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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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der Deputation der zweiten Kammer abgelehnt und bewahrt dem Fürsten
Hohenlohe fortwährend sein Vertrauen. Dagegen soll dieser auf seine Ent¬
lassung bestehen, nicht sowohl weil ihm die Ultramontanen die Lust zu regieren
verdorben hätten, als weil er mit seinen jetzigen College" weiter ein soli¬
darisches Ministerium zu bilden für eine Unmöglichkeit halten soll. In der
That soll es sich nur noch um die Aufsindung eines passenden Nachfolgers
handeln. Wenn man so schnell nachzugeben gesonnen war, ist dem lärmen¬
den Vorgehen gegen die Kammer der Reichsrathe schwer ein echter Sinn ab¬
zugewinnen.

Dies ist in kurzen Worten die politische Situation von heute. Als
Erscheinung, die zwar nur mittelbare Folge der Adreßdebatte ist, in derselben
aber ihre feierliche Besiegelung erhalten hat, ist aber noch die Spaltung inner¬
halb des katholischen Clerus zu constatiren. Niemand, der die Rede Döllinger's
im Reichsrath, und die leidenschaftliche Verdammung der Richtung dieses Mannes
durch Jörg und Andere in der Abgeordnetenkammer mit angehört hat, wird
bezweifeln, daß dieser Riß bereits ein unheilbarer geworden ist. Selbst die
impertinenten Witze, die der Militär-Curat Lucas über seinen mit der Re¬
gierung in Frieden lebenden Bischof zum Besten gab, werden von Jedem,
der die Disciplin und den Corporationsgeist des katholischen Clerus kennt,
geradezu als Eretgniß angesehen. Zwar ist die gemäßigte Richtung inner¬
halb des Clerus bisher nur auf die höheren Schichten der Geistlichkeit beschränkt,
nur ein Wölkchen, "wie eine Hand so groß"; allein sie hat schon jetzt hohe Be¬
deutung und birgt die Keime einer bessern Zukunft zweifellos in sich. Döl¬
linger's Verhalten kann geradezu als bahnbrechend angesehen werden und
ist vom Dank aller Wohlmeinenden begleitet gewesen.




Polnischer Monatsbericht.

X

Daß die Weltgeschichte zwei Schritte vorwärts und dann einen Schritt
rückwärts zu thun pflege, ist ein bekannter, wenn ich nicht irre zuerst von
Börne ausgesprochener Satz. Seine Wahrheit hat sich in der jüngsten deut¬
schen Geschichte neu bewährt.

Seit dem Schluß des Zollparlaments von 1868 befinden wir uns in
einer Periode der Reaction gegen die großen Ereignisse von 1866 und diese
hat, wenn nicht alle Anzeichen trügen, im abgelaufenen Monat ihr Zenith


der Deputation der zweiten Kammer abgelehnt und bewahrt dem Fürsten
Hohenlohe fortwährend sein Vertrauen. Dagegen soll dieser auf seine Ent¬
lassung bestehen, nicht sowohl weil ihm die Ultramontanen die Lust zu regieren
verdorben hätten, als weil er mit seinen jetzigen College» weiter ein soli¬
darisches Ministerium zu bilden für eine Unmöglichkeit halten soll. In der
That soll es sich nur noch um die Aufsindung eines passenden Nachfolgers
handeln. Wenn man so schnell nachzugeben gesonnen war, ist dem lärmen¬
den Vorgehen gegen die Kammer der Reichsrathe schwer ein echter Sinn ab¬
zugewinnen.

Dies ist in kurzen Worten die politische Situation von heute. Als
Erscheinung, die zwar nur mittelbare Folge der Adreßdebatte ist, in derselben
aber ihre feierliche Besiegelung erhalten hat, ist aber noch die Spaltung inner¬
halb des katholischen Clerus zu constatiren. Niemand, der die Rede Döllinger's
im Reichsrath, und die leidenschaftliche Verdammung der Richtung dieses Mannes
durch Jörg und Andere in der Abgeordnetenkammer mit angehört hat, wird
bezweifeln, daß dieser Riß bereits ein unheilbarer geworden ist. Selbst die
impertinenten Witze, die der Militär-Curat Lucas über seinen mit der Re¬
gierung in Frieden lebenden Bischof zum Besten gab, werden von Jedem,
der die Disciplin und den Corporationsgeist des katholischen Clerus kennt,
geradezu als Eretgniß angesehen. Zwar ist die gemäßigte Richtung inner¬
halb des Clerus bisher nur auf die höheren Schichten der Geistlichkeit beschränkt,
nur ein Wölkchen, „wie eine Hand so groß"; allein sie hat schon jetzt hohe Be¬
deutung und birgt die Keime einer bessern Zukunft zweifellos in sich. Döl¬
linger's Verhalten kann geradezu als bahnbrechend angesehen werden und
ist vom Dank aller Wohlmeinenden begleitet gewesen.




Polnischer Monatsbericht.

X

Daß die Weltgeschichte zwei Schritte vorwärts und dann einen Schritt
rückwärts zu thun pflege, ist ein bekannter, wenn ich nicht irre zuerst von
Börne ausgesprochener Satz. Seine Wahrheit hat sich in der jüngsten deut¬
schen Geschichte neu bewährt.

Seit dem Schluß des Zollparlaments von 1868 befinden wir uns in
einer Periode der Reaction gegen die großen Ereignisse von 1866 und diese
hat, wenn nicht alle Anzeichen trügen, im abgelaufenen Monat ihr Zenith


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[0356] der Deputation der zweiten Kammer abgelehnt und bewahrt dem Fürsten Hohenlohe fortwährend sein Vertrauen. Dagegen soll dieser auf seine Ent¬ lassung bestehen, nicht sowohl weil ihm die Ultramontanen die Lust zu regieren verdorben hätten, als weil er mit seinen jetzigen College» weiter ein soli¬ darisches Ministerium zu bilden für eine Unmöglichkeit halten soll. In der That soll es sich nur noch um die Aufsindung eines passenden Nachfolgers handeln. Wenn man so schnell nachzugeben gesonnen war, ist dem lärmen¬ den Vorgehen gegen die Kammer der Reichsrathe schwer ein echter Sinn ab¬ zugewinnen. Dies ist in kurzen Worten die politische Situation von heute. Als Erscheinung, die zwar nur mittelbare Folge der Adreßdebatte ist, in derselben aber ihre feierliche Besiegelung erhalten hat, ist aber noch die Spaltung inner¬ halb des katholischen Clerus zu constatiren. Niemand, der die Rede Döllinger's im Reichsrath, und die leidenschaftliche Verdammung der Richtung dieses Mannes durch Jörg und Andere in der Abgeordnetenkammer mit angehört hat, wird bezweifeln, daß dieser Riß bereits ein unheilbarer geworden ist. Selbst die impertinenten Witze, die der Militär-Curat Lucas über seinen mit der Re¬ gierung in Frieden lebenden Bischof zum Besten gab, werden von Jedem, der die Disciplin und den Corporationsgeist des katholischen Clerus kennt, geradezu als Eretgniß angesehen. Zwar ist die gemäßigte Richtung inner¬ halb des Clerus bisher nur auf die höheren Schichten der Geistlichkeit beschränkt, nur ein Wölkchen, „wie eine Hand so groß"; allein sie hat schon jetzt hohe Be¬ deutung und birgt die Keime einer bessern Zukunft zweifellos in sich. Döl¬ linger's Verhalten kann geradezu als bahnbrechend angesehen werden und ist vom Dank aller Wohlmeinenden begleitet gewesen. Polnischer Monatsbericht. X Daß die Weltgeschichte zwei Schritte vorwärts und dann einen Schritt rückwärts zu thun pflege, ist ein bekannter, wenn ich nicht irre zuerst von Börne ausgesprochener Satz. Seine Wahrheit hat sich in der jüngsten deut¬ schen Geschichte neu bewährt. Seit dem Schluß des Zollparlaments von 1868 befinden wir uns in einer Periode der Reaction gegen die großen Ereignisse von 1866 und diese hat, wenn nicht alle Anzeichen trügen, im abgelaufenen Monat ihr Zenith

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/356>, abgerufen am 26.06.2024.