Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die jüngste Parlaments-Session in Algland.
I. Fragen der äußern Politik.

Die gewaltige Umwälzung, welche das vergangene Jahr in den politischen
Machtverhältnissen der Nationen erzeugte, tritt zwar nicht sehr deutlich in der
überaus langen Thronrede hervor, mit welcher am 9. Februar d. I. das
Parlament in London eröffnet wurde, wohl aber in den Verhandlungen des
englischen Parlaments. Diese Verhandlungen nahmen bald ein sehr lebhaftes
Gepräge an und beanspruchen in weit höherem Grade das allgemeine Inter¬
esse, als seit Jahren der Fall war. Allerdings erkennt auch die Thronrede
im Eingange die kritische Lage an.

In den Verhandlungen des Parlaments boten sich eine Menge Punkte
der Betrachtung dar, welche das englische Volk und dessen Vertreter, wie die
Ansichten und Absichten des englischen Ministeriums charakterisiren und
manche grelle Schlaglichter auf die Situation werfen. Es sind das vor
Allem die Interpellationen und Debatten über die Pontus frage und
deren Abschluß, über den deutsch-französischen Krieg und den
Präliminarfrieden, über die Militär-Organisation und die
Steuererhöhungen und über das Budget. Die Gesammtheit der Debat¬
ten wird charakterisirt durch die eigenthümliche Erscheinung, daß die Redner
aus allen Parteien, sowohl aus der liberalen des' Cabinets und ihren Schat-
tirungen, wie aus der radicalen und der conservativen (Torys) das Ministe¬
rium bei den verschiedensten Punkten heftig angriffen, ihm auch bei einigen
Gelegenheiten Niederlagen beibrachten, daß die Majorität trotzdem aber die
Absicht aufrecht erhielt und durchführte, den Rücktritt des Ministeriums nicht
herbeizuführen.

Bei den Adreßdebarten verlief die Annahme der im Oberhause von
Lord Westminster beantragten Adresse, die hier wie im Unterhause oft nur
eine Umschreibung der Thronrede ist, sehr glatt. In der Darlegung der


Gmizboten II. 1871, gi
Die jüngste Parlaments-Session in Algland.
I. Fragen der äußern Politik.

Die gewaltige Umwälzung, welche das vergangene Jahr in den politischen
Machtverhältnissen der Nationen erzeugte, tritt zwar nicht sehr deutlich in der
überaus langen Thronrede hervor, mit welcher am 9. Februar d. I. das
Parlament in London eröffnet wurde, wohl aber in den Verhandlungen des
englischen Parlaments. Diese Verhandlungen nahmen bald ein sehr lebhaftes
Gepräge an und beanspruchen in weit höherem Grade das allgemeine Inter¬
esse, als seit Jahren der Fall war. Allerdings erkennt auch die Thronrede
im Eingange die kritische Lage an.

In den Verhandlungen des Parlaments boten sich eine Menge Punkte
der Betrachtung dar, welche das englische Volk und dessen Vertreter, wie die
Ansichten und Absichten des englischen Ministeriums charakterisiren und
manche grelle Schlaglichter auf die Situation werfen. Es sind das vor
Allem die Interpellationen und Debatten über die Pontus frage und
deren Abschluß, über den deutsch-französischen Krieg und den
Präliminarfrieden, über die Militär-Organisation und die
Steuererhöhungen und über das Budget. Die Gesammtheit der Debat¬
ten wird charakterisirt durch die eigenthümliche Erscheinung, daß die Redner
aus allen Parteien, sowohl aus der liberalen des' Cabinets und ihren Schat-
tirungen, wie aus der radicalen und der conservativen (Torys) das Ministe¬
rium bei den verschiedensten Punkten heftig angriffen, ihm auch bei einigen
Gelegenheiten Niederlagen beibrachten, daß die Majorität trotzdem aber die
Absicht aufrecht erhielt und durchführte, den Rücktritt des Ministeriums nicht
herbeizuführen.

Bei den Adreßdebarten verlief die Annahme der im Oberhause von
Lord Westminster beantragten Adresse, die hier wie im Unterhause oft nur
eine Umschreibung der Thronrede ist, sehr glatt. In der Darlegung der


Gmizboten II. 1871, gi
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126685"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die jüngste Parlaments-Session in Algland.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> I. Fragen der äußern Politik.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1238"> Die gewaltige Umwälzung, welche das vergangene Jahr in den politischen<lb/>
Machtverhältnissen der Nationen erzeugte, tritt zwar nicht sehr deutlich in der<lb/>
überaus langen Thronrede hervor, mit welcher am 9. Februar d. I. das<lb/>
Parlament in London eröffnet wurde, wohl aber in den Verhandlungen des<lb/>
englischen Parlaments. Diese Verhandlungen nahmen bald ein sehr lebhaftes<lb/>
Gepräge an und beanspruchen in weit höherem Grade das allgemeine Inter¬<lb/>
esse, als seit Jahren der Fall war. Allerdings erkennt auch die Thronrede<lb/>
im Eingange die kritische Lage an.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1239"> In den Verhandlungen des Parlaments boten sich eine Menge Punkte<lb/>
der Betrachtung dar, welche das englische Volk und dessen Vertreter, wie die<lb/>
Ansichten und Absichten des englischen Ministeriums charakterisiren und<lb/>
manche grelle Schlaglichter auf die Situation werfen. Es sind das vor<lb/>
Allem die Interpellationen und Debatten über die Pontus frage und<lb/>
deren Abschluß, über den deutsch-französischen Krieg und den<lb/>
Präliminarfrieden, über die Militär-Organisation und die<lb/>
Steuererhöhungen und über das Budget. Die Gesammtheit der Debat¬<lb/>
ten wird charakterisirt durch die eigenthümliche Erscheinung, daß die Redner<lb/>
aus allen Parteien, sowohl aus der liberalen des' Cabinets und ihren Schat-<lb/>
tirungen, wie aus der radicalen und der conservativen (Torys) das Ministe¬<lb/>
rium bei den verschiedensten Punkten heftig angriffen, ihm auch bei einigen<lb/>
Gelegenheiten Niederlagen beibrachten, daß die Majorität trotzdem aber die<lb/>
Absicht aufrecht erhielt und durchführte, den Rücktritt des Ministeriums nicht<lb/>
herbeizuführen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1240" next="#ID_1241"> Bei den Adreßdebarten verlief die Annahme der im Oberhause von<lb/>
Lord Westminster beantragten Adresse, die hier wie im Unterhause oft nur<lb/>
eine Umschreibung der Thronrede ist, sehr glatt.  In der Darlegung der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gmizboten II. 1871, gi</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] Die jüngste Parlaments-Session in Algland. I. Fragen der äußern Politik. Die gewaltige Umwälzung, welche das vergangene Jahr in den politischen Machtverhältnissen der Nationen erzeugte, tritt zwar nicht sehr deutlich in der überaus langen Thronrede hervor, mit welcher am 9. Februar d. I. das Parlament in London eröffnet wurde, wohl aber in den Verhandlungen des englischen Parlaments. Diese Verhandlungen nahmen bald ein sehr lebhaftes Gepräge an und beanspruchen in weit höherem Grade das allgemeine Inter¬ esse, als seit Jahren der Fall war. Allerdings erkennt auch die Thronrede im Eingange die kritische Lage an. In den Verhandlungen des Parlaments boten sich eine Menge Punkte der Betrachtung dar, welche das englische Volk und dessen Vertreter, wie die Ansichten und Absichten des englischen Ministeriums charakterisiren und manche grelle Schlaglichter auf die Situation werfen. Es sind das vor Allem die Interpellationen und Debatten über die Pontus frage und deren Abschluß, über den deutsch-französischen Krieg und den Präliminarfrieden, über die Militär-Organisation und die Steuererhöhungen und über das Budget. Die Gesammtheit der Debat¬ ten wird charakterisirt durch die eigenthümliche Erscheinung, daß die Redner aus allen Parteien, sowohl aus der liberalen des' Cabinets und ihren Schat- tirungen, wie aus der radicalen und der conservativen (Torys) das Ministe¬ rium bei den verschiedensten Punkten heftig angriffen, ihm auch bei einigen Gelegenheiten Niederlagen beibrachten, daß die Majorität trotzdem aber die Absicht aufrecht erhielt und durchführte, den Rücktritt des Ministeriums nicht herbeizuführen. Bei den Adreßdebarten verlief die Annahme der im Oberhause von Lord Westminster beantragten Adresse, die hier wie im Unterhause oft nur eine Umschreibung der Thronrede ist, sehr glatt. In der Darlegung der Gmizboten II. 1871, gi

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/409>, abgerufen am 24.07.2024.