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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

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Iismarck's Hcheinmisz.

Wir und alle Bewunderer des Fürsten Bismarck haben bisher gemeint,
daß derselbe Deutschland und sich selbst groß gemacht durch den scharfen Ver¬
stand und die heroische Willenskraft, die ein uns Deutschen und ihm wohl¬
wollendes Geschick ihm verliehen. Er war uns und wird vermuthlich unsern
Nachkommen in weit höherem Maße einer der mächtigen geschichtlichen Genien
sein, wie sie dann und wann auftreten, um die Welt zu ihrem Heil in neue
Bahnen zu zwingen. Wir suchten also In ihm selbst das Geheimniß seiner
wunderbaren Erfolge und meinten es zum Theil gefunden zu haben. Ein
Verstand, der grundsätzlich nur erreichbare Ziele erstrebt, ein weiter Ueberblick
über die geeigneten Mittel zu ihrer Erreichung und über die Hindernisse auf
dem Wege zu diesen Zielen, eine überaus feine Hand in der Behandlung der
dabei vor Allem in Betracht kommenden maßgebenden Personen, die Gabe,
zu rechter Zeit zuzuschlagen, sonst zu vertagen, das fast beispiellose Geschick,
den Gegner unvermerkt dahin zu lenken, daß er sich selbst vor der Welt ins
Unrecht versetzt, eine gleich seltene Vorurteilslosigkeit den Parteidogmen rechts
und links gegenüber, ein vollkommen reines Rechnen mit den Thatsachen,
dem es beim Ausdruck seiner Ergebnisse doch nicht an gewinnender Wärme
und poetischem Glänze fehlt, gewaltigste Energie, die vor nichts Nothwendigen
zurücktritt, und dabei eine Mäßigung, die nur das Nothwendige fordert und
darum bereitwillig zu Compromissen die Hand bietet, ein kalter Kopf über
einem heißen Herzen, Achill und Odysseus in einer Person -- das ungefähr
wird Manchem mit uns als die Lösung des Räthsels seiner Erfolge er¬
schienen sein.

Andere haben diese Lösung anderswo gesucht. Deutsche Träumer ent¬
deckten, daß es lediglich die von ihnen erfundene "Volksseele" gewesen, die
Alles vorbereitet und schließlich sauber ausgeführt. Andere gaben Bismarck
abergläubisch das Glück zur steten Begleitung. Wieder Andere erblickten
mindestens ebenso abergläubisch allenthalben, wo er auftrat, den Verrath als
Schatten hinter seinen Gegnern. Leute, für die der böse Feind noch nicht
todt ist, können von den Thaten und Siegen des großen Regenerators Deutsch¬
lands vermuthet haben, daß es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen
sei u. s. w.

Die wunderlichste Erklärung der Größe des Fürsten, die uns bis jetzt zu
Gesichte kam, ist, wie es scheint, einem wackern Englishman gelungen und
grassirt gegenwärtig in Gestalt einer Broschüre auch in dänischer Sprache,
in der sie sich "den myn Naturkraft Odometret, der har gjort Grev Bismarck
Stör og magtig" nennt. Wir theilen sie, die dem Anschein nach ernsthaft ge-


Iismarck's Hcheinmisz.

Wir und alle Bewunderer des Fürsten Bismarck haben bisher gemeint,
daß derselbe Deutschland und sich selbst groß gemacht durch den scharfen Ver¬
stand und die heroische Willenskraft, die ein uns Deutschen und ihm wohl¬
wollendes Geschick ihm verliehen. Er war uns und wird vermuthlich unsern
Nachkommen in weit höherem Maße einer der mächtigen geschichtlichen Genien
sein, wie sie dann und wann auftreten, um die Welt zu ihrem Heil in neue
Bahnen zu zwingen. Wir suchten also In ihm selbst das Geheimniß seiner
wunderbaren Erfolge und meinten es zum Theil gefunden zu haben. Ein
Verstand, der grundsätzlich nur erreichbare Ziele erstrebt, ein weiter Ueberblick
über die geeigneten Mittel zu ihrer Erreichung und über die Hindernisse auf
dem Wege zu diesen Zielen, eine überaus feine Hand in der Behandlung der
dabei vor Allem in Betracht kommenden maßgebenden Personen, die Gabe,
zu rechter Zeit zuzuschlagen, sonst zu vertagen, das fast beispiellose Geschick,
den Gegner unvermerkt dahin zu lenken, daß er sich selbst vor der Welt ins
Unrecht versetzt, eine gleich seltene Vorurteilslosigkeit den Parteidogmen rechts
und links gegenüber, ein vollkommen reines Rechnen mit den Thatsachen,
dem es beim Ausdruck seiner Ergebnisse doch nicht an gewinnender Wärme
und poetischem Glänze fehlt, gewaltigste Energie, die vor nichts Nothwendigen
zurücktritt, und dabei eine Mäßigung, die nur das Nothwendige fordert und
darum bereitwillig zu Compromissen die Hand bietet, ein kalter Kopf über
einem heißen Herzen, Achill und Odysseus in einer Person — das ungefähr
wird Manchem mit uns als die Lösung des Räthsels seiner Erfolge er¬
schienen sein.

Andere haben diese Lösung anderswo gesucht. Deutsche Träumer ent¬
deckten, daß es lediglich die von ihnen erfundene „Volksseele" gewesen, die
Alles vorbereitet und schließlich sauber ausgeführt. Andere gaben Bismarck
abergläubisch das Glück zur steten Begleitung. Wieder Andere erblickten
mindestens ebenso abergläubisch allenthalben, wo er auftrat, den Verrath als
Schatten hinter seinen Gegnern. Leute, für die der böse Feind noch nicht
todt ist, können von den Thaten und Siegen des großen Regenerators Deutsch¬
lands vermuthet haben, daß es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen
sei u. s. w.

Die wunderlichste Erklärung der Größe des Fürsten, die uns bis jetzt zu
Gesichte kam, ist, wie es scheint, einem wackern Englishman gelungen und
grassirt gegenwärtig in Gestalt einer Broschüre auch in dänischer Sprache,
in der sie sich „den myn Naturkraft Odometret, der har gjort Grev Bismarck
Stör og magtig" nennt. Wir theilen sie, die dem Anschein nach ernsthaft ge-


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[0190] Iismarck's Hcheinmisz. Wir und alle Bewunderer des Fürsten Bismarck haben bisher gemeint, daß derselbe Deutschland und sich selbst groß gemacht durch den scharfen Ver¬ stand und die heroische Willenskraft, die ein uns Deutschen und ihm wohl¬ wollendes Geschick ihm verliehen. Er war uns und wird vermuthlich unsern Nachkommen in weit höherem Maße einer der mächtigen geschichtlichen Genien sein, wie sie dann und wann auftreten, um die Welt zu ihrem Heil in neue Bahnen zu zwingen. Wir suchten also In ihm selbst das Geheimniß seiner wunderbaren Erfolge und meinten es zum Theil gefunden zu haben. Ein Verstand, der grundsätzlich nur erreichbare Ziele erstrebt, ein weiter Ueberblick über die geeigneten Mittel zu ihrer Erreichung und über die Hindernisse auf dem Wege zu diesen Zielen, eine überaus feine Hand in der Behandlung der dabei vor Allem in Betracht kommenden maßgebenden Personen, die Gabe, zu rechter Zeit zuzuschlagen, sonst zu vertagen, das fast beispiellose Geschick, den Gegner unvermerkt dahin zu lenken, daß er sich selbst vor der Welt ins Unrecht versetzt, eine gleich seltene Vorurteilslosigkeit den Parteidogmen rechts und links gegenüber, ein vollkommen reines Rechnen mit den Thatsachen, dem es beim Ausdruck seiner Ergebnisse doch nicht an gewinnender Wärme und poetischem Glänze fehlt, gewaltigste Energie, die vor nichts Nothwendigen zurücktritt, und dabei eine Mäßigung, die nur das Nothwendige fordert und darum bereitwillig zu Compromissen die Hand bietet, ein kalter Kopf über einem heißen Herzen, Achill und Odysseus in einer Person — das ungefähr wird Manchem mit uns als die Lösung des Räthsels seiner Erfolge er¬ schienen sein. Andere haben diese Lösung anderswo gesucht. Deutsche Träumer ent¬ deckten, daß es lediglich die von ihnen erfundene „Volksseele" gewesen, die Alles vorbereitet und schließlich sauber ausgeführt. Andere gaben Bismarck abergläubisch das Glück zur steten Begleitung. Wieder Andere erblickten mindestens ebenso abergläubisch allenthalben, wo er auftrat, den Verrath als Schatten hinter seinen Gegnern. Leute, für die der böse Feind noch nicht todt ist, können von den Thaten und Siegen des großen Regenerators Deutsch¬ lands vermuthet haben, daß es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen sei u. s. w. Die wunderlichste Erklärung der Größe des Fürsten, die uns bis jetzt zu Gesichte kam, ist, wie es scheint, einem wackern Englishman gelungen und grassirt gegenwärtig in Gestalt einer Broschüre auch in dänischer Sprache, in der sie sich „den myn Naturkraft Odometret, der har gjort Grev Bismarck Stör og magtig" nennt. Wir theilen sie, die dem Anschein nach ernsthaft ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/190>, abgerufen am 24.07.2024.