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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Einheit und Verschiedenheit, Disharmonie und die geheimnißvollste Harmonie ist --
sich auf das engste verbindet, so bewundern wir in unserem Drama eine solche
künstlerisch vollendete dichterische Blüthenkrone mit ihren fünf in die zartesten
Farbenschatten getauchten Blättern.--An Ebenmaß der Form ist dieses Drama
nur der Antike zu vergleichen und es steht der Antike gleich".

Als loyaler, gut monarchisch gesinnter Literaturhistoriker beginnt Vilmar die
Charakteristik der einzelnen Gestalten des Schauspieles mit der Hoheit von Ferrara,
dem Herzoge Alfons. Mit Vorliebe verweilt er bei der Schilderung Antonios und
sucht nachzuweisen, daß Goethe auch in diesen Charakter entschieden etwas von dem
eigenen hineingelegt. Als der junge Frankfurter im ersten Rausche der Dichter¬
kraft und des Dichterruhms und dazu noch der Genie-Jugend jener Zeit an den
Weimarischen Hof kam, sind ihm ohne Zweifel Staatsmänner entgegengetreten,
"welche nach gethaner schwerer Arbeit den Schatten, in dem sie ruhen wollten, von
einem Müßiggänger breit besessen" fanden, und Alles, was Feindliches in Antonios
Charakter liege, ist diesem Quell entsprungen. Die andere Seite des Antonio-
Charakters, die höhere und edlere Ansicht von demselben, wird sich später aus den
eigenen Zuständen Goethes entwickelt haben, denn er selbst war mit entschiedener
Anlage zum Weltmanne begabt und diese Anlage hatte sich bis zur Vollendung des
Tasso reichlich ausgebildet. Nunmehr konnte der Dramatiker den heißblütigen
Tasso und den kühlen Staatsmann "aus der zuträglichen poetischen Ferne betrachten
und in reinen, von der dumpfen Wirklichkeit nicht mehr berührten und gestörten
Formen darstellen." Entschieden bestreitet Vilmar, daß zu manchen Zügen An¬
tonios Herder gesessei" habe. Solche Entdeckungen, meint er, sind nur denen mög¬
lich, "welche alles sehen". Auch von Neid gegen fremde Auszeichnung und Un-
muth über nicht genügende eigene Anerkennung findet der Kritik"r bei Antonio keine
Spur. Liebevoll behandelt Vilmar den Charakter Tassos und mit anziehender Fein¬
heit die beiden Leonoren. -- Getreu dem in der Einleitung ausgesprochenen Be¬
kenntnisse, daß dieses Schauspiel Goethes sein "Liebling" sei, widmet ihm der
fromme Literarhistoriker begeisterte, schwungvolle Anerkennung und der "Gesinnungs¬
genosse", welcher gegenwärtig damit beschäftigt ist, den Nachlaß Vilmars heraus¬
zugeben, hätte dieses mit wohlthuendster Wärme geschriebene Büchlein "der reife¬
ren Jugend" empfehlen sollen, nicht aber die durch politischen und religiösen Fana¬
tismus verzerrten "Lebensbilder deutscher Dichter".




Mit Wr. TV beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be-
ziehen ist.
Leipzig, im Juni 1869. *
Die Werlagshandlung.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt.
Verlag von F. L, Herbig. -- Druck von Hüthel Legler in Leipzig.

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Einheit und Verschiedenheit, Disharmonie und die geheimnißvollste Harmonie ist —
sich auf das engste verbindet, so bewundern wir in unserem Drama eine solche
künstlerisch vollendete dichterische Blüthenkrone mit ihren fünf in die zartesten
Farbenschatten getauchten Blättern.--An Ebenmaß der Form ist dieses Drama
nur der Antike zu vergleichen und es steht der Antike gleich".

Als loyaler, gut monarchisch gesinnter Literaturhistoriker beginnt Vilmar die
Charakteristik der einzelnen Gestalten des Schauspieles mit der Hoheit von Ferrara,
dem Herzoge Alfons. Mit Vorliebe verweilt er bei der Schilderung Antonios und
sucht nachzuweisen, daß Goethe auch in diesen Charakter entschieden etwas von dem
eigenen hineingelegt. Als der junge Frankfurter im ersten Rausche der Dichter¬
kraft und des Dichterruhms und dazu noch der Genie-Jugend jener Zeit an den
Weimarischen Hof kam, sind ihm ohne Zweifel Staatsmänner entgegengetreten,
„welche nach gethaner schwerer Arbeit den Schatten, in dem sie ruhen wollten, von
einem Müßiggänger breit besessen" fanden, und Alles, was Feindliches in Antonios
Charakter liege, ist diesem Quell entsprungen. Die andere Seite des Antonio-
Charakters, die höhere und edlere Ansicht von demselben, wird sich später aus den
eigenen Zuständen Goethes entwickelt haben, denn er selbst war mit entschiedener
Anlage zum Weltmanne begabt und diese Anlage hatte sich bis zur Vollendung des
Tasso reichlich ausgebildet. Nunmehr konnte der Dramatiker den heißblütigen
Tasso und den kühlen Staatsmann „aus der zuträglichen poetischen Ferne betrachten
und in reinen, von der dumpfen Wirklichkeit nicht mehr berührten und gestörten
Formen darstellen." Entschieden bestreitet Vilmar, daß zu manchen Zügen An¬
tonios Herder gesessei» habe. Solche Entdeckungen, meint er, sind nur denen mög¬
lich, „welche alles sehen". Auch von Neid gegen fremde Auszeichnung und Un-
muth über nicht genügende eigene Anerkennung findet der Kritik»r bei Antonio keine
Spur. Liebevoll behandelt Vilmar den Charakter Tassos und mit anziehender Fein¬
heit die beiden Leonoren. — Getreu dem in der Einleitung ausgesprochenen Be¬
kenntnisse, daß dieses Schauspiel Goethes sein „Liebling" sei, widmet ihm der
fromme Literarhistoriker begeisterte, schwungvolle Anerkennung und der „Gesinnungs¬
genosse", welcher gegenwärtig damit beschäftigt ist, den Nachlaß Vilmars heraus¬
zugeben, hätte dieses mit wohlthuendster Wärme geschriebene Büchlein „der reife¬
ren Jugend" empfehlen sollen, nicht aber die durch politischen und religiösen Fana¬
tismus verzerrten „Lebensbilder deutscher Dichter".




Mit Wr. TV beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be-
ziehen ist.
Leipzig, im Juni 1869. *
Die Werlagshandlung.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt.
Verlag von F. L, Herbig. — Druck von Hüthel Legler in Leipzig.

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[0488] Einheit und Verschiedenheit, Disharmonie und die geheimnißvollste Harmonie ist — sich auf das engste verbindet, so bewundern wir in unserem Drama eine solche künstlerisch vollendete dichterische Blüthenkrone mit ihren fünf in die zartesten Farbenschatten getauchten Blättern.--An Ebenmaß der Form ist dieses Drama nur der Antike zu vergleichen und es steht der Antike gleich". Als loyaler, gut monarchisch gesinnter Literaturhistoriker beginnt Vilmar die Charakteristik der einzelnen Gestalten des Schauspieles mit der Hoheit von Ferrara, dem Herzoge Alfons. Mit Vorliebe verweilt er bei der Schilderung Antonios und sucht nachzuweisen, daß Goethe auch in diesen Charakter entschieden etwas von dem eigenen hineingelegt. Als der junge Frankfurter im ersten Rausche der Dichter¬ kraft und des Dichterruhms und dazu noch der Genie-Jugend jener Zeit an den Weimarischen Hof kam, sind ihm ohne Zweifel Staatsmänner entgegengetreten, „welche nach gethaner schwerer Arbeit den Schatten, in dem sie ruhen wollten, von einem Müßiggänger breit besessen" fanden, und Alles, was Feindliches in Antonios Charakter liege, ist diesem Quell entsprungen. Die andere Seite des Antonio- Charakters, die höhere und edlere Ansicht von demselben, wird sich später aus den eigenen Zuständen Goethes entwickelt haben, denn er selbst war mit entschiedener Anlage zum Weltmanne begabt und diese Anlage hatte sich bis zur Vollendung des Tasso reichlich ausgebildet. Nunmehr konnte der Dramatiker den heißblütigen Tasso und den kühlen Staatsmann „aus der zuträglichen poetischen Ferne betrachten und in reinen, von der dumpfen Wirklichkeit nicht mehr berührten und gestörten Formen darstellen." Entschieden bestreitet Vilmar, daß zu manchen Zügen An¬ tonios Herder gesessei» habe. Solche Entdeckungen, meint er, sind nur denen mög¬ lich, „welche alles sehen". Auch von Neid gegen fremde Auszeichnung und Un- muth über nicht genügende eigene Anerkennung findet der Kritik»r bei Antonio keine Spur. Liebevoll behandelt Vilmar den Charakter Tassos und mit anziehender Fein¬ heit die beiden Leonoren. — Getreu dem in der Einleitung ausgesprochenen Be¬ kenntnisse, daß dieses Schauspiel Goethes sein „Liebling" sei, widmet ihm der fromme Literarhistoriker begeisterte, schwungvolle Anerkennung und der „Gesinnungs¬ genosse", welcher gegenwärtig damit beschäftigt ist, den Nachlaß Vilmars heraus¬ zugeben, hätte dieses mit wohlthuendster Wärme geschriebene Büchlein „der reife¬ ren Jugend" empfehlen sollen, nicht aber die durch politischen und religiösen Fana¬ tismus verzerrten „Lebensbilder deutscher Dichter". Mit Wr. TV beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal, welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be- ziehen ist. Leipzig, im Juni 1869. * Die Werlagshandlung. Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Cckardt. Verlag von F. L, Herbig. — Druck von Hüthel Legler in Leipzig. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/488>, abgerufen am 24.07.2024.