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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band.

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Die Aussichten des nächsten preußischen Landtags.

D X er Zusammentritt des preußischen Landtags istauf den 4. No¬
vember angesetzt; mit diesem Tage schließen die politischen Ferien, deren die
politische Welt Deutschlands sich dieses Mal nahezu fünf Monate lang er¬
freut hatte.

Die Constellation, unter welcher die preußische Volksvertretung ihre
Arbeiten wieder aufnimmt, ist von der der letzten Jahre wesentlich verschie¬
den. In der auswärtigen Politik herrscht, soweit dieselbe auf die inneren
Zustände Preußens einwirkt, Windstille. Durch die französischen Rechnungen
hat die spanische Revolution einen so dicken Querstrich gezogen, daß selbst
Herr v, Girardin gestehen mußte, es sei an eine Action gegen Deutschland
für längere Zeit nicht zu denken und das Sprichwort "Aufgeschoben ist nicht
ausgehoben" bilde den einzigen Trost der Kriegs- und Alarmpartei. Das
neuerdings wieder aufgetauchte Project eines französisch-belgisch-holländischen
Handels- und Allianeevertrages befindet sich -- wenn es überhaupt in Wen¬
dung ist -- in einem Stadium, das Befürchtungen vor Friedensstörung zu¬
nächst ausschließt; wenn Frankreich mit den Niederlanden den Anfang macht,
um Belgien moralisch zum Anschluß zu zwingen, so ist das ein ziemlich weit
aussehender Plan, da die bezügliche Pression aus die Generalstaaten Wochen
und Monate in Anspruch nehmen dürfte und trotz aller holländischen Anti¬
pathien gegen Preußen doch daran zu zweifeln wäre, daß die niederländische
Volksvertretung dem Wagestück einer directen Provocation des östlichen Nach-
barn überhaupt irgend welche materielle Opfer bringt. Oestreich ist durch seine
inneren Wirren so vollständig an Händen und Füßen gebunden, daß sein Ein¬
fluß auf Großdeutsche und Particularisten ebenso rasch abnimmt, wie Frank¬
reichs Hoffnung, Herrn v. Beust in der Aggression gegen Preußen mit fort¬
zureißen. Daran, daß preußischerseits Etwas geschehe, um Frankreich zu einer
definitiven Entschließung zu nöthigen, ist auch nicht entfernt zu denken; obgleich
die während des letzten Sommers unternommenen schüchternen Versuche, die
todtgeborene Südbundsidee zu elektrisiren, in ihren ersten Anfängen geschei-


Grenjbotm IV. 1868. 16
Die Aussichten des nächsten preußischen Landtags.

D X er Zusammentritt des preußischen Landtags istauf den 4. No¬
vember angesetzt; mit diesem Tage schließen die politischen Ferien, deren die
politische Welt Deutschlands sich dieses Mal nahezu fünf Monate lang er¬
freut hatte.

Die Constellation, unter welcher die preußische Volksvertretung ihre
Arbeiten wieder aufnimmt, ist von der der letzten Jahre wesentlich verschie¬
den. In der auswärtigen Politik herrscht, soweit dieselbe auf die inneren
Zustände Preußens einwirkt, Windstille. Durch die französischen Rechnungen
hat die spanische Revolution einen so dicken Querstrich gezogen, daß selbst
Herr v, Girardin gestehen mußte, es sei an eine Action gegen Deutschland
für längere Zeit nicht zu denken und das Sprichwort „Aufgeschoben ist nicht
ausgehoben" bilde den einzigen Trost der Kriegs- und Alarmpartei. Das
neuerdings wieder aufgetauchte Project eines französisch-belgisch-holländischen
Handels- und Allianeevertrages befindet sich — wenn es überhaupt in Wen¬
dung ist — in einem Stadium, das Befürchtungen vor Friedensstörung zu¬
nächst ausschließt; wenn Frankreich mit den Niederlanden den Anfang macht,
um Belgien moralisch zum Anschluß zu zwingen, so ist das ein ziemlich weit
aussehender Plan, da die bezügliche Pression aus die Generalstaaten Wochen
und Monate in Anspruch nehmen dürfte und trotz aller holländischen Anti¬
pathien gegen Preußen doch daran zu zweifeln wäre, daß die niederländische
Volksvertretung dem Wagestück einer directen Provocation des östlichen Nach-
barn überhaupt irgend welche materielle Opfer bringt. Oestreich ist durch seine
inneren Wirren so vollständig an Händen und Füßen gebunden, daß sein Ein¬
fluß auf Großdeutsche und Particularisten ebenso rasch abnimmt, wie Frank¬
reichs Hoffnung, Herrn v. Beust in der Aggression gegen Preußen mit fort¬
zureißen. Daran, daß preußischerseits Etwas geschehe, um Frankreich zu einer
definitiven Entschließung zu nöthigen, ist auch nicht entfernt zu denken; obgleich
die während des letzten Sommers unternommenen schüchternen Versuche, die
todtgeborene Südbundsidee zu elektrisiren, in ihren ersten Anfängen geschei-


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[0137] Die Aussichten des nächsten preußischen Landtags. D X er Zusammentritt des preußischen Landtags istauf den 4. No¬ vember angesetzt; mit diesem Tage schließen die politischen Ferien, deren die politische Welt Deutschlands sich dieses Mal nahezu fünf Monate lang er¬ freut hatte. Die Constellation, unter welcher die preußische Volksvertretung ihre Arbeiten wieder aufnimmt, ist von der der letzten Jahre wesentlich verschie¬ den. In der auswärtigen Politik herrscht, soweit dieselbe auf die inneren Zustände Preußens einwirkt, Windstille. Durch die französischen Rechnungen hat die spanische Revolution einen so dicken Querstrich gezogen, daß selbst Herr v, Girardin gestehen mußte, es sei an eine Action gegen Deutschland für längere Zeit nicht zu denken und das Sprichwort „Aufgeschoben ist nicht ausgehoben" bilde den einzigen Trost der Kriegs- und Alarmpartei. Das neuerdings wieder aufgetauchte Project eines französisch-belgisch-holländischen Handels- und Allianeevertrages befindet sich — wenn es überhaupt in Wen¬ dung ist — in einem Stadium, das Befürchtungen vor Friedensstörung zu¬ nächst ausschließt; wenn Frankreich mit den Niederlanden den Anfang macht, um Belgien moralisch zum Anschluß zu zwingen, so ist das ein ziemlich weit aussehender Plan, da die bezügliche Pression aus die Generalstaaten Wochen und Monate in Anspruch nehmen dürfte und trotz aller holländischen Anti¬ pathien gegen Preußen doch daran zu zweifeln wäre, daß die niederländische Volksvertretung dem Wagestück einer directen Provocation des östlichen Nach- barn überhaupt irgend welche materielle Opfer bringt. Oestreich ist durch seine inneren Wirren so vollständig an Händen und Füßen gebunden, daß sein Ein¬ fluß auf Großdeutsche und Particularisten ebenso rasch abnimmt, wie Frank¬ reichs Hoffnung, Herrn v. Beust in der Aggression gegen Preußen mit fort¬ zureißen. Daran, daß preußischerseits Etwas geschehe, um Frankreich zu einer definitiven Entschließung zu nöthigen, ist auch nicht entfernt zu denken; obgleich die während des letzten Sommers unternommenen schüchternen Versuche, die todtgeborene Südbundsidee zu elektrisiren, in ihren ersten Anfängen geschei- Grenjbotm IV. 1868. 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, II. Semester. II Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_287271/137>, abgerufen am 05.02.2025.