Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der mecklenburgische Landtag des Jahres 1865.

Zwischen dem Feudalismus und den Anforderungen des modernen Cultur¬
lebens giebt es keine Vermittelung. Da, wo der Feudalismus sich als Princip
der Staatseinrichtungen zu behaupten vermocht hat, wie in Mecklenburg, hat
derselbe nur die Wahl, entweder auf die Fortschritte des Culturlebens zu ver¬
zichten oder in eine Neugestaltung der Staatseinrichtungen einzuwilligen, in
welcher er selbst keine Stelle mehr findet. Zu letzterem, zu der erneueren Aus¬
richtung des im Jahre 1850 der feudalen Reaction geopferten constitutionellen
Staates, sind zur Zeit weder die Regierung noch die Stände in Mecklenburg
geneigt. Aber beide nehmen doch in neuester Zeit zu den an sie herantretenden
Aufgaben eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Die Regierung kann sich
der Einsicht nicht verschließen, daß die dermaligen Institutionen des Landes in
vielfacher Beziehung eine gesunde Entwickelung hemmen, daß Gewerbe und
Industrie unter der Herrschaft des feudalen Systems nur kümmerlich ihr Leben
fristen, daß die Bevölkerung sich vermindert, die Arbeitskräfte abnehmen, der
Wohlstand schwindet und mancherlei sociale und sittliche Nothstände immer
tiefer einwurzeln und eine immer weitere Verbreitung gewinnen. Die Negie¬
rung erkennt es daher für ihre Pflicht, bald hier bald da mit Reformanträgen
vorzugehen. Da sie aber dabei von der Ansicht geleitet wird, daß unter
allen Umständen die feudale Grundlage der Landesverfassung nicht aufgegeben
werden dürfe und nur durch einige Erweiterung des Spielraums bureaukratischer
Regierungskunst zu temperiren sei, so würde sie mit ihren Reformbestrebungen
selbst dann, wenn sie damit durchzuringen vermöchte, nichts Gedeihliches schaffen
oder doch höchstens die Bahn ebnen, um zu etwas Besserem zu gelangen. Die
Stände aber wissen sehr wohl, daß jede tiefer greifende sociale Reform mit den
feudalen Institutionen in Conflict treten und deren Bestand erschüttern muß.
Sie haben nur einmal, unter ganz besonderen Einflüssen, deren Natur noch
immer nicht ganz aufgeklärt ist, und von der Regierung überrumpelt, sich eine
Reform gefallen lassen, welche der Ritterschaft überdies durch manche materielle


Gmizl'oder I. 180". - 21
Der mecklenburgische Landtag des Jahres 1865.

Zwischen dem Feudalismus und den Anforderungen des modernen Cultur¬
lebens giebt es keine Vermittelung. Da, wo der Feudalismus sich als Princip
der Staatseinrichtungen zu behaupten vermocht hat, wie in Mecklenburg, hat
derselbe nur die Wahl, entweder auf die Fortschritte des Culturlebens zu ver¬
zichten oder in eine Neugestaltung der Staatseinrichtungen einzuwilligen, in
welcher er selbst keine Stelle mehr findet. Zu letzterem, zu der erneueren Aus¬
richtung des im Jahre 1850 der feudalen Reaction geopferten constitutionellen
Staates, sind zur Zeit weder die Regierung noch die Stände in Mecklenburg
geneigt. Aber beide nehmen doch in neuester Zeit zu den an sie herantretenden
Aufgaben eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Die Regierung kann sich
der Einsicht nicht verschließen, daß die dermaligen Institutionen des Landes in
vielfacher Beziehung eine gesunde Entwickelung hemmen, daß Gewerbe und
Industrie unter der Herrschaft des feudalen Systems nur kümmerlich ihr Leben
fristen, daß die Bevölkerung sich vermindert, die Arbeitskräfte abnehmen, der
Wohlstand schwindet und mancherlei sociale und sittliche Nothstände immer
tiefer einwurzeln und eine immer weitere Verbreitung gewinnen. Die Negie¬
rung erkennt es daher für ihre Pflicht, bald hier bald da mit Reformanträgen
vorzugehen. Da sie aber dabei von der Ansicht geleitet wird, daß unter
allen Umständen die feudale Grundlage der Landesverfassung nicht aufgegeben
werden dürfe und nur durch einige Erweiterung des Spielraums bureaukratischer
Regierungskunst zu temperiren sei, so würde sie mit ihren Reformbestrebungen
selbst dann, wenn sie damit durchzuringen vermöchte, nichts Gedeihliches schaffen
oder doch höchstens die Bahn ebnen, um zu etwas Besserem zu gelangen. Die
Stände aber wissen sehr wohl, daß jede tiefer greifende sociale Reform mit den
feudalen Institutionen in Conflict treten und deren Bestand erschüttern muß.
Sie haben nur einmal, unter ganz besonderen Einflüssen, deren Natur noch
immer nicht ganz aufgeklärt ist, und von der Regierung überrumpelt, sich eine
Reform gefallen lassen, welche der Ritterschaft überdies durch manche materielle


Gmizl'oder I. 180». - 21
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284645"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der mecklenburgische Landtag des Jahres 1865.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_596" next="#ID_597"> Zwischen dem Feudalismus und den Anforderungen des modernen Cultur¬<lb/>
lebens giebt es keine Vermittelung. Da, wo der Feudalismus sich als Princip<lb/>
der Staatseinrichtungen zu behaupten vermocht hat, wie in Mecklenburg, hat<lb/>
derselbe nur die Wahl, entweder auf die Fortschritte des Culturlebens zu ver¬<lb/>
zichten oder in eine Neugestaltung der Staatseinrichtungen einzuwilligen, in<lb/>
welcher er selbst keine Stelle mehr findet. Zu letzterem, zu der erneueren Aus¬<lb/>
richtung des im Jahre 1850 der feudalen Reaction geopferten constitutionellen<lb/>
Staates, sind zur Zeit weder die Regierung noch die Stände in Mecklenburg<lb/>
geneigt. Aber beide nehmen doch in neuester Zeit zu den an sie herantretenden<lb/>
Aufgaben eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Die Regierung kann sich<lb/>
der Einsicht nicht verschließen, daß die dermaligen Institutionen des Landes in<lb/>
vielfacher Beziehung eine gesunde Entwickelung hemmen, daß Gewerbe und<lb/>
Industrie unter der Herrschaft des feudalen Systems nur kümmerlich ihr Leben<lb/>
fristen, daß die Bevölkerung sich vermindert, die Arbeitskräfte abnehmen, der<lb/>
Wohlstand schwindet und mancherlei sociale und sittliche Nothstände immer<lb/>
tiefer einwurzeln und eine immer weitere Verbreitung gewinnen. Die Negie¬<lb/>
rung erkennt es daher für ihre Pflicht, bald hier bald da mit Reformanträgen<lb/>
vorzugehen.  Da sie aber dabei von der Ansicht geleitet wird, daß unter<lb/>
allen Umständen die feudale Grundlage der Landesverfassung nicht aufgegeben<lb/>
werden dürfe und nur durch einige Erweiterung des Spielraums bureaukratischer<lb/>
Regierungskunst zu temperiren sei, so würde sie mit ihren Reformbestrebungen<lb/>
selbst dann, wenn sie damit durchzuringen vermöchte, nichts Gedeihliches schaffen<lb/>
oder doch höchstens die Bahn ebnen, um zu etwas Besserem zu gelangen. Die<lb/>
Stände aber wissen sehr wohl, daß jede tiefer greifende sociale Reform mit den<lb/>
feudalen Institutionen in Conflict treten und deren Bestand erschüttern muß.<lb/>
Sie haben nur einmal, unter ganz besonderen Einflüssen, deren Natur noch<lb/>
immer nicht ganz aufgeklärt ist, und von der Regierung überrumpelt, sich eine<lb/>
Reform gefallen lassen, welche der Ritterschaft überdies durch manche materielle</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gmizl'oder I. 180». - 21</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] Der mecklenburgische Landtag des Jahres 1865. Zwischen dem Feudalismus und den Anforderungen des modernen Cultur¬ lebens giebt es keine Vermittelung. Da, wo der Feudalismus sich als Princip der Staatseinrichtungen zu behaupten vermocht hat, wie in Mecklenburg, hat derselbe nur die Wahl, entweder auf die Fortschritte des Culturlebens zu ver¬ zichten oder in eine Neugestaltung der Staatseinrichtungen einzuwilligen, in welcher er selbst keine Stelle mehr findet. Zu letzterem, zu der erneueren Aus¬ richtung des im Jahre 1850 der feudalen Reaction geopferten constitutionellen Staates, sind zur Zeit weder die Regierung noch die Stände in Mecklenburg geneigt. Aber beide nehmen doch in neuester Zeit zu den an sie herantretenden Aufgaben eine wesentlich verschiedene Stellung ein. Die Regierung kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß die dermaligen Institutionen des Landes in vielfacher Beziehung eine gesunde Entwickelung hemmen, daß Gewerbe und Industrie unter der Herrschaft des feudalen Systems nur kümmerlich ihr Leben fristen, daß die Bevölkerung sich vermindert, die Arbeitskräfte abnehmen, der Wohlstand schwindet und mancherlei sociale und sittliche Nothstände immer tiefer einwurzeln und eine immer weitere Verbreitung gewinnen. Die Negie¬ rung erkennt es daher für ihre Pflicht, bald hier bald da mit Reformanträgen vorzugehen. Da sie aber dabei von der Ansicht geleitet wird, daß unter allen Umständen die feudale Grundlage der Landesverfassung nicht aufgegeben werden dürfe und nur durch einige Erweiterung des Spielraums bureaukratischer Regierungskunst zu temperiren sei, so würde sie mit ihren Reformbestrebungen selbst dann, wenn sie damit durchzuringen vermöchte, nichts Gedeihliches schaffen oder doch höchstens die Bahn ebnen, um zu etwas Besserem zu gelangen. Die Stände aber wissen sehr wohl, daß jede tiefer greifende sociale Reform mit den feudalen Institutionen in Conflict treten und deren Bestand erschüttern muß. Sie haben nur einmal, unter ganz besonderen Einflüssen, deren Natur noch immer nicht ganz aufgeklärt ist, und von der Regierung überrumpelt, sich eine Reform gefallen lassen, welche der Ritterschaft überdies durch manche materielle Gmizl'oder I. 180». - 21

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/175>, abgerufen am 21.12.2024.