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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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möchten. Schubart ließ sich die Miene der Freundschaft täuschen und fuhr
mit. Draußen nahm ihn sogleich ein Major, der schon 3 Tage gewartet
hatte, in Empfang und nahm in auf die Bestung Asberg, wo er noch sitzt,
ohne daß ein Mensch die Ursache seiner Gefangennehmung weiß. Seinem
Weib ist eine jährliche Pension von 200 si. ausgemacht und die 2 Kinder
kommen in die herzogliche Academie und Ecole, woraus zu schließen ist. daß
die Gefangenschaft von Dauer seyn wird. In wenig Tagen hoff ich auf
sichere Nachricht von der Professorin, die ihre Kinder nach Stuttgart ge¬
bracht hat. Alsdann nett ich das Mehrere Lavatern oder Dir. Kaufmann
glaubt Lavater könnte wol etwas für Schubart beym Herzog thun. Wenn
Gerüchten zu trauen ist, so ist Schubarts Gefangenschaft leidlich und der
Herzog hat die Absicht ihn in Dienst zu nehmen. Allein, leyder sind das
nur Gerüchte.......


Dein M.

Erzäl das alles auch unsern Lieben.


19.
Miller an Kayser.

Ulm den 16. März 1777.


Lieber Kayser.

Ich hab jetzt drey Briefe von Dir und auch den Shakespear. Mit dem
letzten erhielt ich gar ein liebes Brieflein von Frau Schniebes und bedauerte
nun noch mehr, daß ich die Edle, die so schreibt und die Ihrigen weder in
Zürich noch jetzt in Ulm nicht konnte näher kennen lernen. Empfiehl mich
diesen lieben Tausendmal und dank für die herrlichen Zeilen!

Ich mag über das, was Du wieder von Kaufmann und mir und dei¬
nem in Dir selbst Leben, das ich nicht haben solle, schreibst, nichts sagen,
Es gäbe nur wieder Disput. Genug daß jeder von uns den herrlichen nach
seiner Art recht und ganz genossen hat.

Verrückt durch andre werd ich so wenig als ein Mensch. Seit ich selbst
denke, hab ich immer meine alten Grundsätze, bey denen mir so wohl ist,
weswegen ich sie eben auch nicht lassen mag. Wenn Dir bey den Deinen
wohl^ist, ists auch gut. Weiter suchen wir ja nichts hienieden. Ich sah
dich aber doch schon etlichemal von deinem Platz verrückt werden, wie z. E.
jetzt von deinem Glauben an Christum. Lieber Bruder, das hin und her
schwanken kan man doch nicht Festigkeit nennen. Doch ich will Dir nichts
vorpredigen. Aber das bitt ich dich doch, daß Du mir sagest, wodurch du
um Deinen Glauben gekommen? Ich spüre solchen Dingen zu meiner eige.
nen Belehrung sehr gern nach. Glaub nicht daß ich frage, um mit Dir zu



-) Durchstrichen: Ich hätte rasend werden mögen über die Geschichte.

möchten. Schubart ließ sich die Miene der Freundschaft täuschen und fuhr
mit. Draußen nahm ihn sogleich ein Major, der schon 3 Tage gewartet
hatte, in Empfang und nahm in auf die Bestung Asberg, wo er noch sitzt,
ohne daß ein Mensch die Ursache seiner Gefangennehmung weiß. Seinem
Weib ist eine jährliche Pension von 200 si. ausgemacht und die 2 Kinder
kommen in die herzogliche Academie und Ecole, woraus zu schließen ist. daß
die Gefangenschaft von Dauer seyn wird. In wenig Tagen hoff ich auf
sichere Nachricht von der Professorin, die ihre Kinder nach Stuttgart ge¬
bracht hat. Alsdann nett ich das Mehrere Lavatern oder Dir. Kaufmann
glaubt Lavater könnte wol etwas für Schubart beym Herzog thun. Wenn
Gerüchten zu trauen ist, so ist Schubarts Gefangenschaft leidlich und der
Herzog hat die Absicht ihn in Dienst zu nehmen. Allein, leyder sind das
nur Gerüchte.......


Dein M.

Erzäl das alles auch unsern Lieben.


19.
Miller an Kayser.

Ulm den 16. März 1777.


Lieber Kayser.

Ich hab jetzt drey Briefe von Dir und auch den Shakespear. Mit dem
letzten erhielt ich gar ein liebes Brieflein von Frau Schniebes und bedauerte
nun noch mehr, daß ich die Edle, die so schreibt und die Ihrigen weder in
Zürich noch jetzt in Ulm nicht konnte näher kennen lernen. Empfiehl mich
diesen lieben Tausendmal und dank für die herrlichen Zeilen!

Ich mag über das, was Du wieder von Kaufmann und mir und dei¬
nem in Dir selbst Leben, das ich nicht haben solle, schreibst, nichts sagen,
Es gäbe nur wieder Disput. Genug daß jeder von uns den herrlichen nach
seiner Art recht und ganz genossen hat.

Verrückt durch andre werd ich so wenig als ein Mensch. Seit ich selbst
denke, hab ich immer meine alten Grundsätze, bey denen mir so wohl ist,
weswegen ich sie eben auch nicht lassen mag. Wenn Dir bey den Deinen
wohl^ist, ists auch gut. Weiter suchen wir ja nichts hienieden. Ich sah
dich aber doch schon etlichemal von deinem Platz verrückt werden, wie z. E.
jetzt von deinem Glauben an Christum. Lieber Bruder, das hin und her
schwanken kan man doch nicht Festigkeit nennen. Doch ich will Dir nichts
vorpredigen. Aber das bitt ich dich doch, daß Du mir sagest, wodurch du
um Deinen Glauben gekommen? Ich spüre solchen Dingen zu meiner eige.
nen Belehrung sehr gern nach. Glaub nicht daß ich frage, um mit Dir zu



-) Durchstrichen: Ich hätte rasend werden mögen über die Geschichte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/512>, abgerufen am 22.12.2024.