Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der auch in Art. 21 der Verfassung wiederholt sanctionirten allgemeinen
Schulpflicht wird in den Motiven des Gesetzentwurfs nicht genügend be-
rücksichtigt; -- der Einwand, daß kein Kind wegen Nichtzahlung des Schul¬
geldes von dem Recht und der Pflicht des Schulbesuchs ausgeschlossen werde,
greift nicht durch, so lange der Vater nicht blos gezwungen wird, das Kind
in die Schule zu schicken, sondern auch das Schulgeld zu zahlen, wenn der
Erecutor noch ein Pfandobject zu finden vermag. -- Wo die romanische
Anschauungsweise und das mißverstandene Dogma von der Freiheit der In¬
dividuen die allgemeine Schulpflicht nicht auskommen läßt und die Benutzung
der Elementarschule in das Belieben der Eltern gestellt wird, da mag man
auch nach Belieben ein Schulgeld erheben -- wo aber die allgemeine Schul¬
pflicht, welche, um Bluntschli's Worte zu gebrauchen, "mit der allgemeinen
Wehrpflicht und der die Bildung voraussetzenden allgemeinen Volksfreiheit
in einem sittlichen Zusammenhange steht", noch von dem germanischen
Rechtsbewußtsein getragen wird, da bleibt auch ihr Correlat, die unentgelt¬
liche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule ein nothwendiges Er¬
fordernis Wenn auch die neuen badischen und bairischen Schulgesetze das
Schulgeld noch gestatten und beibehalten, wenn sich auch, wie wir den Ver¬
theidigern dieser "eigenwüchsigen Institution" suppeditiren wollen, selbst
Männer wie R. Mohl (I. S. 467) und Bluntschli (II. S. 359) gegen die
unentgeltliche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule aussprechen: wir
glauben dennoch, daß das Abgeordnetenhaus sich dieser Auffassung nicht an¬
schließen und vielmehr in Wahrung des Princips des Art. 25 den neusten
Versuch zur Emendation der Verfassung kräftig und erfolgreich zurück¬
weisen wird. --


Id.


Wie Botschaft des Präsidenten.

Präsident Johnson scheint nach selner Niederlage in den Wahlen das
Bedürfniß gefühlt zu haben, sein Mißbehagen noch einmal öffentlich zu
äußern; anders läßt sich das traurige Actenstück, das vor uns liegt, kaum
erklären. Die Verlesung desselben im Senat wurde unterbrochen und der
Antrag gestellt, sie nicht zu Ende gelangen zu lassen, weil die Schrift "ein
impertinentes, lügenhaftes und skandalöses Instrument" sei; erst am folgenden
Tage konnte die Mittheilung beendet werden. Im Repräsentantenhause brach
uach der Verlesung der Botschaft ein furchtbarer Sturm los, wobei sich die
demokratischen Sitten einmal wieder über die Form in einer Weise weg¬
setzten, welche in Europa unerhört ist. Im Ganzen könnte die Botschaft
eines Präsidenten, der in drei Monaten zurücktritt und damit, wie mit ziem-


9*

der auch in Art. 21 der Verfassung wiederholt sanctionirten allgemeinen
Schulpflicht wird in den Motiven des Gesetzentwurfs nicht genügend be-
rücksichtigt; — der Einwand, daß kein Kind wegen Nichtzahlung des Schul¬
geldes von dem Recht und der Pflicht des Schulbesuchs ausgeschlossen werde,
greift nicht durch, so lange der Vater nicht blos gezwungen wird, das Kind
in die Schule zu schicken, sondern auch das Schulgeld zu zahlen, wenn der
Erecutor noch ein Pfandobject zu finden vermag. — Wo die romanische
Anschauungsweise und das mißverstandene Dogma von der Freiheit der In¬
dividuen die allgemeine Schulpflicht nicht auskommen läßt und die Benutzung
der Elementarschule in das Belieben der Eltern gestellt wird, da mag man
auch nach Belieben ein Schulgeld erheben — wo aber die allgemeine Schul¬
pflicht, welche, um Bluntschli's Worte zu gebrauchen, „mit der allgemeinen
Wehrpflicht und der die Bildung voraussetzenden allgemeinen Volksfreiheit
in einem sittlichen Zusammenhange steht", noch von dem germanischen
Rechtsbewußtsein getragen wird, da bleibt auch ihr Correlat, die unentgelt¬
liche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule ein nothwendiges Er¬
fordernis Wenn auch die neuen badischen und bairischen Schulgesetze das
Schulgeld noch gestatten und beibehalten, wenn sich auch, wie wir den Ver¬
theidigern dieser „eigenwüchsigen Institution" suppeditiren wollen, selbst
Männer wie R. Mohl (I. S. 467) und Bluntschli (II. S. 359) gegen die
unentgeltliche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule aussprechen: wir
glauben dennoch, daß das Abgeordnetenhaus sich dieser Auffassung nicht an¬
schließen und vielmehr in Wahrung des Princips des Art. 25 den neusten
Versuch zur Emendation der Verfassung kräftig und erfolgreich zurück¬
weisen wird. —


Id.


Wie Botschaft des Präsidenten.

Präsident Johnson scheint nach selner Niederlage in den Wahlen das
Bedürfniß gefühlt zu haben, sein Mißbehagen noch einmal öffentlich zu
äußern; anders läßt sich das traurige Actenstück, das vor uns liegt, kaum
erklären. Die Verlesung desselben im Senat wurde unterbrochen und der
Antrag gestellt, sie nicht zu Ende gelangen zu lassen, weil die Schrift „ein
impertinentes, lügenhaftes und skandalöses Instrument" sei; erst am folgenden
Tage konnte die Mittheilung beendet werden. Im Repräsentantenhause brach
uach der Verlesung der Botschaft ein furchtbarer Sturm los, wobei sich die
demokratischen Sitten einmal wieder über die Form in einer Weise weg¬
setzten, welche in Europa unerhört ist. Im Ganzen könnte die Botschaft
eines Präsidenten, der in drei Monaten zurücktritt und damit, wie mit ziem-


9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120267"/>
          <p xml:id="ID_216" prev="#ID_215"> der auch in Art. 21 der Verfassung wiederholt sanctionirten allgemeinen<lb/>
Schulpflicht wird in den Motiven des Gesetzentwurfs nicht genügend be-<lb/>
rücksichtigt; &#x2014; der Einwand, daß kein Kind wegen Nichtzahlung des Schul¬<lb/>
geldes von dem Recht und der Pflicht des Schulbesuchs ausgeschlossen werde,<lb/>
greift nicht durch, so lange der Vater nicht blos gezwungen wird, das Kind<lb/>
in die Schule zu schicken, sondern auch das Schulgeld zu zahlen, wenn der<lb/>
Erecutor noch ein Pfandobject zu finden vermag. &#x2014; Wo die romanische<lb/>
Anschauungsweise und das mißverstandene Dogma von der Freiheit der In¬<lb/>
dividuen die allgemeine Schulpflicht nicht auskommen läßt und die Benutzung<lb/>
der Elementarschule in das Belieben der Eltern gestellt wird, da mag man<lb/>
auch nach Belieben ein Schulgeld erheben &#x2014; wo aber die allgemeine Schul¬<lb/>
pflicht, welche, um Bluntschli's Worte zu gebrauchen, &#x201E;mit der allgemeinen<lb/>
Wehrpflicht und der die Bildung voraussetzenden allgemeinen Volksfreiheit<lb/>
in einem sittlichen Zusammenhange steht", noch von dem germanischen<lb/>
Rechtsbewußtsein getragen wird, da bleibt auch ihr Correlat, die unentgelt¬<lb/>
liche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule ein nothwendiges Er¬<lb/>
fordernis Wenn auch die neuen badischen und bairischen Schulgesetze das<lb/>
Schulgeld noch gestatten und beibehalten, wenn sich auch, wie wir den Ver¬<lb/>
theidigern dieser &#x201E;eigenwüchsigen Institution" suppeditiren wollen, selbst<lb/>
Männer wie R. Mohl (I. S. 467) und Bluntschli (II. S. 359) gegen die<lb/>
unentgeltliche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule aussprechen: wir<lb/>
glauben dennoch, daß das Abgeordnetenhaus sich dieser Auffassung nicht an¬<lb/>
schließen und vielmehr in Wahrung des Princips des Art. 25 den neusten<lb/>
Versuch zur Emendation der Verfassung kräftig und erfolgreich zurück¬<lb/>
weisen wird. &#x2014;</p><lb/>
          <note type="byline"> Id.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wie Botschaft des Präsidenten.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_217" next="#ID_218"> Präsident Johnson scheint nach selner Niederlage in den Wahlen das<lb/>
Bedürfniß gefühlt zu haben, sein Mißbehagen noch einmal öffentlich zu<lb/>
äußern; anders läßt sich das traurige Actenstück, das vor uns liegt, kaum<lb/>
erklären. Die Verlesung desselben im Senat wurde unterbrochen und der<lb/>
Antrag gestellt, sie nicht zu Ende gelangen zu lassen, weil die Schrift &#x201E;ein<lb/>
impertinentes, lügenhaftes und skandalöses Instrument" sei; erst am folgenden<lb/>
Tage konnte die Mittheilung beendet werden. Im Repräsentantenhause brach<lb/>
uach der Verlesung der Botschaft ein furchtbarer Sturm los, wobei sich die<lb/>
demokratischen Sitten einmal wieder über die Form in einer Weise weg¬<lb/>
setzten, welche in Europa unerhört ist. Im Ganzen könnte die Botschaft<lb/>
eines Präsidenten, der in drei Monaten zurücktritt und damit, wie mit ziem-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 9*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] der auch in Art. 21 der Verfassung wiederholt sanctionirten allgemeinen Schulpflicht wird in den Motiven des Gesetzentwurfs nicht genügend be- rücksichtigt; — der Einwand, daß kein Kind wegen Nichtzahlung des Schul¬ geldes von dem Recht und der Pflicht des Schulbesuchs ausgeschlossen werde, greift nicht durch, so lange der Vater nicht blos gezwungen wird, das Kind in die Schule zu schicken, sondern auch das Schulgeld zu zahlen, wenn der Erecutor noch ein Pfandobject zu finden vermag. — Wo die romanische Anschauungsweise und das mißverstandene Dogma von der Freiheit der In¬ dividuen die allgemeine Schulpflicht nicht auskommen läßt und die Benutzung der Elementarschule in das Belieben der Eltern gestellt wird, da mag man auch nach Belieben ein Schulgeld erheben — wo aber die allgemeine Schul¬ pflicht, welche, um Bluntschli's Worte zu gebrauchen, „mit der allgemeinen Wehrpflicht und der die Bildung voraussetzenden allgemeinen Volksfreiheit in einem sittlichen Zusammenhange steht", noch von dem germanischen Rechtsbewußtsein getragen wird, da bleibt auch ihr Correlat, die unentgelt¬ liche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule ein nothwendiges Er¬ fordernis Wenn auch die neuen badischen und bairischen Schulgesetze das Schulgeld noch gestatten und beibehalten, wenn sich auch, wie wir den Ver¬ theidigern dieser „eigenwüchsigen Institution" suppeditiren wollen, selbst Männer wie R. Mohl (I. S. 467) und Bluntschli (II. S. 359) gegen die unentgeltliche Ertheilung des Unterrichts in der Volksschule aussprechen: wir glauben dennoch, daß das Abgeordnetenhaus sich dieser Auffassung nicht an¬ schließen und vielmehr in Wahrung des Princips des Art. 25 den neusten Versuch zur Emendation der Verfassung kräftig und erfolgreich zurück¬ weisen wird. — Id. Wie Botschaft des Präsidenten. Präsident Johnson scheint nach selner Niederlage in den Wahlen das Bedürfniß gefühlt zu haben, sein Mißbehagen noch einmal öffentlich zu äußern; anders läßt sich das traurige Actenstück, das vor uns liegt, kaum erklären. Die Verlesung desselben im Senat wurde unterbrochen und der Antrag gestellt, sie nicht zu Ende gelangen zu lassen, weil die Schrift „ein impertinentes, lügenhaftes und skandalöses Instrument" sei; erst am folgenden Tage konnte die Mittheilung beendet werden. Im Repräsentantenhause brach uach der Verlesung der Botschaft ein furchtbarer Sturm los, wobei sich die demokratischen Sitten einmal wieder über die Form in einer Weise weg¬ setzten, welche in Europa unerhört ist. Im Ganzen könnte die Botschaft eines Präsidenten, der in drei Monaten zurücktritt und damit, wie mit ziem- 9*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/78>, abgerufen am 28.09.2024.