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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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und unglücklich lebt. Aber weil der Mensch nicht dem Phönix gleich im Licht
der Sonne wiedergeboren emporsteigt, erlahmt die Hand, und mühsam schleppt
der Fuß sich weiter. Condivi bezeugt, daß Michelangelo damals nach dem
Scheitern jenes und anderer Pläne in einen Zustand trüber Apathie verfiel
und längere Zeit unfähig war zu aller Arbeit.

Ein sehr streitbares Sonett (6) läßt uns in die Tiefe der damaligen
Municipaleifersüchteleien der Italiener blicken. Ein Piftojese hat wie es scheint
in einem Gedicht den Florentinern höhnisches Lob gespendet. Michelangelo
zahlt es mit einem von Grobheit strotzenden Sonett an die übermüthigen, nei¬
dischen, gottverhaßter Kainssöhne zurück. Es erinnert lebhaft an die Ausfälle
Dantes auf die Pistojesen. und Michelangelo weist selbst darauf hin, wenn er
fortfährt: "Gedenk an das, was der Dichter von Pistoja sagt, dies genügt;
und wenn du von Florenz Gutes sagst, so weiß ich, daß dein Schmeicheln
Spott ist. Wohl ist es ein kostbares Kleinod, aber du vermagst es nicht zu
schätzen: denn nur vom Edlen wird es erkannt." -- Dieser Ausbruch eifersüchtiger
.Liebe zu seiner Vaterstadt führt uns zur politischen Muse des Dichters, über
die wir noch ausführlicher reden werden.




El" Blick auf das italienische Kriegsterrain.

Die östreichische Armee ist im Fcstungsviereck zusammengezogen, das Haupt¬
quartier Verona, die Reisfelder von Mantua stehen unter Wasser, der Zugang
zum Hafen von Venedig ist unwegsam gemacht, das Fahrwasser von Mala-
mocco strotzt von Höllenmaschinen und Torpedos.

Hart hinter den Oestreichern hat die italienische Armee den Mincio
Passirt und Valeggio und Goedo, die alten Güter der Gonzaga, besetzt. Auf
ihrem östlichen Flügel ist der Po überschritten, auf dem westlichen stehen
die Ganbaldianer in Lecco und Como, wenn nicht schon halbwegs nach dem
Stilfser Joch und schon ist Riva am Gardasee von den Rothhcmden bedroht,
vielleicht bereits genommen.

Indem wir die Situation ins Auge fassen, welche durch diese Thatsachen
bezeichnet wird, scheint es, als wären wir sieben Jahre in der italienischen
Kriegsgeschichte zurückversetzt. Wir könnten meinen, die Tage seien eben vor¬
über, in denen Solferino gewonnen und verloren wurde. Doch seit der


und unglücklich lebt. Aber weil der Mensch nicht dem Phönix gleich im Licht
der Sonne wiedergeboren emporsteigt, erlahmt die Hand, und mühsam schleppt
der Fuß sich weiter. Condivi bezeugt, daß Michelangelo damals nach dem
Scheitern jenes und anderer Pläne in einen Zustand trüber Apathie verfiel
und längere Zeit unfähig war zu aller Arbeit.

Ein sehr streitbares Sonett (6) läßt uns in die Tiefe der damaligen
Municipaleifersüchteleien der Italiener blicken. Ein Piftojese hat wie es scheint
in einem Gedicht den Florentinern höhnisches Lob gespendet. Michelangelo
zahlt es mit einem von Grobheit strotzenden Sonett an die übermüthigen, nei¬
dischen, gottverhaßter Kainssöhne zurück. Es erinnert lebhaft an die Ausfälle
Dantes auf die Pistojesen. und Michelangelo weist selbst darauf hin, wenn er
fortfährt: „Gedenk an das, was der Dichter von Pistoja sagt, dies genügt;
und wenn du von Florenz Gutes sagst, so weiß ich, daß dein Schmeicheln
Spott ist. Wohl ist es ein kostbares Kleinod, aber du vermagst es nicht zu
schätzen: denn nur vom Edlen wird es erkannt." — Dieser Ausbruch eifersüchtiger
.Liebe zu seiner Vaterstadt führt uns zur politischen Muse des Dichters, über
die wir noch ausführlicher reden werden.




El» Blick auf das italienische Kriegsterrain.

Die östreichische Armee ist im Fcstungsviereck zusammengezogen, das Haupt¬
quartier Verona, die Reisfelder von Mantua stehen unter Wasser, der Zugang
zum Hafen von Venedig ist unwegsam gemacht, das Fahrwasser von Mala-
mocco strotzt von Höllenmaschinen und Torpedos.

Hart hinter den Oestreichern hat die italienische Armee den Mincio
Passirt und Valeggio und Goedo, die alten Güter der Gonzaga, besetzt. Auf
ihrem östlichen Flügel ist der Po überschritten, auf dem westlichen stehen
die Ganbaldianer in Lecco und Como, wenn nicht schon halbwegs nach dem
Stilfser Joch und schon ist Riva am Gardasee von den Rothhcmden bedroht,
vielleicht bereits genommen.

Indem wir die Situation ins Auge fassen, welche durch diese Thatsachen
bezeichnet wird, scheint es, als wären wir sieben Jahre in der italienischen
Kriegsgeschichte zurückversetzt. Wir könnten meinen, die Tage seien eben vor¬
über, in denen Solferino gewonnen und verloren wurde. Doch seit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/47>, abgerufen am 22.07.2024.