Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.Die Entwickelung der Tagespresse in den Vereinigten Staaten. Es ist eine unleugbare Wahrheit, daß, wenn wir gewöhnt sind, täglich Wenn eine Nation sich daran gewöhnt hat, ihren Geist an öffentlichen Grmzlwtm II. 1871. 5" -
Die Entwickelung der Tagespresse in den Vereinigten Staaten. Es ist eine unleugbare Wahrheit, daß, wenn wir gewöhnt sind, täglich Wenn eine Nation sich daran gewöhnt hat, ihren Geist an öffentlichen Grmzlwtm II. 1871. 5« -
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0449" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126725"/> </div> <div n="1"> <head> Die Entwickelung der Tagespresse in den Vereinigten<lb/> Staaten.</head><lb/> <p xml:id="ID_1375"> Es ist eine unleugbare Wahrheit, daß, wenn wir gewöhnt sind, täglich<lb/> irgend Jemand über Gegenstände von Interesse sprechen zu hören, wir auch<lb/> seinen Ansichten und Meinungen ein gewisses Zutrauen schenken: und wenn<lb/> dann auch noch die Rauheiten seiner Logik durch eine geschickte Rhetorik ge¬<lb/> mildert werden, so werden seine Meinungen und Rathschläge, zum Theil selbst<lb/> gegen unsern Willen, mannigfach von uns adoptirt werden, mindestens einen<lb/> controllirenden und starken Einfluß auf uns ausüben. Das Zeitungsblatt<lb/> einer freien Presse nimmt heute diese Stellung ein; lange schon überwacht es<lb/> mit aufmerksamem Auge das Thun und Treiben der Regierungen und Völker,<lb/> lange schon ist es das tägliche Orakel der Gesellschaft geworden, und der je¬<lb/> desmalige geistige wie gesellschaftliche Zustand eines Volkes kann mit ziem¬<lb/> licher Genauigkeit aus dem Charakter und der Fähigkeit seiner Tagespresse<lb/> beurtheilt werden. Denn sie vor allem ist berufen, der großen Masse der<lb/> Leser die allgemeinen und wahren Principien des socialen und politischen<lb/> Lebens nahe zu führen und zu erläutern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1376" next="#ID_1377"> Wenn eine Nation sich daran gewöhnt hat, ihren Geist an öffentlichen<lb/> Gegenständen auszubilden, so erlangen ihre moralischen Gefühle kräftigere<lb/> Schwingungen, ihre aufwallenden und vulgären Leidenschaften werden geläu¬<lb/> tert und besser regulirt und die ganze geistige Oekonomie des Staates wird<lb/> bestimmteren und festeren Gegenständen und Maßnahmen zugewendet, die<lb/> nur aus einer, alle Zeit sich verbessernden Form ihren Ursprung nehmen kön¬<lb/> nen. Keine größere Gefahr giebt es für irgend eine politische Macht als<lb/> Unwissenheit, — ist Frankreich uns nicht ein lebendiges Zeugniß für diese<lb/> Wahrheit? Doch wer dagegen wollte leugnen, daß das amerikanische Volk<lb/> der V. Se. auf vorzügliche Weise durch seine Presse repräsentirt sei? Diese<lb/> Presse hat allerdings ihre großen und zahlreichen Fehler: gar manchen Irr¬<lb/> thümern hängt sie an, nach gar manchen falschen Voraussetzungen schließt<lb/> sie; gar häufig dient sie den niedrigsten menschlichen Leidenschaften zum He-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmzlwtm II. 1871. 5« -</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0449]
Die Entwickelung der Tagespresse in den Vereinigten
Staaten.
Es ist eine unleugbare Wahrheit, daß, wenn wir gewöhnt sind, täglich
irgend Jemand über Gegenstände von Interesse sprechen zu hören, wir auch
seinen Ansichten und Meinungen ein gewisses Zutrauen schenken: und wenn
dann auch noch die Rauheiten seiner Logik durch eine geschickte Rhetorik ge¬
mildert werden, so werden seine Meinungen und Rathschläge, zum Theil selbst
gegen unsern Willen, mannigfach von uns adoptirt werden, mindestens einen
controllirenden und starken Einfluß auf uns ausüben. Das Zeitungsblatt
einer freien Presse nimmt heute diese Stellung ein; lange schon überwacht es
mit aufmerksamem Auge das Thun und Treiben der Regierungen und Völker,
lange schon ist es das tägliche Orakel der Gesellschaft geworden, und der je¬
desmalige geistige wie gesellschaftliche Zustand eines Volkes kann mit ziem¬
licher Genauigkeit aus dem Charakter und der Fähigkeit seiner Tagespresse
beurtheilt werden. Denn sie vor allem ist berufen, der großen Masse der
Leser die allgemeinen und wahren Principien des socialen und politischen
Lebens nahe zu führen und zu erläutern.
Wenn eine Nation sich daran gewöhnt hat, ihren Geist an öffentlichen
Gegenständen auszubilden, so erlangen ihre moralischen Gefühle kräftigere
Schwingungen, ihre aufwallenden und vulgären Leidenschaften werden geläu¬
tert und besser regulirt und die ganze geistige Oekonomie des Staates wird
bestimmteren und festeren Gegenständen und Maßnahmen zugewendet, die
nur aus einer, alle Zeit sich verbessernden Form ihren Ursprung nehmen kön¬
nen. Keine größere Gefahr giebt es für irgend eine politische Macht als
Unwissenheit, — ist Frankreich uns nicht ein lebendiges Zeugniß für diese
Wahrheit? Doch wer dagegen wollte leugnen, daß das amerikanische Volk
der V. Se. auf vorzügliche Weise durch seine Presse repräsentirt sei? Diese
Presse hat allerdings ihre großen und zahlreichen Fehler: gar manchen Irr¬
thümern hängt sie an, nach gar manchen falschen Voraussetzungen schließt
sie; gar häufig dient sie den niedrigsten menschlichen Leidenschaften zum He-
Grmzlwtm II. 1871. 5« -
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |