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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Maikönig; nun haben wir den Himmels- und Jahresgott auch als Herd st-
gott und Herrn der Ernte kennen zu lernen.

Daß Wodan aber in der That Ernte gott war, lehrt schon die Er¬
scheinung des "Schimmelreiters", sowie des "Haferbräutigams" bei den Ernte¬
festen, namentlich der südlichen Sachsen; aber der alte Gott wird sogar noch
heut unmittelbar W der Ernte angerufen. Denn man läßt z. B. in
Mecklenburg und der Mark, bei der Kornernte einen Büschel Getreide auf dem
Felde stehen, welcher der "Vergo den teil"*) heißt. Um diesen Büschel, der
oben zusammengeflochten, und mit Bier besprengt wird, sammeln sich die Ar¬
beiter im Kreise, nehmen die Hüte ab, richten die Sensen aufwärts, und rufen
Wodan dreimal mit folgendem Spruche an:


"Wode, Wode,
Hat dinen Nosse nu Bober;
Nu Distel und e Dorn,
Tom andren Jahr beler Korn!"

Sie lassen das Aehrenbüschel also ausdrücklich für Wodan's Roß stehen
und hoffen dafür im nächsten Jahr noch besseres Korn zu erhalten. -- stach
dieser Ceremonie, welche "Erntesegen" heißt, gibt der Edelmann den Knechten
ein Gelage, welches "Wodelbier" heißt. -- Das Bier scheint überhaupt eine
namhafte Rolle beim Wodansdienst und besonders bei der Erntefeier gespielt
zu haben. So traf der heilige Columban seiner Zeit heidnische Schwaben bei
einem solchen Opfer für Wodan, und in ihrer Mitte stand eine Kufe, welche
gegen dreißig Maaß Bier enthielt; und daher war bis zur Neuzeit, ja
noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, z. B. im Schaumburgischen, Sitte,
daß die Schnitter, unmittelbar nachdem die letzte Garbe gebunden war, den
Acker mit Bier begossen, dann selbst tranken und nun, um die letzte
Garbe, den "Waulroggen", entblößten Hauptes, in feierlichem Neigen
tanzend, eine alte Strophe sangen, welche hochdeutsch folgendermaßen lautet:


"Wode, Wode, Wode!
Himmelsricsc weiß, was geschieht,
Immer er nieder vom Himmel sieht.
Volle Krüge und Garben hat er,
Auch in dem Wald wüchse's mannigfnlt;
Er ist nicht geboren und wird nicht alt.
Wode, Wode, Wode!" --

Noch jetzt tanzen am Steinhuder Meer, in Lippe und Hessen, die Schnit¬
ter um die letzte Garbe, durch welche sie einen blumenbekränzten Stab ge-



*) Vergodenteil ist gleich "Für-Wodan" oder "Fro-Wodans", d. i. Herrn Wodans Theil.
Wode wechselt vielfach in Mode, eil, Wechsel, der sprachlich wohl begründet, und auch durch
das Anklingen von "Gode" an "Gott" besnnvortet sein mag.
Grenzboten l. 1871. 38
Maikönig; nun haben wir den Himmels- und Jahresgott auch als Herd st-
gott und Herrn der Ernte kennen zu lernen.

Daß Wodan aber in der That Ernte gott war, lehrt schon die Er¬
scheinung des „Schimmelreiters", sowie des „Haferbräutigams" bei den Ernte¬
festen, namentlich der südlichen Sachsen; aber der alte Gott wird sogar noch
heut unmittelbar W der Ernte angerufen. Denn man läßt z. B. in
Mecklenburg und der Mark, bei der Kornernte einen Büschel Getreide auf dem
Felde stehen, welcher der „Vergo den teil"*) heißt. Um diesen Büschel, der
oben zusammengeflochten, und mit Bier besprengt wird, sammeln sich die Ar¬
beiter im Kreise, nehmen die Hüte ab, richten die Sensen aufwärts, und rufen
Wodan dreimal mit folgendem Spruche an:


„Wode, Wode,
Hat dinen Nosse nu Bober;
Nu Distel und e Dorn,
Tom andren Jahr beler Korn!"

Sie lassen das Aehrenbüschel also ausdrücklich für Wodan's Roß stehen
und hoffen dafür im nächsten Jahr noch besseres Korn zu erhalten. — stach
dieser Ceremonie, welche „Erntesegen" heißt, gibt der Edelmann den Knechten
ein Gelage, welches „Wodelbier" heißt. — Das Bier scheint überhaupt eine
namhafte Rolle beim Wodansdienst und besonders bei der Erntefeier gespielt
zu haben. So traf der heilige Columban seiner Zeit heidnische Schwaben bei
einem solchen Opfer für Wodan, und in ihrer Mitte stand eine Kufe, welche
gegen dreißig Maaß Bier enthielt; und daher war bis zur Neuzeit, ja
noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, z. B. im Schaumburgischen, Sitte,
daß die Schnitter, unmittelbar nachdem die letzte Garbe gebunden war, den
Acker mit Bier begossen, dann selbst tranken und nun, um die letzte
Garbe, den „Waulroggen", entblößten Hauptes, in feierlichem Neigen
tanzend, eine alte Strophe sangen, welche hochdeutsch folgendermaßen lautet:


„Wode, Wode, Wode!
Himmelsricsc weiß, was geschieht,
Immer er nieder vom Himmel sieht.
Volle Krüge und Garben hat er,
Auch in dem Wald wüchse's mannigfnlt;
Er ist nicht geboren und wird nicht alt.
Wode, Wode, Wode!" —

Noch jetzt tanzen am Steinhuder Meer, in Lippe und Hessen, die Schnit¬
ter um die letzte Garbe, durch welche sie einen blumenbekränzten Stab ge-



*) Vergodenteil ist gleich „Für-Wodan" oder „Fro-Wodans", d. i. Herrn Wodans Theil.
Wode wechselt vielfach in Mode, eil, Wechsel, der sprachlich wohl begründet, und auch durch
das Anklingen von „Gode" an „Gott" besnnvortet sein mag.
Grenzboten l. 1871. 38
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[0301] Maikönig; nun haben wir den Himmels- und Jahresgott auch als Herd st- gott und Herrn der Ernte kennen zu lernen. Daß Wodan aber in der That Ernte gott war, lehrt schon die Er¬ scheinung des „Schimmelreiters", sowie des „Haferbräutigams" bei den Ernte¬ festen, namentlich der südlichen Sachsen; aber der alte Gott wird sogar noch heut unmittelbar W der Ernte angerufen. Denn man läßt z. B. in Mecklenburg und der Mark, bei der Kornernte einen Büschel Getreide auf dem Felde stehen, welcher der „Vergo den teil"*) heißt. Um diesen Büschel, der oben zusammengeflochten, und mit Bier besprengt wird, sammeln sich die Ar¬ beiter im Kreise, nehmen die Hüte ab, richten die Sensen aufwärts, und rufen Wodan dreimal mit folgendem Spruche an: „Wode, Wode, Hat dinen Nosse nu Bober; Nu Distel und e Dorn, Tom andren Jahr beler Korn!" Sie lassen das Aehrenbüschel also ausdrücklich für Wodan's Roß stehen und hoffen dafür im nächsten Jahr noch besseres Korn zu erhalten. — stach dieser Ceremonie, welche „Erntesegen" heißt, gibt der Edelmann den Knechten ein Gelage, welches „Wodelbier" heißt. — Das Bier scheint überhaupt eine namhafte Rolle beim Wodansdienst und besonders bei der Erntefeier gespielt zu haben. So traf der heilige Columban seiner Zeit heidnische Schwaben bei einem solchen Opfer für Wodan, und in ihrer Mitte stand eine Kufe, welche gegen dreißig Maaß Bier enthielt; und daher war bis zur Neuzeit, ja noch am Ende des vorigen Jahrhunderts, z. B. im Schaumburgischen, Sitte, daß die Schnitter, unmittelbar nachdem die letzte Garbe gebunden war, den Acker mit Bier begossen, dann selbst tranken und nun, um die letzte Garbe, den „Waulroggen", entblößten Hauptes, in feierlichem Neigen tanzend, eine alte Strophe sangen, welche hochdeutsch folgendermaßen lautet: „Wode, Wode, Wode! Himmelsricsc weiß, was geschieht, Immer er nieder vom Himmel sieht. Volle Krüge und Garben hat er, Auch in dem Wald wüchse's mannigfnlt; Er ist nicht geboren und wird nicht alt. Wode, Wode, Wode!" — Noch jetzt tanzen am Steinhuder Meer, in Lippe und Hessen, die Schnit¬ ter um die letzte Garbe, durch welche sie einen blumenbekränzten Stab ge- *) Vergodenteil ist gleich „Für-Wodan" oder „Fro-Wodans", d. i. Herrn Wodans Theil. Wode wechselt vielfach in Mode, eil, Wechsel, der sprachlich wohl begründet, und auch durch das Anklingen von „Gode" an „Gott" besnnvortet sein mag. Grenzboten l. 1871. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/301>, abgerufen am 25.08.2024.