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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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solchen Verfassung bei uns vorgegangen sei, die historische Nechtscontinuität
thunlichst gewahrt und kein Schritt zu einer zwangsweisen Einführung der
Union geschehen, vielmehr nur alte Verheißungen früherer Regierungen er¬
füllt seien. --

So liegt in diesem Augenblicke der Streit um unsere Kirchenverfassung.
An der Regierung ist es nun. auf die Proteste zu antworten. Wird sie
die Männer, welche an der Vorsynode nicht theilnehmen wollen, bei Seite
liegen lassen und sie erst dann anhalten, zu gehorchen, wenn sie sich auch den
Beschlüssen dieser Synode widersetzen, oder wird sie schon jetzt kurzen Proceß
mit ihnen machen und vorläufig mit Ordnungsstrafen gegen sie vorgehen?
Das ist jetzt die allgemeine Frage und man ist im ganzen Lande auf ihre
Beantwortung gespannt. Daß die gesammte Localpresse des Landes, die
hessische Morgenzeitung Friedrich Oetkers an der Spitze, in dieser Frage auf
Seiten der Regierung steht, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Nur die
"Volkszeitung" vertheidigt im Bunde mit dem ehemals deutsch-katholischen
"Frankfurter Journal" und der republikanischen "Frankfurter Zeitung" die
hessischen Vilmarianer und Superintendenten. Wollen diese doch das Land
vor der völligen Verpreußung und dem Mühlerschen Muckerthum beschützen!
Wahrheit und Lüge sind nie besser gemischt worden, wie Sie sehen!




Richard Wagner's "Rheingold".

Eine vorwiegend katholische Stadt wie München sieht im Laufe eines
Jahres viele öffentliche Feste, von denen man anderswo nichts merkt und
weiß. Aber die letztvergangene Woche war doch durch drei besondere Tage
ausgezeichnet, die selbst in München eine ungewöhnliche Bewegung hervor¬
zurufen im Stande waren. Am 25. August wurde mit dem herkömmlichen
officiösen Pomp des Königs Geburth- und Namenstag gefeiert, am 28. Aug.
die Goethe-Statue (die, nebenbei gesagt, keinem Menschen gefallen will) ent-
hüllt, am 29. Aug sollte Wagner's Rheingold aufgeführt werden. An die
gelegentlich der Namensfeier stattfindenden Paraden ist die Residenz aller¬
dings längst gewöhnt, die Enthüllung des Standbildes dürste nur sehr wenige
Münchner berührt haben, desto größere Theilnahme fand aber die in Aus¬
sicht stehende Opernaufführung, von der man schon seit Monaten gesprochen,
der zu Liebe man die größten baulichen Veränderungen im Theater vorgenom¬
men und -- wie man sich laut und leise sagt -- zu deren Ausstattung man


solchen Verfassung bei uns vorgegangen sei, die historische Nechtscontinuität
thunlichst gewahrt und kein Schritt zu einer zwangsweisen Einführung der
Union geschehen, vielmehr nur alte Verheißungen früherer Regierungen er¬
füllt seien. —

So liegt in diesem Augenblicke der Streit um unsere Kirchenverfassung.
An der Regierung ist es nun. auf die Proteste zu antworten. Wird sie
die Männer, welche an der Vorsynode nicht theilnehmen wollen, bei Seite
liegen lassen und sie erst dann anhalten, zu gehorchen, wenn sie sich auch den
Beschlüssen dieser Synode widersetzen, oder wird sie schon jetzt kurzen Proceß
mit ihnen machen und vorläufig mit Ordnungsstrafen gegen sie vorgehen?
Das ist jetzt die allgemeine Frage und man ist im ganzen Lande auf ihre
Beantwortung gespannt. Daß die gesammte Localpresse des Landes, die
hessische Morgenzeitung Friedrich Oetkers an der Spitze, in dieser Frage auf
Seiten der Regierung steht, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Nur die
„Volkszeitung" vertheidigt im Bunde mit dem ehemals deutsch-katholischen
„Frankfurter Journal" und der republikanischen „Frankfurter Zeitung" die
hessischen Vilmarianer und Superintendenten. Wollen diese doch das Land
vor der völligen Verpreußung und dem Mühlerschen Muckerthum beschützen!
Wahrheit und Lüge sind nie besser gemischt worden, wie Sie sehen!




Richard Wagner's „Rheingold".

Eine vorwiegend katholische Stadt wie München sieht im Laufe eines
Jahres viele öffentliche Feste, von denen man anderswo nichts merkt und
weiß. Aber die letztvergangene Woche war doch durch drei besondere Tage
ausgezeichnet, die selbst in München eine ungewöhnliche Bewegung hervor¬
zurufen im Stande waren. Am 25. August wurde mit dem herkömmlichen
officiösen Pomp des Königs Geburth- und Namenstag gefeiert, am 28. Aug.
die Goethe-Statue (die, nebenbei gesagt, keinem Menschen gefallen will) ent-
hüllt, am 29. Aug sollte Wagner's Rheingold aufgeführt werden. An die
gelegentlich der Namensfeier stattfindenden Paraden ist die Residenz aller¬
dings längst gewöhnt, die Enthüllung des Standbildes dürste nur sehr wenige
Münchner berührt haben, desto größere Theilnahme fand aber die in Aus¬
sicht stehende Opernaufführung, von der man schon seit Monaten gesprochen,
der zu Liebe man die größten baulichen Veränderungen im Theater vorgenom¬
men und — wie man sich laut und leise sagt — zu deren Ausstattung man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/421>, abgerufen am 22.07.2024.