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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band.

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Deut sah e Ausw andererbeförderunZ.

Die außerordentliche Sterblichkeit auf den beiden hamburgischen, der
Firma R. M. Sloman gehörenden Auswanderer-Segelschiffen "Lord Brou-
gham" und "Leibnitz" hat sowohl in Nordamerika als in Deutschland ernst¬
liche Aufmerksamkeit erregt. In Newyork war man eben vorher erst durch
ähnliche schlimme Erlebnisse mit einem östreichischen, von Antwerpen expedir-
ten Schiffe, dem "Baccarcich", alarmirt worden. Die dortige "Deutsche Ge¬
sellschaft", gegründet zum Schuhe der deutschen Einwanderer gegen land¬
läufige und ortsübliche Betrügereien, hat sich vor kurzem den regelmäßigen
Beistand Friedrich Kopps gesichert, eines Mannes wie gemacht für eine der¬
artige Aufgabe, vertraut mit der ganzen Entwicklung des Auswanderer¬
wesens, und eine ebenso energische als vertrauenerweckende Persönlichkeit.
Da Kopp seine Thätigkeit mit der Anklage eines östreichischen Schiffes und
belgischen Expedienten hatte eröffnen müssen, welchen letzteren er einfach des
Mordes beschuldigte, so wird ihm eine unparteiliche und strenge, wennauch
gerechte Untersuchung der beiden Hamburger Schiffe betreffenden Fälle als
Ehrensache erschienen sein. Zufällig traf sichs, daß gerade auch neben zwei
liverpooler Dampfern ein Hamburger Dampfschiff, die "Saxonia", im New-
yorker Hafen mit Beschlag belegt wurde wegen Uebertretung der legalen
Maximalzahl von Passagieren im Verhältniß zum Raum. So mag es ge¬
kommen sein, daß das Urtheil über den "Leibnitz" nicht glimpflicher ausfiel.

Damit ist nicht gesagt, daß es glimpflicher hätte ausfallen sollen. Es
kommt überhaupt nicht vorzugsweise auf die Beurtheilung des einen oder
andern einzelnen Falles an; sondern auf die allgemeinen Schlüsse und For¬
derungen kommt es an, welche aus dem Erlebten gezogen werden oder zu
ziehen sind. Eine vorurtheilsfreie Betrachtung ergibt, wie uns däucht, daß
Herr Sloman das bestehende Recht wissentlich nicht verletzt hat, weder aus
Bosheit oder schnöder Gewinnsucht, noch in grober Fahrlässigkeit; daß er
dagegen einen Menschen von mehr Stumpfsinn und weniger- Energie zum
Capitän gemacht hat, als auf einem Schiffe mit Passagieren zulässig erscheint,
und daß die Belegung des untern Zwischendecks mit Passagieren in Hamburg
sogut verboten sein sollte, wie sie es in Bremen ist. Die mörderischen Krank¬
heiten des "Leibnitz" haben hauptsächlich in diesem untern Zwischendeck ge¬
wüthet, dessen natürliche Unbewohnbarkeit durch die Gleichgiltigkeit oder
Willensschwäche des Capitäns, der den Bewohnern des darüber liegenden
oberen Zwischendecks gestattete, ihren Unrath heruntersickern zu lassen, auf
den Gipfel getrieben wurde. In Newyork gehen die Forderungen noch
weiter. Die deutsche Gesellschaft hat sich an den Congreß gewendet, um


Grenzboten I. 1868. 48
Deut sah e Ausw andererbeförderunZ.

Die außerordentliche Sterblichkeit auf den beiden hamburgischen, der
Firma R. M. Sloman gehörenden Auswanderer-Segelschiffen „Lord Brou-
gham" und „Leibnitz" hat sowohl in Nordamerika als in Deutschland ernst¬
liche Aufmerksamkeit erregt. In Newyork war man eben vorher erst durch
ähnliche schlimme Erlebnisse mit einem östreichischen, von Antwerpen expedir-
ten Schiffe, dem „Baccarcich", alarmirt worden. Die dortige „Deutsche Ge¬
sellschaft", gegründet zum Schuhe der deutschen Einwanderer gegen land¬
läufige und ortsübliche Betrügereien, hat sich vor kurzem den regelmäßigen
Beistand Friedrich Kopps gesichert, eines Mannes wie gemacht für eine der¬
artige Aufgabe, vertraut mit der ganzen Entwicklung des Auswanderer¬
wesens, und eine ebenso energische als vertrauenerweckende Persönlichkeit.
Da Kopp seine Thätigkeit mit der Anklage eines östreichischen Schiffes und
belgischen Expedienten hatte eröffnen müssen, welchen letzteren er einfach des
Mordes beschuldigte, so wird ihm eine unparteiliche und strenge, wennauch
gerechte Untersuchung der beiden Hamburger Schiffe betreffenden Fälle als
Ehrensache erschienen sein. Zufällig traf sichs, daß gerade auch neben zwei
liverpooler Dampfern ein Hamburger Dampfschiff, die „Saxonia", im New-
yorker Hafen mit Beschlag belegt wurde wegen Uebertretung der legalen
Maximalzahl von Passagieren im Verhältniß zum Raum. So mag es ge¬
kommen sein, daß das Urtheil über den „Leibnitz" nicht glimpflicher ausfiel.

Damit ist nicht gesagt, daß es glimpflicher hätte ausfallen sollen. Es
kommt überhaupt nicht vorzugsweise auf die Beurtheilung des einen oder
andern einzelnen Falles an; sondern auf die allgemeinen Schlüsse und For¬
derungen kommt es an, welche aus dem Erlebten gezogen werden oder zu
ziehen sind. Eine vorurtheilsfreie Betrachtung ergibt, wie uns däucht, daß
Herr Sloman das bestehende Recht wissentlich nicht verletzt hat, weder aus
Bosheit oder schnöder Gewinnsucht, noch in grober Fahrlässigkeit; daß er
dagegen einen Menschen von mehr Stumpfsinn und weniger- Energie zum
Capitän gemacht hat, als auf einem Schiffe mit Passagieren zulässig erscheint,
und daß die Belegung des untern Zwischendecks mit Passagieren in Hamburg
sogut verboten sein sollte, wie sie es in Bremen ist. Die mörderischen Krank¬
heiten des „Leibnitz" haben hauptsächlich in diesem untern Zwischendeck ge¬
wüthet, dessen natürliche Unbewohnbarkeit durch die Gleichgiltigkeit oder
Willensschwäche des Capitäns, der den Bewohnern des darüber liegenden
oberen Zwischendecks gestattete, ihren Unrath heruntersickern zu lassen, auf
den Gipfel getrieben wurde. In Newyork gehen die Forderungen noch
weiter. Die deutsche Gesellschaft hat sich an den Congreß gewendet, um


Grenzboten I. 1868. 48
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[0385] Deut sah e Ausw andererbeförderunZ. Die außerordentliche Sterblichkeit auf den beiden hamburgischen, der Firma R. M. Sloman gehörenden Auswanderer-Segelschiffen „Lord Brou- gham" und „Leibnitz" hat sowohl in Nordamerika als in Deutschland ernst¬ liche Aufmerksamkeit erregt. In Newyork war man eben vorher erst durch ähnliche schlimme Erlebnisse mit einem östreichischen, von Antwerpen expedir- ten Schiffe, dem „Baccarcich", alarmirt worden. Die dortige „Deutsche Ge¬ sellschaft", gegründet zum Schuhe der deutschen Einwanderer gegen land¬ läufige und ortsübliche Betrügereien, hat sich vor kurzem den regelmäßigen Beistand Friedrich Kopps gesichert, eines Mannes wie gemacht für eine der¬ artige Aufgabe, vertraut mit der ganzen Entwicklung des Auswanderer¬ wesens, und eine ebenso energische als vertrauenerweckende Persönlichkeit. Da Kopp seine Thätigkeit mit der Anklage eines östreichischen Schiffes und belgischen Expedienten hatte eröffnen müssen, welchen letzteren er einfach des Mordes beschuldigte, so wird ihm eine unparteiliche und strenge, wennauch gerechte Untersuchung der beiden Hamburger Schiffe betreffenden Fälle als Ehrensache erschienen sein. Zufällig traf sichs, daß gerade auch neben zwei liverpooler Dampfern ein Hamburger Dampfschiff, die „Saxonia", im New- yorker Hafen mit Beschlag belegt wurde wegen Uebertretung der legalen Maximalzahl von Passagieren im Verhältniß zum Raum. So mag es ge¬ kommen sein, daß das Urtheil über den „Leibnitz" nicht glimpflicher ausfiel. Damit ist nicht gesagt, daß es glimpflicher hätte ausfallen sollen. Es kommt überhaupt nicht vorzugsweise auf die Beurtheilung des einen oder andern einzelnen Falles an; sondern auf die allgemeinen Schlüsse und For¬ derungen kommt es an, welche aus dem Erlebten gezogen werden oder zu ziehen sind. Eine vorurtheilsfreie Betrachtung ergibt, wie uns däucht, daß Herr Sloman das bestehende Recht wissentlich nicht verletzt hat, weder aus Bosheit oder schnöder Gewinnsucht, noch in grober Fahrlässigkeit; daß er dagegen einen Menschen von mehr Stumpfsinn und weniger- Energie zum Capitän gemacht hat, als auf einem Schiffe mit Passagieren zulässig erscheint, und daß die Belegung des untern Zwischendecks mit Passagieren in Hamburg sogut verboten sein sollte, wie sie es in Bremen ist. Die mörderischen Krank¬ heiten des „Leibnitz" haben hauptsächlich in diesem untern Zwischendeck ge¬ wüthet, dessen natürliche Unbewohnbarkeit durch die Gleichgiltigkeit oder Willensschwäche des Capitäns, der den Bewohnern des darüber liegenden oberen Zwischendecks gestattete, ihren Unrath heruntersickern zu lassen, auf den Gipfel getrieben wurde. In Newyork gehen die Forderungen noch weiter. Die deutsche Gesellschaft hat sich an den Congreß gewendet, um Grenzboten I. 1868. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_117005/385>, abgerufen am 24.08.2024.