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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Die Reform der deutschen Universitäten.

"Von deutschen Hochschulen. Allerlei was da ist und was da sein sollte. Von einem
deutschen Professor." Berlin 1869.

Es wäre starke Selbsttäuschung, wenn die näheren und ferneren Univer¬
sitätsverwandten, die deutschen Professoren und Studenten glauben wollten,
ihre Angelegenheiten ständen in der ersten Reihe nationaler Interessen,
Wünsche und Bestrebungen dieser unserer gegenwärtigen Umgestaltungsperiode.
Das Jahr 1866 hat unsere Universitätszustände so gut wie nicht berührt, und
auch was sich seit 1866 herauszuarbeiten sucht, konnte bisjetzt nur mittelbar
und von der Seite her einen sehr begrenzten Einfluß auf jene üben. Denn
für die Sache selbst, für die einzelne Universität oder für alle deutschen Uni-
verspäten ist es von nur untergeordnetem Belang, ob drei aus ihrer Zahl
nunmehr auch noch unter das preußische Cultusministerium gestellt sind,
von dem früher schon nicht weniger als sechs, beziehungsweise acht, wenn
man Münster und Braunsberg aus Höflichkeit für voll gelten lassen will --
abhängig waren. Herr von Muster hat sich auch immer äußerst beflissen ge¬
zeigt, die berechtigten Eigenthümlichkeiten dieser neuen Glieder des preußi¬
schen Staates zu schonen, d. h, er hat im Wesentlichen Alles beim Alten ge¬
lassen und damit, wie nicht zu leugnen ist, das richtige getroffen. Denn
die neupreußischen Universitäten selbst haben noch kein Zeichen von sich ge¬
geben, daß sie eine durchgreifende Veränderung ihrer Zustände begehren, und
selbst wenn dies geschehen wäre, konnte doch der jetzige preußische Cultusminister
schwerlich der Mann sein, der dazu berufen ist. Im Einzelnen ist er übrigens
den gewöhnlichen Desiderien und Anliegen, soweit sie sich auf das beschränken,
was man "eine Universität haben" zu nennen pflegt, mit anerkennenswerther
Zugänglichkeit und Liberalität nachgekommen, versteht sich, immer nur so
weit, als die ihm schmal zugemessenen Mittel es erlaubten. Die Studenten¬
schaften in Göttingen, Marburg und Kiel haben von der neuen Ordnung der
Dinge bis jetzt auch nichts weiter verspürt, als daß das System des ein-


Grenzbote" I. 1869, 51
Die Reform der deutschen Universitäten.

„Von deutschen Hochschulen. Allerlei was da ist und was da sein sollte. Von einem
deutschen Professor." Berlin 1869.

Es wäre starke Selbsttäuschung, wenn die näheren und ferneren Univer¬
sitätsverwandten, die deutschen Professoren und Studenten glauben wollten,
ihre Angelegenheiten ständen in der ersten Reihe nationaler Interessen,
Wünsche und Bestrebungen dieser unserer gegenwärtigen Umgestaltungsperiode.
Das Jahr 1866 hat unsere Universitätszustände so gut wie nicht berührt, und
auch was sich seit 1866 herauszuarbeiten sucht, konnte bisjetzt nur mittelbar
und von der Seite her einen sehr begrenzten Einfluß auf jene üben. Denn
für die Sache selbst, für die einzelne Universität oder für alle deutschen Uni-
verspäten ist es von nur untergeordnetem Belang, ob drei aus ihrer Zahl
nunmehr auch noch unter das preußische Cultusministerium gestellt sind,
von dem früher schon nicht weniger als sechs, beziehungsweise acht, wenn
man Münster und Braunsberg aus Höflichkeit für voll gelten lassen will —
abhängig waren. Herr von Muster hat sich auch immer äußerst beflissen ge¬
zeigt, die berechtigten Eigenthümlichkeiten dieser neuen Glieder des preußi¬
schen Staates zu schonen, d. h, er hat im Wesentlichen Alles beim Alten ge¬
lassen und damit, wie nicht zu leugnen ist, das richtige getroffen. Denn
die neupreußischen Universitäten selbst haben noch kein Zeichen von sich ge¬
geben, daß sie eine durchgreifende Veränderung ihrer Zustände begehren, und
selbst wenn dies geschehen wäre, konnte doch der jetzige preußische Cultusminister
schwerlich der Mann sein, der dazu berufen ist. Im Einzelnen ist er übrigens
den gewöhnlichen Desiderien und Anliegen, soweit sie sich auf das beschränken,
was man „eine Universität haben" zu nennen pflegt, mit anerkennenswerther
Zugänglichkeit und Liberalität nachgekommen, versteht sich, immer nur so
weit, als die ihm schmal zugemessenen Mittel es erlaubten. Die Studenten¬
schaften in Göttingen, Marburg und Kiel haben von der neuen Ordnung der
Dinge bis jetzt auch nichts weiter verspürt, als daß das System des ein-


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[0413] Die Reform der deutschen Universitäten. „Von deutschen Hochschulen. Allerlei was da ist und was da sein sollte. Von einem deutschen Professor." Berlin 1869. Es wäre starke Selbsttäuschung, wenn die näheren und ferneren Univer¬ sitätsverwandten, die deutschen Professoren und Studenten glauben wollten, ihre Angelegenheiten ständen in der ersten Reihe nationaler Interessen, Wünsche und Bestrebungen dieser unserer gegenwärtigen Umgestaltungsperiode. Das Jahr 1866 hat unsere Universitätszustände so gut wie nicht berührt, und auch was sich seit 1866 herauszuarbeiten sucht, konnte bisjetzt nur mittelbar und von der Seite her einen sehr begrenzten Einfluß auf jene üben. Denn für die Sache selbst, für die einzelne Universität oder für alle deutschen Uni- verspäten ist es von nur untergeordnetem Belang, ob drei aus ihrer Zahl nunmehr auch noch unter das preußische Cultusministerium gestellt sind, von dem früher schon nicht weniger als sechs, beziehungsweise acht, wenn man Münster und Braunsberg aus Höflichkeit für voll gelten lassen will — abhängig waren. Herr von Muster hat sich auch immer äußerst beflissen ge¬ zeigt, die berechtigten Eigenthümlichkeiten dieser neuen Glieder des preußi¬ schen Staates zu schonen, d. h, er hat im Wesentlichen Alles beim Alten ge¬ lassen und damit, wie nicht zu leugnen ist, das richtige getroffen. Denn die neupreußischen Universitäten selbst haben noch kein Zeichen von sich ge¬ geben, daß sie eine durchgreifende Veränderung ihrer Zustände begehren, und selbst wenn dies geschehen wäre, konnte doch der jetzige preußische Cultusminister schwerlich der Mann sein, der dazu berufen ist. Im Einzelnen ist er übrigens den gewöhnlichen Desiderien und Anliegen, soweit sie sich auf das beschränken, was man „eine Universität haben" zu nennen pflegt, mit anerkennenswerther Zugänglichkeit und Liberalität nachgekommen, versteht sich, immer nur so weit, als die ihm schmal zugemessenen Mittel es erlaubten. Die Studenten¬ schaften in Göttingen, Marburg und Kiel haben von der neuen Ordnung der Dinge bis jetzt auch nichts weiter verspürt, als daß das System des ein- Grenzbote» I. 1869, 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/413>, abgerufen am 28.09.2024.