militärischer Tagesschriftstcller, der sich zur freiconservativen
Partei zählt, schrieb kürzlich, der Abg. Laster habe am 30. October nicht
seinen glücklichen Tag gehabt. Wir fanden, daß dieser Abgeordnete noch
niemals einen so guten Tag gehabt hat. Wir freuen uns. daß endlich ein¬
mal ein Vertreter des vorgeschrittenen Liberalismus den Muth und die Ein¬
sicht gehabt hat, die Ansicht für veraltet zu erklären, als sei eine starke Armee
ein Hinderniß der Freiheit. Gewiß hatte der Redner Recht, wenn er sagte,
es ist wichtig, auszusprechen und die Nation mit dem Gedanken vertraut zu
machen, daß ihre Freiheit und ihre Macht in Waffen nicht unverträgliche
Gegensätze sind. Wir hätten noch lieber gesehen, wenn der Abgeordnete den
Gegensatz etwas deutlicher gefaßt hätte. Es handelt sich darum, das gro߬
artige Institut des preußischen Heeres,', wie es seit 1815 bis auf die Gegen¬
wart sich entwickelt hat, nicht länger im Gegensatz zu denken mit der zukunft¬
reichen Entwickelung des deutschen Staates. Es ist freilich längst Mode ge¬
worden, die allgemeine Wehrpflicht zu preisen und was in Preußen bereits
Mode war. fängt jetzt an, in Europa Mode zu werden. Aber der unter¬
scheidende Charakter des preußischen Heeres, dessen Charakter ja auf das
deutsche Heer übergehen soll und zum Theil übergegangen ist, beruht nicht
allein in der allgemeinen Wehrpflicht, sondern ebenso in denjenigen In¬
stitutionen, welche bewirkt haben, daß die allgemeine Wehrpflicht nicht eine
ohnmächtige Miliz, sondern eine in Bezug auf Technik und kriegerischen Geist
vollendete Armee geliefert hat. Es ist hohe Zeit, sagen wir, daß der Libe¬
ralismus, soweit er patriotisch sein will, die Aufgabe einsieht und sich zu ihr
bekennt, das in seinem Wesen unangetastet zu erhaltende preußische Heer mit
den künftigen Institutionen des deutschen Heeres organisch zu verschmelzen.
Ohne das" Bewußtsein dieser Aufgabe bleiben Liberalismus und Heer die
feindlichen Pole des 'Staatswesens, die sich verhalten wie Staatszerrüttung
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