Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue archäologische Literatur.
Studien über den Vilderkreis von Eleusis von Carl Strude. Leipzig. W. Engel¬
mann. 1870.

Die kleine Schrift behandelt einen Gegenstand, der für das Verständniß des
gesammten attischen Volksglaubens von Wichtigkeit und dadurch von weitgehendem
und allgemeinem Interesse ist, der aber bei der Beschaffenheit unserer Quellen eine
Behandlung erfordert und hier auch mit Recht gesunden hat, die sich zunächst an die
Fachgenossen wendet. Der Götterkreis von Eleusis, Demeter mit der geraubten und
wiedergefundenen Tochter Persephone, mit den auf die erste, Segen, Gedeihen und
Sitte verbreitenden Getreidespende bezüglichen Gestalten, ihren Schicksalen, mit den
an ihren und den Dionysosdienst angeknüpften Mysterien hat von je die Blicke der
Alterthums-Forschung auf sich gezogen; scharfe Gegensätze sind hier zu Tage getreten
und man muß es als ein wesentliches Verdienst der vorliegenden Schrift anerkennen,
daß sie verwickelte Fragen unbefangen ergreift und aus einem glücklich behandelten
Material förderliche Resultate gewinnt. Wir gedenken der Schrift an dieser Stelle
besonders in Hinblick auf ihren Verfasser, einen Sohn unserer Stadt Leipzig, der,
aus einer frisch begonnenen wissenschaftlichen Laufbahn heraus unter die Waffen ge¬
rufen, auf fremder Erde den Tod für's Vaterland gefunden bat.

Carl Strude, ein Sohn unseres Mitbürgers, des Chefs der Firma Th. Strude
<ni Sohn, hatte seine Laufbahn mit der Bestimmung begonnen, in das Goldschmidt¬
geschäft des Vaters einzutreten. Neben dem ersten Unterricht beschäftigten ihn Uebungen
im Zeichnen und Modelliren. Eine vorwiegende Neigung aber für wissenschaftliche
Studien gab seinem Leben eine andere Wendung. Er trat auf die Nikolaischule in
Leipzig über und verließ sie mit vorzüglichen Zeugnissen, um sich auf der Universi¬
tät philologischen und archäologischen Studien zu widmen. In Heidelberg zunächst
wurde Stark, in München Brunn sein Lehrer, die ihn beide mit warmer Theilnahme
förderten. Von Brunn's Empfehlungen begleitet, ging er nach Italien, wo er na¬
mentlich in Rom und Neapel mit reicher Frucht seinen Studien oblag. Er hatte
eben die oben genannte, seinem Lehrer Brunn zugeeignete Schrift vollendet, als er
im Frühjahr heimkehrte und sich nach Berlin wandte, um dort zugleich seiner Mili¬
tärpflicht zu genügen. Er trat in das 2. Garderegiment ein; kaum einexercirt rückte
er mit den Truppen aus über den Rhein und erhielt beim Sturm auf Se. Privat
bei Metz am 18. August einen Schuß in den Kopf; zwei Tage nachher erlag er
der schweren Wunde und ruht nun dort, -- ich denke wir dürfen sagen in deutscher Erde.

Wer kann auf solches Geschick blicken ohne das bittere Gefühl im Herzen, daß
die Blüthe unserer Jugend gebrochen werden muß, um uns einer Nation zu er¬
wehren, die ihre schönen Vorzüge durch die Unfähigkeit der Beschränkung schändet?
Unter den Verlusten, die uns schneidend zu Gemüthe fuhren, mit wie ungleichen
Waffen Deutschland gegen Frankreich ficht, ist auch der Versasser der angezeigten
Schrift. Der diese Zeilen schreibt, hat ihn nicht gekannt; aber eine schöne Bega¬
bung, ein reines Wahrheitsstreben, eine vortreffliche Bildung glauben wir aus dem


Neue archäologische Literatur.
Studien über den Vilderkreis von Eleusis von Carl Strude. Leipzig. W. Engel¬
mann. 1870.

Die kleine Schrift behandelt einen Gegenstand, der für das Verständniß des
gesammten attischen Volksglaubens von Wichtigkeit und dadurch von weitgehendem
und allgemeinem Interesse ist, der aber bei der Beschaffenheit unserer Quellen eine
Behandlung erfordert und hier auch mit Recht gesunden hat, die sich zunächst an die
Fachgenossen wendet. Der Götterkreis von Eleusis, Demeter mit der geraubten und
wiedergefundenen Tochter Persephone, mit den auf die erste, Segen, Gedeihen und
Sitte verbreitenden Getreidespende bezüglichen Gestalten, ihren Schicksalen, mit den
an ihren und den Dionysosdienst angeknüpften Mysterien hat von je die Blicke der
Alterthums-Forschung auf sich gezogen; scharfe Gegensätze sind hier zu Tage getreten
und man muß es als ein wesentliches Verdienst der vorliegenden Schrift anerkennen,
daß sie verwickelte Fragen unbefangen ergreift und aus einem glücklich behandelten
Material förderliche Resultate gewinnt. Wir gedenken der Schrift an dieser Stelle
besonders in Hinblick auf ihren Verfasser, einen Sohn unserer Stadt Leipzig, der,
aus einer frisch begonnenen wissenschaftlichen Laufbahn heraus unter die Waffen ge¬
rufen, auf fremder Erde den Tod für's Vaterland gefunden bat.

Carl Strude, ein Sohn unseres Mitbürgers, des Chefs der Firma Th. Strude
<ni Sohn, hatte seine Laufbahn mit der Bestimmung begonnen, in das Goldschmidt¬
geschäft des Vaters einzutreten. Neben dem ersten Unterricht beschäftigten ihn Uebungen
im Zeichnen und Modelliren. Eine vorwiegende Neigung aber für wissenschaftliche
Studien gab seinem Leben eine andere Wendung. Er trat auf die Nikolaischule in
Leipzig über und verließ sie mit vorzüglichen Zeugnissen, um sich auf der Universi¬
tät philologischen und archäologischen Studien zu widmen. In Heidelberg zunächst
wurde Stark, in München Brunn sein Lehrer, die ihn beide mit warmer Theilnahme
förderten. Von Brunn's Empfehlungen begleitet, ging er nach Italien, wo er na¬
mentlich in Rom und Neapel mit reicher Frucht seinen Studien oblag. Er hatte
eben die oben genannte, seinem Lehrer Brunn zugeeignete Schrift vollendet, als er
im Frühjahr heimkehrte und sich nach Berlin wandte, um dort zugleich seiner Mili¬
tärpflicht zu genügen. Er trat in das 2. Garderegiment ein; kaum einexercirt rückte
er mit den Truppen aus über den Rhein und erhielt beim Sturm auf Se. Privat
bei Metz am 18. August einen Schuß in den Kopf; zwei Tage nachher erlag er
der schweren Wunde und ruht nun dort, — ich denke wir dürfen sagen in deutscher Erde.

Wer kann auf solches Geschick blicken ohne das bittere Gefühl im Herzen, daß
die Blüthe unserer Jugend gebrochen werden muß, um uns einer Nation zu er¬
wehren, die ihre schönen Vorzüge durch die Unfähigkeit der Beschränkung schändet?
Unter den Verlusten, die uns schneidend zu Gemüthe fuhren, mit wie ungleichen
Waffen Deutschland gegen Frankreich ficht, ist auch der Versasser der angezeigten
Schrift. Der diese Zeilen schreibt, hat ihn nicht gekannt; aber eine schöne Bega¬
bung, ein reines Wahrheitsstreben, eine vortreffliche Bildung glauben wir aus dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0406" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125112"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue archäologische Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Studien über den Vilderkreis von Eleusis von Carl Strude. Leipzig. W. Engel¬<lb/>
mann. 1870.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1220"> Die kleine Schrift behandelt einen Gegenstand, der für das Verständniß des<lb/>
gesammten attischen Volksglaubens von Wichtigkeit und dadurch von weitgehendem<lb/>
und allgemeinem Interesse ist, der aber bei der Beschaffenheit unserer Quellen eine<lb/>
Behandlung erfordert und hier auch mit Recht gesunden hat, die sich zunächst an die<lb/>
Fachgenossen wendet. Der Götterkreis von Eleusis, Demeter mit der geraubten und<lb/>
wiedergefundenen Tochter Persephone, mit den auf die erste, Segen, Gedeihen und<lb/>
Sitte verbreitenden Getreidespende bezüglichen Gestalten, ihren Schicksalen, mit den<lb/>
an ihren und den Dionysosdienst angeknüpften Mysterien hat von je die Blicke der<lb/>
Alterthums-Forschung auf sich gezogen; scharfe Gegensätze sind hier zu Tage getreten<lb/>
und man muß es als ein wesentliches Verdienst der vorliegenden Schrift anerkennen,<lb/>
daß sie verwickelte Fragen unbefangen ergreift und aus einem glücklich behandelten<lb/>
Material förderliche Resultate gewinnt. Wir gedenken der Schrift an dieser Stelle<lb/>
besonders in Hinblick auf ihren Verfasser, einen Sohn unserer Stadt Leipzig, der,<lb/>
aus einer frisch begonnenen wissenschaftlichen Laufbahn heraus unter die Waffen ge¬<lb/>
rufen, auf fremder Erde den Tod für's Vaterland gefunden bat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1221"> Carl Strude, ein Sohn unseres Mitbürgers, des Chefs der Firma Th. Strude<lb/>
&lt;ni Sohn, hatte seine Laufbahn mit der Bestimmung begonnen, in das Goldschmidt¬<lb/>
geschäft des Vaters einzutreten. Neben dem ersten Unterricht beschäftigten ihn Uebungen<lb/>
im Zeichnen und Modelliren. Eine vorwiegende Neigung aber für wissenschaftliche<lb/>
Studien gab seinem Leben eine andere Wendung. Er trat auf die Nikolaischule in<lb/>
Leipzig über und verließ sie mit vorzüglichen Zeugnissen, um sich auf der Universi¬<lb/>
tät philologischen und archäologischen Studien zu widmen. In Heidelberg zunächst<lb/>
wurde Stark, in München Brunn sein Lehrer, die ihn beide mit warmer Theilnahme<lb/>
förderten. Von Brunn's Empfehlungen begleitet, ging er nach Italien, wo er na¬<lb/>
mentlich in Rom und Neapel mit reicher Frucht seinen Studien oblag. Er hatte<lb/>
eben die oben genannte, seinem Lehrer Brunn zugeeignete Schrift vollendet, als er<lb/>
im Frühjahr heimkehrte und sich nach Berlin wandte, um dort zugleich seiner Mili¬<lb/>
tärpflicht zu genügen. Er trat in das 2. Garderegiment ein; kaum einexercirt rückte<lb/>
er mit den Truppen aus über den Rhein und erhielt beim Sturm auf Se. Privat<lb/>
bei Metz am 18. August einen Schuß in den Kopf; zwei Tage nachher erlag er<lb/>
der schweren Wunde und ruht nun dort, &#x2014; ich denke wir dürfen sagen in deutscher Erde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1222" next="#ID_1223"> Wer kann auf solches Geschick blicken ohne das bittere Gefühl im Herzen, daß<lb/>
die Blüthe unserer Jugend gebrochen werden muß, um uns einer Nation zu er¬<lb/>
wehren, die ihre schönen Vorzüge durch die Unfähigkeit der Beschränkung schändet?<lb/>
Unter den Verlusten, die uns schneidend zu Gemüthe fuhren, mit wie ungleichen<lb/>
Waffen Deutschland gegen Frankreich ficht, ist auch der Versasser der angezeigten<lb/>
Schrift. Der diese Zeilen schreibt, hat ihn nicht gekannt; aber eine schöne Bega¬<lb/>
bung, ein reines Wahrheitsstreben, eine vortreffliche Bildung glauben wir aus dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0406] Neue archäologische Literatur. Studien über den Vilderkreis von Eleusis von Carl Strude. Leipzig. W. Engel¬ mann. 1870. Die kleine Schrift behandelt einen Gegenstand, der für das Verständniß des gesammten attischen Volksglaubens von Wichtigkeit und dadurch von weitgehendem und allgemeinem Interesse ist, der aber bei der Beschaffenheit unserer Quellen eine Behandlung erfordert und hier auch mit Recht gesunden hat, die sich zunächst an die Fachgenossen wendet. Der Götterkreis von Eleusis, Demeter mit der geraubten und wiedergefundenen Tochter Persephone, mit den auf die erste, Segen, Gedeihen und Sitte verbreitenden Getreidespende bezüglichen Gestalten, ihren Schicksalen, mit den an ihren und den Dionysosdienst angeknüpften Mysterien hat von je die Blicke der Alterthums-Forschung auf sich gezogen; scharfe Gegensätze sind hier zu Tage getreten und man muß es als ein wesentliches Verdienst der vorliegenden Schrift anerkennen, daß sie verwickelte Fragen unbefangen ergreift und aus einem glücklich behandelten Material förderliche Resultate gewinnt. Wir gedenken der Schrift an dieser Stelle besonders in Hinblick auf ihren Verfasser, einen Sohn unserer Stadt Leipzig, der, aus einer frisch begonnenen wissenschaftlichen Laufbahn heraus unter die Waffen ge¬ rufen, auf fremder Erde den Tod für's Vaterland gefunden bat. Carl Strude, ein Sohn unseres Mitbürgers, des Chefs der Firma Th. Strude <ni Sohn, hatte seine Laufbahn mit der Bestimmung begonnen, in das Goldschmidt¬ geschäft des Vaters einzutreten. Neben dem ersten Unterricht beschäftigten ihn Uebungen im Zeichnen und Modelliren. Eine vorwiegende Neigung aber für wissenschaftliche Studien gab seinem Leben eine andere Wendung. Er trat auf die Nikolaischule in Leipzig über und verließ sie mit vorzüglichen Zeugnissen, um sich auf der Universi¬ tät philologischen und archäologischen Studien zu widmen. In Heidelberg zunächst wurde Stark, in München Brunn sein Lehrer, die ihn beide mit warmer Theilnahme förderten. Von Brunn's Empfehlungen begleitet, ging er nach Italien, wo er na¬ mentlich in Rom und Neapel mit reicher Frucht seinen Studien oblag. Er hatte eben die oben genannte, seinem Lehrer Brunn zugeeignete Schrift vollendet, als er im Frühjahr heimkehrte und sich nach Berlin wandte, um dort zugleich seiner Mili¬ tärpflicht zu genügen. Er trat in das 2. Garderegiment ein; kaum einexercirt rückte er mit den Truppen aus über den Rhein und erhielt beim Sturm auf Se. Privat bei Metz am 18. August einen Schuß in den Kopf; zwei Tage nachher erlag er der schweren Wunde und ruht nun dort, — ich denke wir dürfen sagen in deutscher Erde. Wer kann auf solches Geschick blicken ohne das bittere Gefühl im Herzen, daß die Blüthe unserer Jugend gebrochen werden muß, um uns einer Nation zu er¬ wehren, die ihre schönen Vorzüge durch die Unfähigkeit der Beschränkung schändet? Unter den Verlusten, die uns schneidend zu Gemüthe fuhren, mit wie ungleichen Waffen Deutschland gegen Frankreich ficht, ist auch der Versasser der angezeigten Schrift. Der diese Zeilen schreibt, hat ihn nicht gekannt; aber eine schöne Bega¬ bung, ein reines Wahrheitsstreben, eine vortreffliche Bildung glauben wir aus dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/406
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/406>, abgerufen am 22.12.2024.