Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Won Ilorenz nach Ava.
Briefe aus Italien von Dr. Hans Semper. I. Arezzo.

Ich verließ Florenz bereits zu Ende November vorigen Jahres. Es war
wohl einer der letzten schönen Herbsttage, der mir beim Abschied noch einmal
die liebliche und heimathliche Heiterkeit der olivenbewachsenen und villenge¬
krönten Hügel und der malerisch gruppirten Stadt selbst so recht deutlich vor
das Auge führte. Dennoch war der Abschied nicht schwermüthig, ging es
doch nach Süden. Und für den Verlust der Domkuppel tröstete die Hoffnung
auf die Peterskuppel. Reich an entzückenden Blicken auf die Thäler und
Berge des Casentino sauste der Zug dem schimmernden Arno entlang dahin,
der von Zeit zu Zeit einen tobenden Bergstrom aus einem lachenden Quer-
thale empfing. Bis kurz vor Arezzo fuhren wir dem Arnofluß entgegen,
dann bogen wir rechts ab in die Maremmen des Chianathales, an dessen
Ausgang Arezzo liegt. Wenn bisher Hügel und Thal von Wein, Oel,
Villen und Cypressen prangten, so sahen wir uns auf einmal in einer Ebene
von abenteuerlich geformtem, lockerem Erdreich, theils Ackerboden, theils Vieh¬
weide. Am Horizont nur zogen sich zu beiden Seiten Berge hin, zumal
gegen Norden die imposanten Rücken des Appennin. Arezzo selbst hat eine
der schönsten Lagen für Landstädte, die ich je gesehen. Dicht an der Eisen¬
bahn und an der Thalsohle, also dem bequemsten Verkehr offen, lehnt es sich
in schönster flach-pyramidaler, zugleich malerischer und symmetrischer Gruppi-
rung an die Vorberge der Appenninen an, in der Mitte beherrscht von dem
erhöht gelegenen Dom mit seinem Glockenthurm. Auch scheint das Städtchen,
das beiläufig 11,000 Einwohner umfaßt, im Aufschwung begriffen zu sein;
wenigstens ist zunächst der Eisenbahn eine ganze Vorstadt von Baracken
niedergerissen worden, um eine luxuriös angelegte, breite Straße in das Herz
der Stadt, den Marktplatz zu führen. Die neuen Wohngebäude, welche die
neue Straße umgeben sollen, sind allerdings erst in den Fundamenten ange¬
legt, so daß sie kein Urtheil über den architektonischen Geschmack der heutigen
Aretiner zulassen. Jedenfalls aber erhält man sofort den Eindruck, daß Arezzo
eine toskanische Landstadt ist, d.h. daß sie nicht zu jenem Kreis von malerisch


Grenzboten 1. 1L7I,. 112
Won Ilorenz nach Ava.
Briefe aus Italien von Dr. Hans Semper. I. Arezzo.

Ich verließ Florenz bereits zu Ende November vorigen Jahres. Es war
wohl einer der letzten schönen Herbsttage, der mir beim Abschied noch einmal
die liebliche und heimathliche Heiterkeit der olivenbewachsenen und villenge¬
krönten Hügel und der malerisch gruppirten Stadt selbst so recht deutlich vor
das Auge führte. Dennoch war der Abschied nicht schwermüthig, ging es
doch nach Süden. Und für den Verlust der Domkuppel tröstete die Hoffnung
auf die Peterskuppel. Reich an entzückenden Blicken auf die Thäler und
Berge des Casentino sauste der Zug dem schimmernden Arno entlang dahin,
der von Zeit zu Zeit einen tobenden Bergstrom aus einem lachenden Quer-
thale empfing. Bis kurz vor Arezzo fuhren wir dem Arnofluß entgegen,
dann bogen wir rechts ab in die Maremmen des Chianathales, an dessen
Ausgang Arezzo liegt. Wenn bisher Hügel und Thal von Wein, Oel,
Villen und Cypressen prangten, so sahen wir uns auf einmal in einer Ebene
von abenteuerlich geformtem, lockerem Erdreich, theils Ackerboden, theils Vieh¬
weide. Am Horizont nur zogen sich zu beiden Seiten Berge hin, zumal
gegen Norden die imposanten Rücken des Appennin. Arezzo selbst hat eine
der schönsten Lagen für Landstädte, die ich je gesehen. Dicht an der Eisen¬
bahn und an der Thalsohle, also dem bequemsten Verkehr offen, lehnt es sich
in schönster flach-pyramidaler, zugleich malerischer und symmetrischer Gruppi-
rung an die Vorberge der Appenninen an, in der Mitte beherrscht von dem
erhöht gelegenen Dom mit seinem Glockenthurm. Auch scheint das Städtchen,
das beiläufig 11,000 Einwohner umfaßt, im Aufschwung begriffen zu sein;
wenigstens ist zunächst der Eisenbahn eine ganze Vorstadt von Baracken
niedergerissen worden, um eine luxuriös angelegte, breite Straße in das Herz
der Stadt, den Marktplatz zu führen. Die neuen Wohngebäude, welche die
neue Straße umgeben sollen, sind allerdings erst in den Fundamenten ange¬
legt, so daß sie kein Urtheil über den architektonischen Geschmack der heutigen
Aretiner zulassen. Jedenfalls aber erhält man sofort den Eindruck, daß Arezzo
eine toskanische Landstadt ist, d.h. daß sie nicht zu jenem Kreis von malerisch


Grenzboten 1. 1L7I,. 112
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div type="corrigenda" n="1">
          <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126151"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Won Ilorenz nach Ava.<lb/><note type="byline"> Briefe aus Italien von Dr. Hans Semper.</note> I. Arezzo.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1156" next="#ID_1157"> Ich verließ Florenz bereits zu Ende November vorigen Jahres. Es war<lb/>
wohl einer der letzten schönen Herbsttage, der mir beim Abschied noch einmal<lb/>
die liebliche und heimathliche Heiterkeit der olivenbewachsenen und villenge¬<lb/>
krönten Hügel und der malerisch gruppirten Stadt selbst so recht deutlich vor<lb/>
das Auge führte. Dennoch war der Abschied nicht schwermüthig, ging es<lb/>
doch nach Süden. Und für den Verlust der Domkuppel tröstete die Hoffnung<lb/>
auf die Peterskuppel. Reich an entzückenden Blicken auf die Thäler und<lb/>
Berge des Casentino sauste der Zug dem schimmernden Arno entlang dahin,<lb/>
der von Zeit zu Zeit einen tobenden Bergstrom aus einem lachenden Quer-<lb/>
thale empfing. Bis kurz vor Arezzo fuhren wir dem Arnofluß entgegen,<lb/>
dann bogen wir rechts ab in die Maremmen des Chianathales, an dessen<lb/>
Ausgang Arezzo liegt. Wenn bisher Hügel und Thal von Wein, Oel,<lb/>
Villen und Cypressen prangten, so sahen wir uns auf einmal in einer Ebene<lb/>
von abenteuerlich geformtem, lockerem Erdreich, theils Ackerboden, theils Vieh¬<lb/>
weide. Am Horizont nur zogen sich zu beiden Seiten Berge hin, zumal<lb/>
gegen Norden die imposanten Rücken des Appennin. Arezzo selbst hat eine<lb/>
der schönsten Lagen für Landstädte, die ich je gesehen. Dicht an der Eisen¬<lb/>
bahn und an der Thalsohle, also dem bequemsten Verkehr offen, lehnt es sich<lb/>
in schönster flach-pyramidaler, zugleich malerischer und symmetrischer Gruppi-<lb/>
rung an die Vorberge der Appenninen an, in der Mitte beherrscht von dem<lb/>
erhöht gelegenen Dom mit seinem Glockenthurm. Auch scheint das Städtchen,<lb/>
das beiläufig 11,000 Einwohner umfaßt, im Aufschwung begriffen zu sein;<lb/>
wenigstens ist zunächst der Eisenbahn eine ganze Vorstadt von Baracken<lb/>
niedergerissen worden, um eine luxuriös angelegte, breite Straße in das Herz<lb/>
der Stadt, den Marktplatz zu führen. Die neuen Wohngebäude, welche die<lb/>
neue Straße umgeben sollen, sind allerdings erst in den Fundamenten ange¬<lb/>
legt, so daß sie kein Urtheil über den architektonischen Geschmack der heutigen<lb/>
Aretiner zulassen. Jedenfalls aber erhält man sofort den Eindruck, daß Arezzo<lb/>
eine toskanische Landstadt ist, d.h. daß sie nicht zu jenem Kreis von malerisch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1. 1L7I,. 112</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0369] Won Ilorenz nach Ava. Briefe aus Italien von Dr. Hans Semper. I. Arezzo. Ich verließ Florenz bereits zu Ende November vorigen Jahres. Es war wohl einer der letzten schönen Herbsttage, der mir beim Abschied noch einmal die liebliche und heimathliche Heiterkeit der olivenbewachsenen und villenge¬ krönten Hügel und der malerisch gruppirten Stadt selbst so recht deutlich vor das Auge führte. Dennoch war der Abschied nicht schwermüthig, ging es doch nach Süden. Und für den Verlust der Domkuppel tröstete die Hoffnung auf die Peterskuppel. Reich an entzückenden Blicken auf die Thäler und Berge des Casentino sauste der Zug dem schimmernden Arno entlang dahin, der von Zeit zu Zeit einen tobenden Bergstrom aus einem lachenden Quer- thale empfing. Bis kurz vor Arezzo fuhren wir dem Arnofluß entgegen, dann bogen wir rechts ab in die Maremmen des Chianathales, an dessen Ausgang Arezzo liegt. Wenn bisher Hügel und Thal von Wein, Oel, Villen und Cypressen prangten, so sahen wir uns auf einmal in einer Ebene von abenteuerlich geformtem, lockerem Erdreich, theils Ackerboden, theils Vieh¬ weide. Am Horizont nur zogen sich zu beiden Seiten Berge hin, zumal gegen Norden die imposanten Rücken des Appennin. Arezzo selbst hat eine der schönsten Lagen für Landstädte, die ich je gesehen. Dicht an der Eisen¬ bahn und an der Thalsohle, also dem bequemsten Verkehr offen, lehnt es sich in schönster flach-pyramidaler, zugleich malerischer und symmetrischer Gruppi- rung an die Vorberge der Appenninen an, in der Mitte beherrscht von dem erhöht gelegenen Dom mit seinem Glockenthurm. Auch scheint das Städtchen, das beiläufig 11,000 Einwohner umfaßt, im Aufschwung begriffen zu sein; wenigstens ist zunächst der Eisenbahn eine ganze Vorstadt von Baracken niedergerissen worden, um eine luxuriös angelegte, breite Straße in das Herz der Stadt, den Marktplatz zu führen. Die neuen Wohngebäude, welche die neue Straße umgeben sollen, sind allerdings erst in den Fundamenten ange¬ legt, so daß sie kein Urtheil über den architektonischen Geschmack der heutigen Aretiner zulassen. Jedenfalls aber erhält man sofort den Eindruck, daß Arezzo eine toskanische Landstadt ist, d.h. daß sie nicht zu jenem Kreis von malerisch Grenzboten 1. 1L7I,. 112

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/369
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/369>, abgerufen am 27.12.2024.