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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Marsch aus dem 3ten Act) fielen durch; das Vorspiel zu Lohengrin. das
früher unangefochten geblieben, hatte dies Jahr gegen starke Opposition zu
kämpfen; am meisten Beifall errangen die Tannhäuserouvertüre, das zweite
Finale (statt der Chorstimmen mußten wir Saxinstrumente hören!) und das
Brautlied aus Lohengrin. Was das Publicum, und nicht nur das hiesige,
daran liebt, ist, abgesehen von dem lärmenden Effect, gerade das, was wir
als arge Fehler Wagner's rügen müssen; es nimmt die nervös-sinnliche
Aufregung, die krankhafte Ueberspannung, die unleugbar durch Wagner's
Musik hervorgebracht wird, für künstlerischen Eindruck und sieht darin die
überwältigende Macht der modernen Kunst.

Leider ist Pasdeloup ein eifriger Verehrer Wagner's; doch wollen wir
ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er uns dessen Werke gar oft auf¬
tischt. Beurtheilen kann man in der Kunst nur das, was man gehört und
gesehen hat, und wenn recht viel Wagnersche Musik gehört wird, so wird ihr
der Zauber des mysteriös Unbekannten und Verläumder, den sie noch für die
Franzosen hat, benommen, und sie wird am hellen Tageslichte ihre Probe
zu bestehen haben. -- Sagte doch General Grant, ein schlechtes Gesetz
müsse, wenn einmal gegeben, mit allen seinen Consequenzen ausgeführt wer¬
den, denn nur so erkenne man dessen schädliche und verderbliche Kraft!

Doch wir haben von unserem Rechte als Kritiker genug Gebrauch ge¬
macht; wir müssen jetzt noch Pasdeloup unseren Dank dafür aussprechen,
daß er Gluck's Iphigenie auf Tauris wieder aufgeführt, daß er allein von
allen hiesigen Directoren eine Mozart'sche Oper, Don Juan, auf seinem dies¬
jährigen Repertoire hat.

Der stets wachsende Erfolg seiner Volksconcerte ist uns ein Zeugniß
dafür, daß Arbeiten hilft, reines Streben belohnt wird, und daß auch in unserer
eisernen, nur der Politik und dem Geldgewinn lebenden Generation, selbst in
Paris noch ein Häuflein erhalten ist, das der wahren Kunst treu geblieben
und an ihre ewige Gültigkeit glaubt.


W. C.


Die französischen Wahlen.

Das Ergebniß der allgemeinen Wahlen zum gesetzgebenden Körper Frank¬
reichs darf trotz der ungewöhnlich großen Zahl von 68 Ballotagen, welche
vorzunehmen sind, als feststehend betrachtet werden. Es ist die vollständige
Niederlage der liberalen Partei; für die Gegenwart zählen nur die Bonapartisten


Marsch aus dem 3ten Act) fielen durch; das Vorspiel zu Lohengrin. das
früher unangefochten geblieben, hatte dies Jahr gegen starke Opposition zu
kämpfen; am meisten Beifall errangen die Tannhäuserouvertüre, das zweite
Finale (statt der Chorstimmen mußten wir Saxinstrumente hören!) und das
Brautlied aus Lohengrin. Was das Publicum, und nicht nur das hiesige,
daran liebt, ist, abgesehen von dem lärmenden Effect, gerade das, was wir
als arge Fehler Wagner's rügen müssen; es nimmt die nervös-sinnliche
Aufregung, die krankhafte Ueberspannung, die unleugbar durch Wagner's
Musik hervorgebracht wird, für künstlerischen Eindruck und sieht darin die
überwältigende Macht der modernen Kunst.

Leider ist Pasdeloup ein eifriger Verehrer Wagner's; doch wollen wir
ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er uns dessen Werke gar oft auf¬
tischt. Beurtheilen kann man in der Kunst nur das, was man gehört und
gesehen hat, und wenn recht viel Wagnersche Musik gehört wird, so wird ihr
der Zauber des mysteriös Unbekannten und Verläumder, den sie noch für die
Franzosen hat, benommen, und sie wird am hellen Tageslichte ihre Probe
zu bestehen haben. — Sagte doch General Grant, ein schlechtes Gesetz
müsse, wenn einmal gegeben, mit allen seinen Consequenzen ausgeführt wer¬
den, denn nur so erkenne man dessen schädliche und verderbliche Kraft!

Doch wir haben von unserem Rechte als Kritiker genug Gebrauch ge¬
macht; wir müssen jetzt noch Pasdeloup unseren Dank dafür aussprechen,
daß er Gluck's Iphigenie auf Tauris wieder aufgeführt, daß er allein von
allen hiesigen Directoren eine Mozart'sche Oper, Don Juan, auf seinem dies¬
jährigen Repertoire hat.

Der stets wachsende Erfolg seiner Volksconcerte ist uns ein Zeugniß
dafür, daß Arbeiten hilft, reines Streben belohnt wird, und daß auch in unserer
eisernen, nur der Politik und dem Geldgewinn lebenden Generation, selbst in
Paris noch ein Häuflein erhalten ist, das der wahren Kunst treu geblieben
und an ihre ewige Gültigkeit glaubt.


W. C.


Die französischen Wahlen.

Das Ergebniß der allgemeinen Wahlen zum gesetzgebenden Körper Frank¬
reichs darf trotz der ungewöhnlich großen Zahl von 68 Ballotagen, welche
vorzunehmen sind, als feststehend betrachtet werden. Es ist die vollständige
Niederlage der liberalen Partei; für die Gegenwart zählen nur die Bonapartisten


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[0378] Marsch aus dem 3ten Act) fielen durch; das Vorspiel zu Lohengrin. das früher unangefochten geblieben, hatte dies Jahr gegen starke Opposition zu kämpfen; am meisten Beifall errangen die Tannhäuserouvertüre, das zweite Finale (statt der Chorstimmen mußten wir Saxinstrumente hören!) und das Brautlied aus Lohengrin. Was das Publicum, und nicht nur das hiesige, daran liebt, ist, abgesehen von dem lärmenden Effect, gerade das, was wir als arge Fehler Wagner's rügen müssen; es nimmt die nervös-sinnliche Aufregung, die krankhafte Ueberspannung, die unleugbar durch Wagner's Musik hervorgebracht wird, für künstlerischen Eindruck und sieht darin die überwältigende Macht der modernen Kunst. Leider ist Pasdeloup ein eifriger Verehrer Wagner's; doch wollen wir ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er uns dessen Werke gar oft auf¬ tischt. Beurtheilen kann man in der Kunst nur das, was man gehört und gesehen hat, und wenn recht viel Wagnersche Musik gehört wird, so wird ihr der Zauber des mysteriös Unbekannten und Verläumder, den sie noch für die Franzosen hat, benommen, und sie wird am hellen Tageslichte ihre Probe zu bestehen haben. — Sagte doch General Grant, ein schlechtes Gesetz müsse, wenn einmal gegeben, mit allen seinen Consequenzen ausgeführt wer¬ den, denn nur so erkenne man dessen schädliche und verderbliche Kraft! Doch wir haben von unserem Rechte als Kritiker genug Gebrauch ge¬ macht; wir müssen jetzt noch Pasdeloup unseren Dank dafür aussprechen, daß er Gluck's Iphigenie auf Tauris wieder aufgeführt, daß er allein von allen hiesigen Directoren eine Mozart'sche Oper, Don Juan, auf seinem dies¬ jährigen Repertoire hat. Der stets wachsende Erfolg seiner Volksconcerte ist uns ein Zeugniß dafür, daß Arbeiten hilft, reines Streben belohnt wird, und daß auch in unserer eisernen, nur der Politik und dem Geldgewinn lebenden Generation, selbst in Paris noch ein Häuflein erhalten ist, das der wahren Kunst treu geblieben und an ihre ewige Gültigkeit glaubt. W. C. Die französischen Wahlen. Das Ergebniß der allgemeinen Wahlen zum gesetzgebenden Körper Frank¬ reichs darf trotz der ungewöhnlich großen Zahl von 68 Ballotagen, welche vorzunehmen sind, als feststehend betrachtet werden. Es ist die vollständige Niederlage der liberalen Partei; für die Gegenwart zählen nur die Bonapartisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/378>, abgerufen am 04.07.2024.