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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Hauptstadt einen übermächtigen Einfluß auf die Regierung und auf die Volks¬
vertretung übt. Das ist in Preußen ein einzigesmal, im Jahre 1848 ge-'
Seschen. Seitdem ist niemals etwas Aehnliches vorgekommen. Die Social¬
demokratie hat ihren Hauptsitz in abgelegenen Fabrikstädten und wenn jetzt
nach der vollständigen Zerfahrenheit aller politischen Parteien einmal ein
neuer Anstoß gegeben werden wird, was ja früher oder später sicher eintreten
muß, so kann man sicher sein, daß ihn Berlin nicht geben wird. Deshalb
kann man auch das rasche Wachsthum Berlins sehr ruhig mit ansehen. Es
enthält keine Gefahr und wenn es eine solche enthielte, so würde sich dagegen
nichts durch Gewalt thun lassen, am Wenigsten durch eine Beschränkung der
mühsam erworbenen und nie wieder rückgängig zu machenden Freizügigkeit,
sondern nur durch eine Stärkung der vorhandenen Gegengewichte, die in
--o.^V.-- einem selbständigen, kraftvollen Provinzialleven liegen.




Die jesuitisch- Klerikale Partei und das deutsche Keich.

Am 21. Juni Abends brachte die Neue Preußische Zeitung einen Artikel
gegen die klerikale Partei, der nicht verfehlen konnte, in ganz Deutschland
Aufmerksamkeit zu erregen. Der Artikel besprach die kleriale Fraction des
Reichstags und erklärte, diese Fraction habe vergeblich sich dadurch einen
politischen Anstrich zu geben versucht, daß sie den Namen "Fraction des Cen¬
trums" angenommen. Die Fraction sei gebildet von den Koryphäen derjeni¬
gen Partei innerhalb der katholischen Kirche, welche als die Bundesgenossin
des römischen Jesuitismus bezeichnet werden müsse. Es habe diese Partei alle
Mittel in Bewegung gesetzt, um die Einheit Deutschlands und zumal die
Gründung des deutschen Reiches zu hindern.

In der That, wem fallen bei diesen Sätzen nicht die ultramontanen
Intriguen ein, durch welche noch im Anfang des Jahres 1870 das Ministe¬
rium Hohenlohe in Baiern gestürzt wurde, wer erinnert sich nicht dabei der
Thätigkeit des Herrn Windthorst, des einstigen Welsenministers, der nunmehr
als Welfenminister in rM'dibus zu betrachten ist. Gerade Herr Windthorst
aber ist die Seele der sogenannten Fraction des Centrums. Und wie steht
es mit dem hochwürdigen Bischof von Mainz, Herrn von Ketteler? Des
deutschen Reiches Gönner sitzen in dieser Fraction nicht vereinigt, das sieht
ein Blinder. Sollte das ein Zufall sein? Sollte wirklich eine gemeinschaft¬
liche Ansicht über die besten Mittel, das deutsche Reich zu festigen und in seinen
wohlthätigen Leistungen zu fördern, diese Herren zusammengeführt haben?
Die Miene, daß man bloß eine besondere Ansicht vertrete, wie dem deutschen
Reich am besten zu dienen sei, hat das "Centrum" allerdings angenommen.
Es wäre unklug gewesen, eine so lange ersehnte Bildung, wie das deutsche
Reich, die so kraftvoll in die Wirklichkeit getreten, mit offenen Waffen zu be¬
kämpfen. Die indirecten Waffen, das Reich in seinen Lebensbedingungen und


Hauptstadt einen übermächtigen Einfluß auf die Regierung und auf die Volks¬
vertretung übt. Das ist in Preußen ein einzigesmal, im Jahre 1848 ge-'
Seschen. Seitdem ist niemals etwas Aehnliches vorgekommen. Die Social¬
demokratie hat ihren Hauptsitz in abgelegenen Fabrikstädten und wenn jetzt
nach der vollständigen Zerfahrenheit aller politischen Parteien einmal ein
neuer Anstoß gegeben werden wird, was ja früher oder später sicher eintreten
muß, so kann man sicher sein, daß ihn Berlin nicht geben wird. Deshalb
kann man auch das rasche Wachsthum Berlins sehr ruhig mit ansehen. Es
enthält keine Gefahr und wenn es eine solche enthielte, so würde sich dagegen
nichts durch Gewalt thun lassen, am Wenigsten durch eine Beschränkung der
mühsam erworbenen und nie wieder rückgängig zu machenden Freizügigkeit,
sondern nur durch eine Stärkung der vorhandenen Gegengewichte, die in
—o.^V.— einem selbständigen, kraftvollen Provinzialleven liegen.




Die jesuitisch- Klerikale Partei und das deutsche Keich.

Am 21. Juni Abends brachte die Neue Preußische Zeitung einen Artikel
gegen die klerikale Partei, der nicht verfehlen konnte, in ganz Deutschland
Aufmerksamkeit zu erregen. Der Artikel besprach die kleriale Fraction des
Reichstags und erklärte, diese Fraction habe vergeblich sich dadurch einen
politischen Anstrich zu geben versucht, daß sie den Namen „Fraction des Cen¬
trums" angenommen. Die Fraction sei gebildet von den Koryphäen derjeni¬
gen Partei innerhalb der katholischen Kirche, welche als die Bundesgenossin
des römischen Jesuitismus bezeichnet werden müsse. Es habe diese Partei alle
Mittel in Bewegung gesetzt, um die Einheit Deutschlands und zumal die
Gründung des deutschen Reiches zu hindern.

In der That, wem fallen bei diesen Sätzen nicht die ultramontanen
Intriguen ein, durch welche noch im Anfang des Jahres 1870 das Ministe¬
rium Hohenlohe in Baiern gestürzt wurde, wer erinnert sich nicht dabei der
Thätigkeit des Herrn Windthorst, des einstigen Welsenministers, der nunmehr
als Welfenminister in rM'dibus zu betrachten ist. Gerade Herr Windthorst
aber ist die Seele der sogenannten Fraction des Centrums. Und wie steht
es mit dem hochwürdigen Bischof von Mainz, Herrn von Ketteler? Des
deutschen Reiches Gönner sitzen in dieser Fraction nicht vereinigt, das sieht
ein Blinder. Sollte das ein Zufall sein? Sollte wirklich eine gemeinschaft¬
liche Ansicht über die besten Mittel, das deutsche Reich zu festigen und in seinen
wohlthätigen Leistungen zu fördern, diese Herren zusammengeführt haben?
Die Miene, daß man bloß eine besondere Ansicht vertrete, wie dem deutschen
Reich am besten zu dienen sei, hat das „Centrum" allerdings angenommen.
Es wäre unklug gewesen, eine so lange ersehnte Bildung, wie das deutsche
Reich, die so kraftvoll in die Wirklichkeit getreten, mit offenen Waffen zu be¬
kämpfen. Die indirecten Waffen, das Reich in seinen Lebensbedingungen und


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[0086] Hauptstadt einen übermächtigen Einfluß auf die Regierung und auf die Volks¬ vertretung übt. Das ist in Preußen ein einzigesmal, im Jahre 1848 ge-' Seschen. Seitdem ist niemals etwas Aehnliches vorgekommen. Die Social¬ demokratie hat ihren Hauptsitz in abgelegenen Fabrikstädten und wenn jetzt nach der vollständigen Zerfahrenheit aller politischen Parteien einmal ein neuer Anstoß gegeben werden wird, was ja früher oder später sicher eintreten muß, so kann man sicher sein, daß ihn Berlin nicht geben wird. Deshalb kann man auch das rasche Wachsthum Berlins sehr ruhig mit ansehen. Es enthält keine Gefahr und wenn es eine solche enthielte, so würde sich dagegen nichts durch Gewalt thun lassen, am Wenigsten durch eine Beschränkung der mühsam erworbenen und nie wieder rückgängig zu machenden Freizügigkeit, sondern nur durch eine Stärkung der vorhandenen Gegengewichte, die in —o.^V.— einem selbständigen, kraftvollen Provinzialleven liegen. Die jesuitisch- Klerikale Partei und das deutsche Keich. Am 21. Juni Abends brachte die Neue Preußische Zeitung einen Artikel gegen die klerikale Partei, der nicht verfehlen konnte, in ganz Deutschland Aufmerksamkeit zu erregen. Der Artikel besprach die kleriale Fraction des Reichstags und erklärte, diese Fraction habe vergeblich sich dadurch einen politischen Anstrich zu geben versucht, daß sie den Namen „Fraction des Cen¬ trums" angenommen. Die Fraction sei gebildet von den Koryphäen derjeni¬ gen Partei innerhalb der katholischen Kirche, welche als die Bundesgenossin des römischen Jesuitismus bezeichnet werden müsse. Es habe diese Partei alle Mittel in Bewegung gesetzt, um die Einheit Deutschlands und zumal die Gründung des deutschen Reiches zu hindern. In der That, wem fallen bei diesen Sätzen nicht die ultramontanen Intriguen ein, durch welche noch im Anfang des Jahres 1870 das Ministe¬ rium Hohenlohe in Baiern gestürzt wurde, wer erinnert sich nicht dabei der Thätigkeit des Herrn Windthorst, des einstigen Welsenministers, der nunmehr als Welfenminister in rM'dibus zu betrachten ist. Gerade Herr Windthorst aber ist die Seele der sogenannten Fraction des Centrums. Und wie steht es mit dem hochwürdigen Bischof von Mainz, Herrn von Ketteler? Des deutschen Reiches Gönner sitzen in dieser Fraction nicht vereinigt, das sieht ein Blinder. Sollte das ein Zufall sein? Sollte wirklich eine gemeinschaft¬ liche Ansicht über die besten Mittel, das deutsche Reich zu festigen und in seinen wohlthätigen Leistungen zu fördern, diese Herren zusammengeführt haben? Die Miene, daß man bloß eine besondere Ansicht vertrete, wie dem deutschen Reich am besten zu dienen sei, hat das „Centrum" allerdings angenommen. Es wäre unklug gewesen, eine so lange ersehnte Bildung, wie das deutsche Reich, die so kraftvoll in die Wirklichkeit getreten, mit offenen Waffen zu be¬ kämpfen. Die indirecten Waffen, das Reich in seinen Lebensbedingungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/86>, abgerufen am 24.07.2024.