Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Rheinpreußische Parteizustände. Wirrer und weniger einfach als im östlichen Preußen liegen im westlichen Die Verhinderung des rheinischen Abgeordnetenfestes hat allerdings das Herrn Classen-Kappelmanns Persönlichkeit verdient ohne Zweifel die Po¬ Grenzboten III. 186S. 46
Rheinpreußische Parteizustände. Wirrer und weniger einfach als im östlichen Preußen liegen im westlichen Die Verhinderung des rheinischen Abgeordnetenfestes hat allerdings das Herrn Classen-Kappelmanns Persönlichkeit verdient ohne Zweifel die Po¬ Grenzboten III. 186S. 46
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283696"/> </div> <div n="1"> <head> Rheinpreußische Parteizustände.</head><lb/> <p xml:id="ID_966"> Wirrer und weniger einfach als im östlichen Preußen liegen im westlichen<lb/> die Parteiverhältnisse. Wenn der „Junker" fehlt, so tritt der „Pfaffe" in beiderlei<lb/> Gestalt, katholischer und evangelischer, desto anspruchsvoller auf. Dazu kommt<lb/> die stärkere, an Frankreichs und Belgiens Nähe gemahnende Ausbildung der<lb/> gesellschaftlichen Unterschiede und Gegensätze, die es bekanntlich so mit sich ge¬<lb/> bracht hat, daß hier von jeher die eigentliche Brutstätte des deutschen Socialismus<lb/> gewesen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_967"> Die Verhinderung des rheinischen Abgeordnetenfestes hat allerdings das<lb/> Ihrige dazu gethan, die übergroße Mannigfaltigkeit für den Augenblick wieder<lb/> etwas einzuschränken. Ein eigenwilliger, die Regierungspolitik kreuzender Act<lb/> des Hofes ohne alle vernünftige Berechnung, hat sie die einzelnen Schattirungen<lb/> des Liberalismus einander aufs neue genähert. Sie schließt die Epoche ab,<lb/> während welcher die militärisch-diplomatischen Erfolge der Regierung auf die<lb/> 'Oppositionsstimmung der Massen mildernd einwirkten, und knüpft für das öffent¬<lb/> liche Bewußtsein die Gegenwart und nächste Zukunft wieder an jene Vergangen¬<lb/> heit an, in welcher der Kampf wider die Reaction das vornehmste politische In¬<lb/> teresse des Tages war. Insofern hat der Hof der liberalen Partei die gün¬<lb/> stigste Gelegenheit verschafft, sich durch eine wirksame Organisation zu Wider¬<lb/> stand und Angriff in die beste Verfassung zu setzen. Aber freilich, was wenig¬<lb/> stens Rheinpreußen angeht, so hat die Gewaltmaßregel gegen das Abgeordneten¬<lb/> fest zugleich eine Frciction der liberalen Partei in den Vordergrund gezogen,<lb/> welche schwerlich berufen erscheint, dem gesammten rheinpreußischen Liberalismus<lb/> leitend voranzumarschiren.</p><lb/> <p xml:id="ID_968" next="#ID_969"> Herrn Classen-Kappelmanns Persönlichkeit verdient ohne Zweifel die Po¬<lb/> pularität, welche die wetteifernden Bemühungen eifriger Freunde und unver¬<lb/> ständiger Gegner ihm neuestens verschafft haben. Seine thätige Nächstenliebe,<lb/> seine Hingebung an das öffentliche Wohl, seine aufgeklärte Denkungsart und<lb/> sein praktischer Sinn, die Lauterkeit und Uneigennützigkeit seiner Beweggründe<lb/> haben bisher weder von klerikalen, noch von reactionären, noch von aristokra¬<lb/> tisch-liberalen Gegnern mit Wirkung angefochten werden können. Niemand kann</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 186S. 46</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0343]
Rheinpreußische Parteizustände.
Wirrer und weniger einfach als im östlichen Preußen liegen im westlichen
die Parteiverhältnisse. Wenn der „Junker" fehlt, so tritt der „Pfaffe" in beiderlei
Gestalt, katholischer und evangelischer, desto anspruchsvoller auf. Dazu kommt
die stärkere, an Frankreichs und Belgiens Nähe gemahnende Ausbildung der
gesellschaftlichen Unterschiede und Gegensätze, die es bekanntlich so mit sich ge¬
bracht hat, daß hier von jeher die eigentliche Brutstätte des deutschen Socialismus
gewesen ist.
Die Verhinderung des rheinischen Abgeordnetenfestes hat allerdings das
Ihrige dazu gethan, die übergroße Mannigfaltigkeit für den Augenblick wieder
etwas einzuschränken. Ein eigenwilliger, die Regierungspolitik kreuzender Act
des Hofes ohne alle vernünftige Berechnung, hat sie die einzelnen Schattirungen
des Liberalismus einander aufs neue genähert. Sie schließt die Epoche ab,
während welcher die militärisch-diplomatischen Erfolge der Regierung auf die
'Oppositionsstimmung der Massen mildernd einwirkten, und knüpft für das öffent¬
liche Bewußtsein die Gegenwart und nächste Zukunft wieder an jene Vergangen¬
heit an, in welcher der Kampf wider die Reaction das vornehmste politische In¬
teresse des Tages war. Insofern hat der Hof der liberalen Partei die gün¬
stigste Gelegenheit verschafft, sich durch eine wirksame Organisation zu Wider¬
stand und Angriff in die beste Verfassung zu setzen. Aber freilich, was wenig¬
stens Rheinpreußen angeht, so hat die Gewaltmaßregel gegen das Abgeordneten¬
fest zugleich eine Frciction der liberalen Partei in den Vordergrund gezogen,
welche schwerlich berufen erscheint, dem gesammten rheinpreußischen Liberalismus
leitend voranzumarschiren.
Herrn Classen-Kappelmanns Persönlichkeit verdient ohne Zweifel die Po¬
pularität, welche die wetteifernden Bemühungen eifriger Freunde und unver¬
ständiger Gegner ihm neuestens verschafft haben. Seine thätige Nächstenliebe,
seine Hingebung an das öffentliche Wohl, seine aufgeklärte Denkungsart und
sein praktischer Sinn, die Lauterkeit und Uneigennützigkeit seiner Beweggründe
haben bisher weder von klerikalen, noch von reactionären, noch von aristokra¬
tisch-liberalen Gegnern mit Wirkung angefochten werden können. Niemand kann
Grenzboten III. 186S. 46
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |