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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Nach einer Thätigkeit von wenigen Wochen ist der württembergische
Landtag, voraussichtlich bis zum Winter, vertagt worden. Seine Hauptauf¬
gabe bestand in der interimistischen Fortverwilligung der Steuern, welche nach¬
gerade bei uns zur Regel geworden ist. Obgleich wir eine dreijährige Etats¬
periode haben, so ist es dem Finanzminister auch dieses mal trotz wiederholter
Fristverlängerungen nicht gelungen, den Etat pro 1. Juli 1870/73, welcher
schon im Frühjahr vorigen Jahres hätte verabschiedet werden sollen, fertig
zu bringen, sodaß der Staat nun bis zum 31. December d. I. anderthalb
Jahre lang ohne geregelten Etat fortzuwirthschaften hat. Bei der neuesten
Erstreckung des Provisoriums verlangte nun aber der Finanzminister eine
beträchtliche Steuererhöhung, deren Motivirung auf Kosten des Reichs unser
letzter Brief erwähnt hat. Eine sehr starke, aus allen Parteien zusammenge¬
setzte Minorität erklärte, in Ermangelung jedes näheren Nachweises über den
Bedarf im Einzelnen, diese Zumuthung für verfassungswidrig, wobei es nicht
an Angriffen auf die Nur nach der Schablone arbeitende büreaukratische Un¬
fähigkeit unserer Finanzmänner fehlte. Der Justizminister von Mittnacht
sah sich deßhalb genöthigt, dem bedrängten Collegen beizuspringen, wobei er
der nationalen Partei die Aufsehen erregenden Worte zurief: "Glauben Sie
nicht, der Gulden, der in Berlin verwilligt worden, lasse sich durch den Kreu¬
zer decken, den man hier erspart. Man kann sich für sein Ja dort, nicht mit
einem Nein hier revanchiren: die alte württembergische Opposition muß sich
hier und in anderen Fragen resigniren, daß sie in gewohnter Weise nicht
mehr verfahren kann. Setzen Sie nicht das Volk in den Wahn, daß die
Opfer, welche man willig ertragen zu wollen erklärt hat, doch noch erspart
bleiben werden." Natürlich erntete der Minister hierdurch den Beifall der
Demokratie, welche ihn seines kalten abwehrenden Verhaltens ungeachtet um
seiner Verdienste aus der Zollparlamentszeit willen immer noch mit einer ge¬
wissen schweifwedelnden Artigkeit zu behandeln pflegt.

So erfreulich es ist, daß mit jener Rede die Bedeutungslosigkeit der
württembergischen Ständekammer nicht nur für die Fragen der hohen Politik,
fondern auch für die Finanzfragen constatirt und dagegen auf den Reichstag
als den entscheidenden Kampfplatz hingewiesen wurde, so wenig läßt sich für
die Dauer die von der nationalen Partei gezogene weitere Consequenz, näm¬
lich die Vereinfachung des diesseitigen Staatshaushalts ernstlich bestreiten.
Es handelt sich hierbei nicht blos um die immerhin auf einige hunderttausend
Gulden zu berechnenden jährlichen Ersparnisse, als darum, daß unter Entfer-


Nach einer Thätigkeit von wenigen Wochen ist der württembergische
Landtag, voraussichtlich bis zum Winter, vertagt worden. Seine Hauptauf¬
gabe bestand in der interimistischen Fortverwilligung der Steuern, welche nach¬
gerade bei uns zur Regel geworden ist. Obgleich wir eine dreijährige Etats¬
periode haben, so ist es dem Finanzminister auch dieses mal trotz wiederholter
Fristverlängerungen nicht gelungen, den Etat pro 1. Juli 1870/73, welcher
schon im Frühjahr vorigen Jahres hätte verabschiedet werden sollen, fertig
zu bringen, sodaß der Staat nun bis zum 31. December d. I. anderthalb
Jahre lang ohne geregelten Etat fortzuwirthschaften hat. Bei der neuesten
Erstreckung des Provisoriums verlangte nun aber der Finanzminister eine
beträchtliche Steuererhöhung, deren Motivirung auf Kosten des Reichs unser
letzter Brief erwähnt hat. Eine sehr starke, aus allen Parteien zusammenge¬
setzte Minorität erklärte, in Ermangelung jedes näheren Nachweises über den
Bedarf im Einzelnen, diese Zumuthung für verfassungswidrig, wobei es nicht
an Angriffen auf die Nur nach der Schablone arbeitende büreaukratische Un¬
fähigkeit unserer Finanzmänner fehlte. Der Justizminister von Mittnacht
sah sich deßhalb genöthigt, dem bedrängten Collegen beizuspringen, wobei er
der nationalen Partei die Aufsehen erregenden Worte zurief: „Glauben Sie
nicht, der Gulden, der in Berlin verwilligt worden, lasse sich durch den Kreu¬
zer decken, den man hier erspart. Man kann sich für sein Ja dort, nicht mit
einem Nein hier revanchiren: die alte württembergische Opposition muß sich
hier und in anderen Fragen resigniren, daß sie in gewohnter Weise nicht
mehr verfahren kann. Setzen Sie nicht das Volk in den Wahn, daß die
Opfer, welche man willig ertragen zu wollen erklärt hat, doch noch erspart
bleiben werden." Natürlich erntete der Minister hierdurch den Beifall der
Demokratie, welche ihn seines kalten abwehrenden Verhaltens ungeachtet um
seiner Verdienste aus der Zollparlamentszeit willen immer noch mit einer ge¬
wissen schweifwedelnden Artigkeit zu behandeln pflegt.

So erfreulich es ist, daß mit jener Rede die Bedeutungslosigkeit der
württembergischen Ständekammer nicht nur für die Fragen der hohen Politik,
fondern auch für die Finanzfragen constatirt und dagegen auf den Reichstag
als den entscheidenden Kampfplatz hingewiesen wurde, so wenig läßt sich für
die Dauer die von der nationalen Partei gezogene weitere Consequenz, näm¬
lich die Vereinfachung des diesseitigen Staatshaushalts ernstlich bestreiten.
Es handelt sich hierbei nicht blos um die immerhin auf einige hunderttausend
Gulden zu berechnenden jährlichen Ersparnisse, als darum, daß unter Entfer-


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[0234] Nach einer Thätigkeit von wenigen Wochen ist der württembergische Landtag, voraussichtlich bis zum Winter, vertagt worden. Seine Hauptauf¬ gabe bestand in der interimistischen Fortverwilligung der Steuern, welche nach¬ gerade bei uns zur Regel geworden ist. Obgleich wir eine dreijährige Etats¬ periode haben, so ist es dem Finanzminister auch dieses mal trotz wiederholter Fristverlängerungen nicht gelungen, den Etat pro 1. Juli 1870/73, welcher schon im Frühjahr vorigen Jahres hätte verabschiedet werden sollen, fertig zu bringen, sodaß der Staat nun bis zum 31. December d. I. anderthalb Jahre lang ohne geregelten Etat fortzuwirthschaften hat. Bei der neuesten Erstreckung des Provisoriums verlangte nun aber der Finanzminister eine beträchtliche Steuererhöhung, deren Motivirung auf Kosten des Reichs unser letzter Brief erwähnt hat. Eine sehr starke, aus allen Parteien zusammenge¬ setzte Minorität erklärte, in Ermangelung jedes näheren Nachweises über den Bedarf im Einzelnen, diese Zumuthung für verfassungswidrig, wobei es nicht an Angriffen auf die Nur nach der Schablone arbeitende büreaukratische Un¬ fähigkeit unserer Finanzmänner fehlte. Der Justizminister von Mittnacht sah sich deßhalb genöthigt, dem bedrängten Collegen beizuspringen, wobei er der nationalen Partei die Aufsehen erregenden Worte zurief: „Glauben Sie nicht, der Gulden, der in Berlin verwilligt worden, lasse sich durch den Kreu¬ zer decken, den man hier erspart. Man kann sich für sein Ja dort, nicht mit einem Nein hier revanchiren: die alte württembergische Opposition muß sich hier und in anderen Fragen resigniren, daß sie in gewohnter Weise nicht mehr verfahren kann. Setzen Sie nicht das Volk in den Wahn, daß die Opfer, welche man willig ertragen zu wollen erklärt hat, doch noch erspart bleiben werden." Natürlich erntete der Minister hierdurch den Beifall der Demokratie, welche ihn seines kalten abwehrenden Verhaltens ungeachtet um seiner Verdienste aus der Zollparlamentszeit willen immer noch mit einer ge¬ wissen schweifwedelnden Artigkeit zu behandeln pflegt. So erfreulich es ist, daß mit jener Rede die Bedeutungslosigkeit der württembergischen Ständekammer nicht nur für die Fragen der hohen Politik, fondern auch für die Finanzfragen constatirt und dagegen auf den Reichstag als den entscheidenden Kampfplatz hingewiesen wurde, so wenig läßt sich für die Dauer die von der nationalen Partei gezogene weitere Consequenz, näm¬ lich die Vereinfachung des diesseitigen Staatshaushalts ernstlich bestreiten. Es handelt sich hierbei nicht blos um die immerhin auf einige hunderttausend Gulden zu berechnenden jährlichen Ersparnisse, als darum, daß unter Entfer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/234>, abgerufen am 24.07.2024.