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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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bewahren, spricht sich der Verfasser über diese Frage der Zukunft nicht weiter
aus. doch läßt seine sonstige Gesinnung, wie sehr er auch in Preußen die
eigentlich berufene Schutzmacht der Bukarester Protestanten erblickte erwarten,
daß er die Autonomie seiner Gemeinde kräftig vertheidigen wird. Vorläufig
können wir als Freunde deutsch-protestantischen Wesens wenigstens hoffen,
daß unter der gerechten und friedlichen Regierung des hohenzollernschen Fürsten
unseren Landsleuten in Rumänien und dem ganzen Lande eine Zeit gedeih¬
licher Entwickelung anbrechen werde.




Polnischer Monatsbericht.

X

Die Tage, welche das erste Halbjahr 1869 beschließen, laden unwillkür¬
lich zu einer Rückschau über den Hauptinhalt desselben ein. Aber es scheint,
wir sind im Großen und Ganzen gerade soweit wie vor sechs Monaten;
eine ganze Anzahl von Ereignissen liegt hinter uns, aber kein einziges Re¬
sultat ist gewonnen, welches die Situation geklärt, der Ruhe des Welttheils
Bürgschaft geboten hätte. Das Stimmen dauert fort, das Concert will nicht
beginnen. Deutschlands Beziehungen zu den Nachbarn jenseits des Rhein
und des Böhmerwaldes leben nach wie vor von der Hand in den Mund,
und im Grunde genommen steht es ebenso um das Verhältniß des deutschen
Volks zu der im Jahre 1866 neubegründelen Ordnung der Dinge. Nicht
als ob zweifelhaft wäre, daß der norddeutsche Bund genügende Grundlagen
seiner Existenz gewonnen hätte; aber seine zeitweiligen Formen drängen
gewaltsam vorwärts in neue Bahnen und diese Bahnen sind durch zahllose
Hindernisse, äußere wie innere, gehemmt.

Die Frage nach unserer Zukunft steht, so lange eine definitive Ahrens,
mung mit Frankreich noch nicht stattgefunden, mit der Frage nach der Ge¬
staltung der französischen Dinge im engsten Zusammenhang. In Paris aber
hat jede vernünftige Rechnung längst aufgehört. Nachdem die Hauptwahlen
für den gesetzgebenden Körper zu Gunsten des Imperialismus und des Radica-
lismus ausgefallen waren, siegte bei den Nachwahlen die kurz vorher deutlich
desavouirte liberale Opposition. Ihren Siegen in der französischen Haupt¬
stadt folgte eine Reihe rumultuarischer Auftritte, deren Bedeutung bis jetzt
ebenso zweifelhaft geblieben ist, wie ihre Entstehung. -- Während der gebildete
Theil der Nation und die Presse darüber einig scheinen, daß das zweite
Kaiserreich sich durch liberale Concessionen neue Lebensbedingungen schaffen
müsse, stellt Napoleons Schreiben an den Baron Mackau sich auf den Stand¬
punkt des non PV88UMU8 und Alles, was von dem bevorstehenden Rücktritt der
Rouher und Haußmann eolporlirt worden, ist gründlich Lügen gestraft. Den
Pariser Straßenaufläufen sind ernsthafte Arbeiterunruhen in den Bergwerken
von Se. Erienne parallel gelaufen und die öffentliche Meinung weiß nicht
einmal, ob dieselben durch socialistische Umtriebe oder durch bittre Noth
hervorgerufen worden sind, In Marseille feiern die Tischler, in Lyon die
Bäcker, und es kann leicht geschehen, daß die Sorge um die sociale Frage
demnächst die politischen Wirren ablöst. Haben beide Bewegungen doch schon
seit geraumer Zeit nichts mehr mit einander gemein. "Der Kaiser geht in
das Lager von Chalons" lautet die letzte Nachricht aus Paris und den Cor-


bewahren, spricht sich der Verfasser über diese Frage der Zukunft nicht weiter
aus. doch läßt seine sonstige Gesinnung, wie sehr er auch in Preußen die
eigentlich berufene Schutzmacht der Bukarester Protestanten erblickte erwarten,
daß er die Autonomie seiner Gemeinde kräftig vertheidigen wird. Vorläufig
können wir als Freunde deutsch-protestantischen Wesens wenigstens hoffen,
daß unter der gerechten und friedlichen Regierung des hohenzollernschen Fürsten
unseren Landsleuten in Rumänien und dem ganzen Lande eine Zeit gedeih¬
licher Entwickelung anbrechen werde.




Polnischer Monatsbericht.

X

Die Tage, welche das erste Halbjahr 1869 beschließen, laden unwillkür¬
lich zu einer Rückschau über den Hauptinhalt desselben ein. Aber es scheint,
wir sind im Großen und Ganzen gerade soweit wie vor sechs Monaten;
eine ganze Anzahl von Ereignissen liegt hinter uns, aber kein einziges Re¬
sultat ist gewonnen, welches die Situation geklärt, der Ruhe des Welttheils
Bürgschaft geboten hätte. Das Stimmen dauert fort, das Concert will nicht
beginnen. Deutschlands Beziehungen zu den Nachbarn jenseits des Rhein
und des Böhmerwaldes leben nach wie vor von der Hand in den Mund,
und im Grunde genommen steht es ebenso um das Verhältniß des deutschen
Volks zu der im Jahre 1866 neubegründelen Ordnung der Dinge. Nicht
als ob zweifelhaft wäre, daß der norddeutsche Bund genügende Grundlagen
seiner Existenz gewonnen hätte; aber seine zeitweiligen Formen drängen
gewaltsam vorwärts in neue Bahnen und diese Bahnen sind durch zahllose
Hindernisse, äußere wie innere, gehemmt.

Die Frage nach unserer Zukunft steht, so lange eine definitive Ahrens,
mung mit Frankreich noch nicht stattgefunden, mit der Frage nach der Ge¬
staltung der französischen Dinge im engsten Zusammenhang. In Paris aber
hat jede vernünftige Rechnung längst aufgehört. Nachdem die Hauptwahlen
für den gesetzgebenden Körper zu Gunsten des Imperialismus und des Radica-
lismus ausgefallen waren, siegte bei den Nachwahlen die kurz vorher deutlich
desavouirte liberale Opposition. Ihren Siegen in der französischen Haupt¬
stadt folgte eine Reihe rumultuarischer Auftritte, deren Bedeutung bis jetzt
ebenso zweifelhaft geblieben ist, wie ihre Entstehung. — Während der gebildete
Theil der Nation und die Presse darüber einig scheinen, daß das zweite
Kaiserreich sich durch liberale Concessionen neue Lebensbedingungen schaffen
müsse, stellt Napoleons Schreiben an den Baron Mackau sich auf den Stand¬
punkt des non PV88UMU8 und Alles, was von dem bevorstehenden Rücktritt der
Rouher und Haußmann eolporlirt worden, ist gründlich Lügen gestraft. Den
Pariser Straßenaufläufen sind ernsthafte Arbeiterunruhen in den Bergwerken
von Se. Erienne parallel gelaufen und die öffentliche Meinung weiß nicht
einmal, ob dieselben durch socialistische Umtriebe oder durch bittre Noth
hervorgerufen worden sind, In Marseille feiern die Tischler, in Lyon die
Bäcker, und es kann leicht geschehen, daß die Sorge um die sociale Frage
demnächst die politischen Wirren ablöst. Haben beide Bewegungen doch schon
seit geraumer Zeit nichts mehr mit einander gemein. „Der Kaiser geht in
das Lager von Chalons" lautet die letzte Nachricht aus Paris und den Cor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/522>, abgerufen am 04.07.2024.