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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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v. Platen in der Kirche zu Fischbach-in, als er von den Wunderkräften des
heiligen Scapuliers predigen hörte. Dürfen wir nicht noch in-ehr die blöden
Wallfahrer von Deggendorf bedauern? Und ist es zu viel gesagt, wenn wir
behaupten, daß die oft beklagte Rohheit und die blutigen Thaten unsres Land¬
volks auch daher rühren, daß ihm solche Speise geboten wird? daß es wenigstens
nicht besser werden kann, so lange ihm Raub und Mord, sei es auch nur an
Juden verübt l!) als gottgefälliges Werk empfohlen werden?" --




Stillleben eines Kleinstaates.

Der Staat, von dem ich rede, umfaßt keine 150 Quadratmeilen. Sein
zum Theil reicher Grund dehnt sich an den beiden Ufern jenes Stromes aus,
der schon dadurch beweisen kann, daß er nicht Deutschlands Grenze bildet.

Wenn unten an den sonnigen Halden der Vorberge die Rebe knospt und
die Aprikose blüht, liegt hoch oben im Gebirge noch der Schnee und der Postillon
treibt die keuchenden Pferde, daß sie den schweren Wagen nicht stecken lassen.
Drüben über dem Strom ein leichtlebiges Volk, dem Wein statt Blut durch die
Adern läuft. Diesseits des Stroms kreist das Blut langsamer; in der tabak-
und getreidebaucndcn reichen Ebene gemahnt freilich das Aussehen der Land¬
schaft an die.Landsleute im Westen; die ländliche Tracht ist hüben und drüben
verschwunden, und die Sprache klingt fast gleich und ähnelt den Dialekten, in
denen Nadler und Schanden" ihre Gedichte schrieben. Hinter der Gebirgswand
im Osten wohnt der minder reiche Theil der Bevölkerung. Mühsam klettert
das Spannvieh an den Bergen hinauf und des Landmanns "Gust und Gott"
klingt wie eine Stimme aus den Wolken gegenüber dem "Har und Gott" des
Tabakbauers im Thal. Dem Feldbau sind diese Berge häusig zu steil und die
Thäler zu unwirthlich; nur selten verirrt sich der fremde Wanderer hierher.
Aber der Bauer sitzt oft behaglich auf dem Erbe seiner Voreltern, deren Tracht
er "och trägt: den langen blauen Nock, Kniehosen und Gamaschen und jenen
wunderlich aufgebauten Hut "Dreimaster" oder auch "Wettervertheiler" genannt.
Und wenden wir uns schließlich nordwärts, so kommen wir in den Theil des
Landes, dem der Staat seinen Namen verdankt. Hier sitzt der Kern jenes
Volkes mit grobgeschnitzten, charakteristischen Gesichtern und jener eigenthüm¬
lichen Tracht, die bei dem weiblichen Theil sich so bezeichnen läßt: was den
Röcken an Länge abgeht, haben sie an Umfang zugesetzt. Der Bauer der hessischen
Ebene sitzt auf fetten Gütern und das alte Sprichwort sagt, daß ihm nur Heu
und Holz fehle, um noch einmal so stolz zu werden. Was diesem versagt ist,


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v. Platen in der Kirche zu Fischbach-in, als er von den Wunderkräften des
heiligen Scapuliers predigen hörte. Dürfen wir nicht noch in-ehr die blöden
Wallfahrer von Deggendorf bedauern? Und ist es zu viel gesagt, wenn wir
behaupten, daß die oft beklagte Rohheit und die blutigen Thaten unsres Land¬
volks auch daher rühren, daß ihm solche Speise geboten wird? daß es wenigstens
nicht besser werden kann, so lange ihm Raub und Mord, sei es auch nur an
Juden verübt l!) als gottgefälliges Werk empfohlen werden?" —




Stillleben eines Kleinstaates.

Der Staat, von dem ich rede, umfaßt keine 150 Quadratmeilen. Sein
zum Theil reicher Grund dehnt sich an den beiden Ufern jenes Stromes aus,
der schon dadurch beweisen kann, daß er nicht Deutschlands Grenze bildet.

Wenn unten an den sonnigen Halden der Vorberge die Rebe knospt und
die Aprikose blüht, liegt hoch oben im Gebirge noch der Schnee und der Postillon
treibt die keuchenden Pferde, daß sie den schweren Wagen nicht stecken lassen.
Drüben über dem Strom ein leichtlebiges Volk, dem Wein statt Blut durch die
Adern läuft. Diesseits des Stroms kreist das Blut langsamer; in der tabak-
und getreidebaucndcn reichen Ebene gemahnt freilich das Aussehen der Land¬
schaft an die.Landsleute im Westen; die ländliche Tracht ist hüben und drüben
verschwunden, und die Sprache klingt fast gleich und ähnelt den Dialekten, in
denen Nadler und Schanden» ihre Gedichte schrieben. Hinter der Gebirgswand
im Osten wohnt der minder reiche Theil der Bevölkerung. Mühsam klettert
das Spannvieh an den Bergen hinauf und des Landmanns „Gust und Gott"
klingt wie eine Stimme aus den Wolken gegenüber dem „Har und Gott" des
Tabakbauers im Thal. Dem Feldbau sind diese Berge häusig zu steil und die
Thäler zu unwirthlich; nur selten verirrt sich der fremde Wanderer hierher.
Aber der Bauer sitzt oft behaglich auf dem Erbe seiner Voreltern, deren Tracht
er »och trägt: den langen blauen Nock, Kniehosen und Gamaschen und jenen
wunderlich aufgebauten Hut „Dreimaster" oder auch „Wettervertheiler" genannt.
Und wenden wir uns schließlich nordwärts, so kommen wir in den Theil des
Landes, dem der Staat seinen Namen verdankt. Hier sitzt der Kern jenes
Volkes mit grobgeschnitzten, charakteristischen Gesichtern und jener eigenthüm¬
lichen Tracht, die bei dem weiblichen Theil sich so bezeichnen läßt: was den
Röcken an Länge abgeht, haben sie an Umfang zugesetzt. Der Bauer der hessischen
Ebene sitzt auf fetten Gütern und das alte Sprichwort sagt, daß ihm nur Heu
und Holz fehle, um noch einmal so stolz zu werden. Was diesem versagt ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/45>, abgerufen am 22.12.2024.