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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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statistisches über die jetzt kriegführenden Parteien.

Bei Berechnung der Chancen eines Krieges kommen außer der Lage und
Natur der Länder, welche sich bekämpfen, vorzüglich drei Momente in Betracht:
die Zahl der Truppen, welche diese Länder aufstellen können, die Zahl der zur
Ergänzung hinter den Heeren vorhandenen Einwohner derselben, die bis zu
einem gewissen Grade auch die zur Kriegführung erforderliche Steuerkraft reprä-
sentirt. endlich die militärische Tüchtigkeit der Armeen, welche sich gegenüber-
stehen. Sind die Verhältnisse beider Parteien in allen diesen Beziehungen im
Wesentlichen sich gleich, so entscheidet ein guter Oberbefehlshaber, der auch eine
nicht allzu große Ungleichheit durch kühne und geschickte Operationen auszu¬
gleichen vermag, wenngleich nicht mehr in dem Maße, wie in früheren Kriegen.

Wenden wir dies auf die Gegenwart an und betrachten wir für jetzt nur
die Zahl der Einwohner und die Stärke der Heere der streitenden Mächte, so
stellt sich die Rechnung folgendermaßen:

Auf der einen Seite steht Preußen, vermuthlich bald durch Mecklenburg,
Oldenburg. Braunschweig, die kleineren norddeutschen Staaten. Anhalt und die
meisten Länder der thüringer Gruppe verstärkt, sowie im Süden Italien. Auf
der gegnerischen Kampslinie sehen wir Oestreich im Bunde mit Bayern, Sach¬
sen, Würtemverg, den beiden Hessen. Nassau, Frankfurt, Meiningen und Han¬
nover den Kampf beginnen. Hannover ist jetzt von den Preußen besetzt und
entwaffnet, seine Armee wird in dem Augenblicke, wo wir schreiben, schon in
Gefangenschaft gerathen und unschädlich gemacht sein. Es ist daher für jetzt
nicht mit in Rechnung zu bringen. Aehnliches gilt für Kurhessen, dessen nur
halb mobilisirtes Heer zwar entkommen, dessen Gebiet aber zum größeren Theile
ebenfalls von den Preußen occupirt ist, und von Baden, dessen Regierung neu¬
tral zu bleiben entschlossen scheint, und welches, wenn man es zum Anschluß
an die Action des Rumpfbundes nöthigen wollte, einen nicht unbeträchtlichen
Theil der im südwestlichen Deutschland versammelten Streitkräfte für die näch¬
sten entscheidenden Wochen absorbiren würde. Auch von Holstein und Schles-
wig ist vor der Hand insofern abzusehen, als dort gegenwärtig eine Armee nicht
existirt. und als eine etwaige Aushebung jetzt noch unzuverlässige Truppen lie¬
fern würde. Dagegen könnten die Herzogthümer wie Sachsen. Kurhessen und
Hannover, so lange sie von Preußen occupirt sind, genöthigt werden, zu den
Kriegssteuern beizutragen, und so sei erwähnt, daß sie nach dem letzten Census
958.579 Einwohner zählen.

Preußen hat mit Lauenburg. aber ohne Hohenzollern 19.239.885 Ein¬
wohner, unter denen sich circa dritthalb Millionen Nichtdeutsche befinden. Es


statistisches über die jetzt kriegführenden Parteien.

Bei Berechnung der Chancen eines Krieges kommen außer der Lage und
Natur der Länder, welche sich bekämpfen, vorzüglich drei Momente in Betracht:
die Zahl der Truppen, welche diese Länder aufstellen können, die Zahl der zur
Ergänzung hinter den Heeren vorhandenen Einwohner derselben, die bis zu
einem gewissen Grade auch die zur Kriegführung erforderliche Steuerkraft reprä-
sentirt. endlich die militärische Tüchtigkeit der Armeen, welche sich gegenüber-
stehen. Sind die Verhältnisse beider Parteien in allen diesen Beziehungen im
Wesentlichen sich gleich, so entscheidet ein guter Oberbefehlshaber, der auch eine
nicht allzu große Ungleichheit durch kühne und geschickte Operationen auszu¬
gleichen vermag, wenngleich nicht mehr in dem Maße, wie in früheren Kriegen.

Wenden wir dies auf die Gegenwart an und betrachten wir für jetzt nur
die Zahl der Einwohner und die Stärke der Heere der streitenden Mächte, so
stellt sich die Rechnung folgendermaßen:

Auf der einen Seite steht Preußen, vermuthlich bald durch Mecklenburg,
Oldenburg. Braunschweig, die kleineren norddeutschen Staaten. Anhalt und die
meisten Länder der thüringer Gruppe verstärkt, sowie im Süden Italien. Auf
der gegnerischen Kampslinie sehen wir Oestreich im Bunde mit Bayern, Sach¬
sen, Würtemverg, den beiden Hessen. Nassau, Frankfurt, Meiningen und Han¬
nover den Kampf beginnen. Hannover ist jetzt von den Preußen besetzt und
entwaffnet, seine Armee wird in dem Augenblicke, wo wir schreiben, schon in
Gefangenschaft gerathen und unschädlich gemacht sein. Es ist daher für jetzt
nicht mit in Rechnung zu bringen. Aehnliches gilt für Kurhessen, dessen nur
halb mobilisirtes Heer zwar entkommen, dessen Gebiet aber zum größeren Theile
ebenfalls von den Preußen occupirt ist, und von Baden, dessen Regierung neu¬
tral zu bleiben entschlossen scheint, und welches, wenn man es zum Anschluß
an die Action des Rumpfbundes nöthigen wollte, einen nicht unbeträchtlichen
Theil der im südwestlichen Deutschland versammelten Streitkräfte für die näch¬
sten entscheidenden Wochen absorbiren würde. Auch von Holstein und Schles-
wig ist vor der Hand insofern abzusehen, als dort gegenwärtig eine Armee nicht
existirt. und als eine etwaige Aushebung jetzt noch unzuverlässige Truppen lie¬
fern würde. Dagegen könnten die Herzogthümer wie Sachsen. Kurhessen und
Hannover, so lange sie von Preußen occupirt sind, genöthigt werden, zu den
Kriegssteuern beizutragen, und so sei erwähnt, daß sie nach dem letzten Census
958.579 Einwohner zählen.

Preußen hat mit Lauenburg. aber ohne Hohenzollern 19.239.885 Ein¬
wohner, unter denen sich circa dritthalb Millionen Nichtdeutsche befinden. Es


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[0033] statistisches über die jetzt kriegführenden Parteien. Bei Berechnung der Chancen eines Krieges kommen außer der Lage und Natur der Länder, welche sich bekämpfen, vorzüglich drei Momente in Betracht: die Zahl der Truppen, welche diese Länder aufstellen können, die Zahl der zur Ergänzung hinter den Heeren vorhandenen Einwohner derselben, die bis zu einem gewissen Grade auch die zur Kriegführung erforderliche Steuerkraft reprä- sentirt. endlich die militärische Tüchtigkeit der Armeen, welche sich gegenüber- stehen. Sind die Verhältnisse beider Parteien in allen diesen Beziehungen im Wesentlichen sich gleich, so entscheidet ein guter Oberbefehlshaber, der auch eine nicht allzu große Ungleichheit durch kühne und geschickte Operationen auszu¬ gleichen vermag, wenngleich nicht mehr in dem Maße, wie in früheren Kriegen. Wenden wir dies auf die Gegenwart an und betrachten wir für jetzt nur die Zahl der Einwohner und die Stärke der Heere der streitenden Mächte, so stellt sich die Rechnung folgendermaßen: Auf der einen Seite steht Preußen, vermuthlich bald durch Mecklenburg, Oldenburg. Braunschweig, die kleineren norddeutschen Staaten. Anhalt und die meisten Länder der thüringer Gruppe verstärkt, sowie im Süden Italien. Auf der gegnerischen Kampslinie sehen wir Oestreich im Bunde mit Bayern, Sach¬ sen, Würtemverg, den beiden Hessen. Nassau, Frankfurt, Meiningen und Han¬ nover den Kampf beginnen. Hannover ist jetzt von den Preußen besetzt und entwaffnet, seine Armee wird in dem Augenblicke, wo wir schreiben, schon in Gefangenschaft gerathen und unschädlich gemacht sein. Es ist daher für jetzt nicht mit in Rechnung zu bringen. Aehnliches gilt für Kurhessen, dessen nur halb mobilisirtes Heer zwar entkommen, dessen Gebiet aber zum größeren Theile ebenfalls von den Preußen occupirt ist, und von Baden, dessen Regierung neu¬ tral zu bleiben entschlossen scheint, und welches, wenn man es zum Anschluß an die Action des Rumpfbundes nöthigen wollte, einen nicht unbeträchtlichen Theil der im südwestlichen Deutschland versammelten Streitkräfte für die näch¬ sten entscheidenden Wochen absorbiren würde. Auch von Holstein und Schles- wig ist vor der Hand insofern abzusehen, als dort gegenwärtig eine Armee nicht existirt. und als eine etwaige Aushebung jetzt noch unzuverlässige Truppen lie¬ fern würde. Dagegen könnten die Herzogthümer wie Sachsen. Kurhessen und Hannover, so lange sie von Preußen occupirt sind, genöthigt werden, zu den Kriegssteuern beizutragen, und so sei erwähnt, daß sie nach dem letzten Census 958.579 Einwohner zählen. Preußen hat mit Lauenburg. aber ohne Hohenzollern 19.239.885 Ein¬ wohner, unter denen sich circa dritthalb Millionen Nichtdeutsche befinden. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/33>, abgerufen am 22.07.2024.