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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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das die bis jetzt gelungenste und bewährteste Form ist für die Aufbietung
eines hinlänglichen Maßes persönlicher Fürsorge an der Stelle
von Geld und mechanischer äußerer Almosenausstreuung.




Aus Schwaben.

Des Frühsommers brennende Sonne hat bis jetzt die Thätigkeit der
Politischen Parteien noch nicht ganz ertödten können. Die Märzenkrisis ent¬
hielt für jede derselben die Aufforderung, ihre Kräfte zu prüfen und wach
zu halten. Einerseits mußte die Volkspartei bemüht sein, den günstigen,
beruhigenden Eindruck, der von der Nachgiebigkeit des Ministeriums in der
Militärfrage zu erwarten war, nicht aufkommen zu lassen. So begannen
denn die Volksversammlungen aufs Neue ihr grausames Spiel, die Redner
redeten unverdrossen ihre Reden zum andernmale, und die Resolutionen,
welche dem fortdauernden Mißvergnügen des Volks Ausdruck gaben, er¬
schienen in neuer und vermehrter Auflage. Die Anforderungen wurden,
nachdem sie in milderer Fassung bewilligt waren, jetzt wieder gesteigert, man
verlangte "wahrhaft allgemeine aber kürzeste Präsenz" und drohte mit den
äußersten verfassungsmäßigen Mitteln, mit der Steuerverweigerung. Die
Häupter der Volkspartei schienen sondiren zu wollen, bis zu welchem Punkte
sie sich auf die Bevölkerung verlassen könnten, und der Hauptredner versäumte
nicht, in einer jener Volksversammlungen die Erinnerung an die dunkelsten
Vorgänge der würtembergischen Landesgeschichte wieder aufzufrischen. Er
erzählte, auf welche Weise das würtenbergische Volk in früheren Conflicts¬
zeiten sich geholfen habe, wie es einmal einen mißliebigen Minister geköpft,
einen anderen gehenkt, ja sogar einmal den Herzog habe einschlafen aber
nicht wieder aufwachen lassen. Es scheint indeß nicht, daß diese "Beispiele des
Guten" von großer Wirkung waren. Offenbar versagten die Reizmittel, welche
der etwas abgestandenen "Agitation" wieder aufhelfen sollten. Die Stimmung
auf jenen späteren Volksversammlungen entsprach durchaus nicht den großen
Worten, die hier gelassen ausgesprochen wurden, die Müdigkeit war un¬
verkennbar und den Beschluß machte dann jene gänzlich verunglückte
Volksversammlung in Stuttgart vom 21. Mai, welche bestimmt war, der
Landesagitation zu guter letzt das Siegel der Hauptstadt aufzudrücken,
welche als Antwort auf die Landesversammlung der deutschen Partei aus¬
drücklich eine imposante Gegenkundgebung werden sollte, und zu der das "kleine


das die bis jetzt gelungenste und bewährteste Form ist für die Aufbietung
eines hinlänglichen Maßes persönlicher Fürsorge an der Stelle
von Geld und mechanischer äußerer Almosenausstreuung.




Aus Schwaben.

Des Frühsommers brennende Sonne hat bis jetzt die Thätigkeit der
Politischen Parteien noch nicht ganz ertödten können. Die Märzenkrisis ent¬
hielt für jede derselben die Aufforderung, ihre Kräfte zu prüfen und wach
zu halten. Einerseits mußte die Volkspartei bemüht sein, den günstigen,
beruhigenden Eindruck, der von der Nachgiebigkeit des Ministeriums in der
Militärfrage zu erwarten war, nicht aufkommen zu lassen. So begannen
denn die Volksversammlungen aufs Neue ihr grausames Spiel, die Redner
redeten unverdrossen ihre Reden zum andernmale, und die Resolutionen,
welche dem fortdauernden Mißvergnügen des Volks Ausdruck gaben, er¬
schienen in neuer und vermehrter Auflage. Die Anforderungen wurden,
nachdem sie in milderer Fassung bewilligt waren, jetzt wieder gesteigert, man
verlangte „wahrhaft allgemeine aber kürzeste Präsenz" und drohte mit den
äußersten verfassungsmäßigen Mitteln, mit der Steuerverweigerung. Die
Häupter der Volkspartei schienen sondiren zu wollen, bis zu welchem Punkte
sie sich auf die Bevölkerung verlassen könnten, und der Hauptredner versäumte
nicht, in einer jener Volksversammlungen die Erinnerung an die dunkelsten
Vorgänge der würtembergischen Landesgeschichte wieder aufzufrischen. Er
erzählte, auf welche Weise das würtenbergische Volk in früheren Conflicts¬
zeiten sich geholfen habe, wie es einmal einen mißliebigen Minister geköpft,
einen anderen gehenkt, ja sogar einmal den Herzog habe einschlafen aber
nicht wieder aufwachen lassen. Es scheint indeß nicht, daß diese „Beispiele des
Guten" von großer Wirkung waren. Offenbar versagten die Reizmittel, welche
der etwas abgestandenen „Agitation" wieder aufhelfen sollten. Die Stimmung
auf jenen späteren Volksversammlungen entsprach durchaus nicht den großen
Worten, die hier gelassen ausgesprochen wurden, die Müdigkeit war un¬
verkennbar und den Beschluß machte dann jene gänzlich verunglückte
Volksversammlung in Stuttgart vom 21. Mai, welche bestimmt war, der
Landesagitation zu guter letzt das Siegel der Hauptstadt aufzudrücken,
welche als Antwort auf die Landesversammlung der deutschen Partei aus¬
drücklich eine imposante Gegenkundgebung werden sollte, und zu der das „kleine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/509>, abgerufen am 27.07.2024.