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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Die Stellung der sächsischen Beamten 1813 und 1866.

Die Friedensverhandlungen mit Sachsen rücken nicht von der Stelle. Es
scheint, daß diejenigen Recht haben, welche behaupten, daß kaum die Grund¬
lage für weitere Verhandlungen gewonnen sei, daß den Forderungen Preußens
sächsischerseits eine so ablehnende Haltung entgegengestellt werde, baß ein Ende
nicht abzusehen. ^

Diese Ungewißheit wird von Tag zu Tag peinlicher für das sächsische Volk,
dessen hausmütterliche Fürsorglichkeit um so sehnlicher nach Klarheit über die
politische Zukunft des Landes verlangt, je mehr es den Anschein gewinnt, als
wollten "die Geschäsic" sich wieder heben.

Alle leben nur in Conjecturen, und jeder redet sich ein, was er wünscht.

Die Einen voll von aufrichtiger Begeisterung für Deutschlands Bestimmung
zum Einheitsstaat, die wesentlichen Bedürfnisse Sachsens und Preußens ehrlich
erwägend, betrachten die Annexion nicht nur als "ein Ziel aufs innigste zu
wünschen", sondern als für die preußische Krone von der Nothwendigkeit ge¬
boten und darum -- unzweifelhaft.

Habe doch im Jahre 1761 Friedrich der Große sein Königreich Preußen
und seine westfälischen Provinzen für den Besitz von Sachsen hingeben wollen,
so völlig sei er von der Wichtigkeit desselben für Preußen überzeugt gewesen.
Eine Ueberzeugung, deren Richtigkeit grade der letzte Krieg wieder schlagend
erwiesen habe. Da werde man auch über die entgegenstehende Bestimmung des
Friedens mit Oestreich hinwegkommen.

Andere halten sich überzeugt, daß Sachsen so recht nach dem Herzen der
Theoretiker in den Bundesstaat werde eingefügt werden, als Exempel so tröst¬
lich als verlockend für die Südstaaten.

Wieder andere und nicht die Wenigsten halten an dem particularistischen
Wahne, die Stellung Sachsens werde in allen wesentlichen Punkten dieselbe
bleiben, die sie vor dem Kriege gewesen, so zäh fest, wie die Verzehrungskranken
an der Hoffnung aus baldige Genesung. Sie erwarten mit Zuversicht den Einzug
des Königs in die Residenz an der Spitze der "siegreichen Armee", welche die
Preußen trotz aller Befestigungen ablösen werde, und wissen gewiß, daß König
Johann nie eine andere Stellung zu Preußen einnehmen könne, als die eines
völlig gleichberechtigten Verbündeten.

Jedes Gerücht, das auch nur entfernt den Anschein hat. als bestätige es
diese Ansicht, wird von ihnen mit Eifer von Haus zu Haus cvlportirt, ver¬
größert und zugestutzt, wie die individuelle Art des Erzählers es bedingt, das


"rtnzbottn III. 18S6. 67
Die Stellung der sächsischen Beamten 1813 und 1866.

Die Friedensverhandlungen mit Sachsen rücken nicht von der Stelle. Es
scheint, daß diejenigen Recht haben, welche behaupten, daß kaum die Grund¬
lage für weitere Verhandlungen gewonnen sei, daß den Forderungen Preußens
sächsischerseits eine so ablehnende Haltung entgegengestellt werde, baß ein Ende
nicht abzusehen. ^

Diese Ungewißheit wird von Tag zu Tag peinlicher für das sächsische Volk,
dessen hausmütterliche Fürsorglichkeit um so sehnlicher nach Klarheit über die
politische Zukunft des Landes verlangt, je mehr es den Anschein gewinnt, als
wollten „die Geschäsic" sich wieder heben.

Alle leben nur in Conjecturen, und jeder redet sich ein, was er wünscht.

Die Einen voll von aufrichtiger Begeisterung für Deutschlands Bestimmung
zum Einheitsstaat, die wesentlichen Bedürfnisse Sachsens und Preußens ehrlich
erwägend, betrachten die Annexion nicht nur als „ein Ziel aufs innigste zu
wünschen", sondern als für die preußische Krone von der Nothwendigkeit ge¬
boten und darum — unzweifelhaft.

Habe doch im Jahre 1761 Friedrich der Große sein Königreich Preußen
und seine westfälischen Provinzen für den Besitz von Sachsen hingeben wollen,
so völlig sei er von der Wichtigkeit desselben für Preußen überzeugt gewesen.
Eine Ueberzeugung, deren Richtigkeit grade der letzte Krieg wieder schlagend
erwiesen habe. Da werde man auch über die entgegenstehende Bestimmung des
Friedens mit Oestreich hinwegkommen.

Andere halten sich überzeugt, daß Sachsen so recht nach dem Herzen der
Theoretiker in den Bundesstaat werde eingefügt werden, als Exempel so tröst¬
lich als verlockend für die Südstaaten.

Wieder andere und nicht die Wenigsten halten an dem particularistischen
Wahne, die Stellung Sachsens werde in allen wesentlichen Punkten dieselbe
bleiben, die sie vor dem Kriege gewesen, so zäh fest, wie die Verzehrungskranken
an der Hoffnung aus baldige Genesung. Sie erwarten mit Zuversicht den Einzug
des Königs in die Residenz an der Spitze der „siegreichen Armee", welche die
Preußen trotz aller Befestigungen ablösen werde, und wissen gewiß, daß König
Johann nie eine andere Stellung zu Preußen einnehmen könne, als die eines
völlig gleichberechtigten Verbündeten.

Jedes Gerücht, das auch nur entfernt den Anschein hat. als bestätige es
diese Ansicht, wird von ihnen mit Eifer von Haus zu Haus cvlportirt, ver¬
größert und zugestutzt, wie die individuelle Art des Erzählers es bedingt, das


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[0481] Die Stellung der sächsischen Beamten 1813 und 1866. Die Friedensverhandlungen mit Sachsen rücken nicht von der Stelle. Es scheint, daß diejenigen Recht haben, welche behaupten, daß kaum die Grund¬ lage für weitere Verhandlungen gewonnen sei, daß den Forderungen Preußens sächsischerseits eine so ablehnende Haltung entgegengestellt werde, baß ein Ende nicht abzusehen. ^ Diese Ungewißheit wird von Tag zu Tag peinlicher für das sächsische Volk, dessen hausmütterliche Fürsorglichkeit um so sehnlicher nach Klarheit über die politische Zukunft des Landes verlangt, je mehr es den Anschein gewinnt, als wollten „die Geschäsic" sich wieder heben. Alle leben nur in Conjecturen, und jeder redet sich ein, was er wünscht. Die Einen voll von aufrichtiger Begeisterung für Deutschlands Bestimmung zum Einheitsstaat, die wesentlichen Bedürfnisse Sachsens und Preußens ehrlich erwägend, betrachten die Annexion nicht nur als „ein Ziel aufs innigste zu wünschen", sondern als für die preußische Krone von der Nothwendigkeit ge¬ boten und darum — unzweifelhaft. Habe doch im Jahre 1761 Friedrich der Große sein Königreich Preußen und seine westfälischen Provinzen für den Besitz von Sachsen hingeben wollen, so völlig sei er von der Wichtigkeit desselben für Preußen überzeugt gewesen. Eine Ueberzeugung, deren Richtigkeit grade der letzte Krieg wieder schlagend erwiesen habe. Da werde man auch über die entgegenstehende Bestimmung des Friedens mit Oestreich hinwegkommen. Andere halten sich überzeugt, daß Sachsen so recht nach dem Herzen der Theoretiker in den Bundesstaat werde eingefügt werden, als Exempel so tröst¬ lich als verlockend für die Südstaaten. Wieder andere und nicht die Wenigsten halten an dem particularistischen Wahne, die Stellung Sachsens werde in allen wesentlichen Punkten dieselbe bleiben, die sie vor dem Kriege gewesen, so zäh fest, wie die Verzehrungskranken an der Hoffnung aus baldige Genesung. Sie erwarten mit Zuversicht den Einzug des Königs in die Residenz an der Spitze der „siegreichen Armee", welche die Preußen trotz aller Befestigungen ablösen werde, und wissen gewiß, daß König Johann nie eine andere Stellung zu Preußen einnehmen könne, als die eines völlig gleichberechtigten Verbündeten. Jedes Gerücht, das auch nur entfernt den Anschein hat. als bestätige es diese Ansicht, wird von ihnen mit Eifer von Haus zu Haus cvlportirt, ver¬ größert und zugestutzt, wie die individuelle Art des Erzählers es bedingt, das «rtnzbottn III. 18S6. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/481>, abgerufen am 03.07.2024.