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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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Die Errichtung einer Nnntiatur zu Berlin.

Mit unheimlicher Beharrlichkeit wird die Kunde wiederholt, daß
zu Berlin die Errichtung einer Nuntiatur der römischen Curie beabsichtigt
werde, und gefällige Federn wagen diesen Botschafterposten des römischen
Hofes zu rühmen als Symptom einer wachsenden Bedeutung des norddeut¬
schen Bundes. Es ist kein Zweifel, daß einflußreiche Personen in Berlin
diese Neuerung emsig betreiben. Wir wissen nicht, welches die letzten Motive
solches Wunsches sind, vielleicht ersehnt man nur den dramatischen Genuß,
auch die rothen Strümpfe eines Cardinals auf dem Parquetboden der könig¬
lichen Säle dahinwandeln zu sehen, vielleicht meint man, die lästige Ein¬
seitigkeit nicht mehr nöthig zu haben, durch welche der preußische Staat als
deutsche Vormacht des Protestantismus seit dem großen Kurfürsten herauf¬
gekommen ist. Nun darf man allerdings hoffen, daß die Regierung einem
solchen verfänglichen Bestreben keine Geneigtheit entgegenbringen wird, und
daß unter den Staatsmännern Preußens lebhafte Empfindung für die Ge¬
fahren dieser Repräsentation vorhanden ist; dennoch bleibt sehr zu wünschen,
daß auch die Presse vor dieser unnöthigen, gemeinschädlichem und höchst un¬
populären Maßregel warne.

Es ist wahr, zu dem Wesen des preußischen Staates gehört grüßte kirch¬
liche Toleranz und Versöhnung der confessionellen Gegensätze durch seine alte
raison ä'eswt, die wir Modernen Vernunft des Staates nennen. Es ist
wahr, daß kein Staat in Europa den großen Parteien innerhalb der Christen¬
heit so freie Bewegung und so gewissenhafte Gerechtigkeit zu Theil werden
läßt, als der preußische. Aber daß dieser liberale Staat vermochte, sich so
über die kirchlichen Confessionen zu stellen, verdankt er nur dem Umstände,
daß er ein protestantischer Staat ist, dessen Fürsten und älteste Landes¬
theile vor 3Y0 Jahren von dem römischen Stuhl verflucht und gebannt, vom
ewigen Heil und dem Segen des Himmels gänzlich ausgeschlossen wurden,
noch heut als ein schweres Leiden mit scheinbarer Nichtachtung und innerer
Furcht betrachtet werden. Die Trennung von Rom und der Haß Roms
sind der beste Segen Preußens geworden. Der Ketzer Friedrich II., die
großen Ketzer Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte, Hegel und Genossen haben
diesen Staat zum Repräsentanten und Vertreter einer reineren Sittlichkeit und
edlern Humanität gemacht, als das System der katholischen Kirche und die
Orthodoxie des Protestantismus aus sich zu entwickeln vermochten. Daß das
Königshaus der Hohenzollern, kurze unselige Jahre ausgenommen, stets Vor¬
kämpfer der liberalen Richtung im Protestantismus war, nur das hat die


Die Errichtung einer Nnntiatur zu Berlin.

Mit unheimlicher Beharrlichkeit wird die Kunde wiederholt, daß
zu Berlin die Errichtung einer Nuntiatur der römischen Curie beabsichtigt
werde, und gefällige Federn wagen diesen Botschafterposten des römischen
Hofes zu rühmen als Symptom einer wachsenden Bedeutung des norddeut¬
schen Bundes. Es ist kein Zweifel, daß einflußreiche Personen in Berlin
diese Neuerung emsig betreiben. Wir wissen nicht, welches die letzten Motive
solches Wunsches sind, vielleicht ersehnt man nur den dramatischen Genuß,
auch die rothen Strümpfe eines Cardinals auf dem Parquetboden der könig¬
lichen Säle dahinwandeln zu sehen, vielleicht meint man, die lästige Ein¬
seitigkeit nicht mehr nöthig zu haben, durch welche der preußische Staat als
deutsche Vormacht des Protestantismus seit dem großen Kurfürsten herauf¬
gekommen ist. Nun darf man allerdings hoffen, daß die Regierung einem
solchen verfänglichen Bestreben keine Geneigtheit entgegenbringen wird, und
daß unter den Staatsmännern Preußens lebhafte Empfindung für die Ge¬
fahren dieser Repräsentation vorhanden ist; dennoch bleibt sehr zu wünschen,
daß auch die Presse vor dieser unnöthigen, gemeinschädlichem und höchst un¬
populären Maßregel warne.

Es ist wahr, zu dem Wesen des preußischen Staates gehört grüßte kirch¬
liche Toleranz und Versöhnung der confessionellen Gegensätze durch seine alte
raison ä'eswt, die wir Modernen Vernunft des Staates nennen. Es ist
wahr, daß kein Staat in Europa den großen Parteien innerhalb der Christen¬
heit so freie Bewegung und so gewissenhafte Gerechtigkeit zu Theil werden
läßt, als der preußische. Aber daß dieser liberale Staat vermochte, sich so
über die kirchlichen Confessionen zu stellen, verdankt er nur dem Umstände,
daß er ein protestantischer Staat ist, dessen Fürsten und älteste Landes¬
theile vor 3Y0 Jahren von dem römischen Stuhl verflucht und gebannt, vom
ewigen Heil und dem Segen des Himmels gänzlich ausgeschlossen wurden,
noch heut als ein schweres Leiden mit scheinbarer Nichtachtung und innerer
Furcht betrachtet werden. Die Trennung von Rom und der Haß Roms
sind der beste Segen Preußens geworden. Der Ketzer Friedrich II., die
großen Ketzer Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte, Hegel und Genossen haben
diesen Staat zum Repräsentanten und Vertreter einer reineren Sittlichkeit und
edlern Humanität gemacht, als das System der katholischen Kirche und die
Orthodoxie des Protestantismus aus sich zu entwickeln vermochten. Daß das
Königshaus der Hohenzollern, kurze unselige Jahre ausgenommen, stets Vor¬
kämpfer der liberalen Richtung im Protestantismus war, nur das hat die


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[0118] Die Errichtung einer Nnntiatur zu Berlin. Mit unheimlicher Beharrlichkeit wird die Kunde wiederholt, daß zu Berlin die Errichtung einer Nuntiatur der römischen Curie beabsichtigt werde, und gefällige Federn wagen diesen Botschafterposten des römischen Hofes zu rühmen als Symptom einer wachsenden Bedeutung des norddeut¬ schen Bundes. Es ist kein Zweifel, daß einflußreiche Personen in Berlin diese Neuerung emsig betreiben. Wir wissen nicht, welches die letzten Motive solches Wunsches sind, vielleicht ersehnt man nur den dramatischen Genuß, auch die rothen Strümpfe eines Cardinals auf dem Parquetboden der könig¬ lichen Säle dahinwandeln zu sehen, vielleicht meint man, die lästige Ein¬ seitigkeit nicht mehr nöthig zu haben, durch welche der preußische Staat als deutsche Vormacht des Protestantismus seit dem großen Kurfürsten herauf¬ gekommen ist. Nun darf man allerdings hoffen, daß die Regierung einem solchen verfänglichen Bestreben keine Geneigtheit entgegenbringen wird, und daß unter den Staatsmännern Preußens lebhafte Empfindung für die Ge¬ fahren dieser Repräsentation vorhanden ist; dennoch bleibt sehr zu wünschen, daß auch die Presse vor dieser unnöthigen, gemeinschädlichem und höchst un¬ populären Maßregel warne. Es ist wahr, zu dem Wesen des preußischen Staates gehört grüßte kirch¬ liche Toleranz und Versöhnung der confessionellen Gegensätze durch seine alte raison ä'eswt, die wir Modernen Vernunft des Staates nennen. Es ist wahr, daß kein Staat in Europa den großen Parteien innerhalb der Christen¬ heit so freie Bewegung und so gewissenhafte Gerechtigkeit zu Theil werden läßt, als der preußische. Aber daß dieser liberale Staat vermochte, sich so über die kirchlichen Confessionen zu stellen, verdankt er nur dem Umstände, daß er ein protestantischer Staat ist, dessen Fürsten und älteste Landes¬ theile vor 3Y0 Jahren von dem römischen Stuhl verflucht und gebannt, vom ewigen Heil und dem Segen des Himmels gänzlich ausgeschlossen wurden, noch heut als ein schweres Leiden mit scheinbarer Nichtachtung und innerer Furcht betrachtet werden. Die Trennung von Rom und der Haß Roms sind der beste Segen Preußens geworden. Der Ketzer Friedrich II., die großen Ketzer Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte, Hegel und Genossen haben diesen Staat zum Repräsentanten und Vertreter einer reineren Sittlichkeit und edlern Humanität gemacht, als das System der katholischen Kirche und die Orthodoxie des Protestantismus aus sich zu entwickeln vermochten. Daß das Königshaus der Hohenzollern, kurze unselige Jahre ausgenommen, stets Vor¬ kämpfer der liberalen Richtung im Protestantismus war, nur das hat die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/118>, abgerufen am 15.01.2025.