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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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finanziellen und volkswirthschaftlichen Ltenntnisse, wie durch seinen unabhängigen
Charakter, den er während der Neactionsjahre zu erproben Gelegenheit fand,
gleich ausgezeichneter Mann. Waren die politischen Kreise Stuttgarts in den
letzten Wochen ganz von dieser Episode in Anspruch genommen, so ist zu er¬
warten, daß sie sich -- gekräftigt zugleich durch den Sieg der liberalen Sache
-- mit größerer Energie als bisher der allgemeinen vaterländischen Sache zu¬
w ^. enden werden.




England und die Meswig-Holstewische Frage.

Die Gefahr einer thatsächlichen Einmischung Englands in die Schleswig-holstei¬
nische Angelegenheit ist vorläufig beseitigt. Palmerston war zu einer solchen ent¬
schlossen, aber seine Absichten wurden vereitelt. Die Königin wandte sich an Lord
Derby, die Tories faßten unmittelbar vor Eröffnung des Parlaments den Beschluß,
dem Cabinet die Mittel zur Unterstützung Dänemarks gegen Deutschland zu ver¬
weigern, und so mußte der Premier nothgedrungen seine Neigung unterdrücken.

Indeß hatte die Lage der Dinge in den Stunden vor und nach Eröffnung
des Parlaments noch immer ihr Bedenkliches. Der Entwurf zur Thronrede enthielt
einen gegen Deutschland gerichteten Passus, und dieser wurde zwar im letzten Mo¬
ment gestrichen, aber die Lücke, die dadurch entstand, lag so offen und bloß vor
aller Augen da, daß man sie auf den ersten Blick gewahr werden mußte, und daß
infolge dessen sich allerlei Gerüchte verbreiteten, von denen das am sichersten auf¬
tretende seinen Gegenstand in den höchsten Sphären hatte.

Das Wahre an diesen Gerüchten war Folgendes. Erstens kannten die Minister
die Absicht der Tories und dann sahen sie sich in der Erwartung betrogen, der eng¬
lische Gesandte in Berlin werde dort noch eine Wendung in ihrem Sinne, wenig¬
stens eine neue Frist zum Besinnen für Däunemark durchzusetzen im Stande sein.
An Tage vor Eröffnung des Parlaments wartete Russell von Stunde zu Stunde
aus solche Kunde. Am Abend aber erhielt er die ziemlich unzweideutige Erklärung
Bismarcks, daß Preußen sich, wenn der Krieg ausgebrochen sei, nicht mehr an das
londoner Protokoll gebunden halten werde, und jetzt sich durch drohende Worte ge¬
gen Deutschland zum Einschreiten für Dänemark zu verpflichten, mußte sehr bedenk¬
lich und um so bedenklicher erscheinen, als man die Erklärung der Tories zu fürch¬
ten hatte. Der gedachte Passus wurde infolge dessen ausgemerzt.

Zu derselben Zeit aber sandte Palmerston der "Times" einen Artikel ein, in
dem es unter andern Vorwürfen gegen Preußen und Oestreich hieß - noch im letzten
Augenblick habe England den deutschen Mächte" "verbürgen" wollen, daß Däne¬
mark ihren Forderungen auf Rücknahme der Novcmbervcrfasfung nachkommen
werde; aber selbst dieses äußerste Zugeständnis) sei vergeblich gewesen. Dieser Artikel
hatte den Zweck, die Herren, welche im Parlament für Deutschland sprechen wollten,
irre zu machen, und dies gelang wirklich, wenigstens theilweise, doch ohne besondern


finanziellen und volkswirthschaftlichen Ltenntnisse, wie durch seinen unabhängigen
Charakter, den er während der Neactionsjahre zu erproben Gelegenheit fand,
gleich ausgezeichneter Mann. Waren die politischen Kreise Stuttgarts in den
letzten Wochen ganz von dieser Episode in Anspruch genommen, so ist zu er¬
warten, daß sie sich — gekräftigt zugleich durch den Sieg der liberalen Sache
— mit größerer Energie als bisher der allgemeinen vaterländischen Sache zu¬
w ^. enden werden.




England und die Meswig-Holstewische Frage.

Die Gefahr einer thatsächlichen Einmischung Englands in die Schleswig-holstei¬
nische Angelegenheit ist vorläufig beseitigt. Palmerston war zu einer solchen ent¬
schlossen, aber seine Absichten wurden vereitelt. Die Königin wandte sich an Lord
Derby, die Tories faßten unmittelbar vor Eröffnung des Parlaments den Beschluß,
dem Cabinet die Mittel zur Unterstützung Dänemarks gegen Deutschland zu ver¬
weigern, und so mußte der Premier nothgedrungen seine Neigung unterdrücken.

Indeß hatte die Lage der Dinge in den Stunden vor und nach Eröffnung
des Parlaments noch immer ihr Bedenkliches. Der Entwurf zur Thronrede enthielt
einen gegen Deutschland gerichteten Passus, und dieser wurde zwar im letzten Mo¬
ment gestrichen, aber die Lücke, die dadurch entstand, lag so offen und bloß vor
aller Augen da, daß man sie auf den ersten Blick gewahr werden mußte, und daß
infolge dessen sich allerlei Gerüchte verbreiteten, von denen das am sichersten auf¬
tretende seinen Gegenstand in den höchsten Sphären hatte.

Das Wahre an diesen Gerüchten war Folgendes. Erstens kannten die Minister
die Absicht der Tories und dann sahen sie sich in der Erwartung betrogen, der eng¬
lische Gesandte in Berlin werde dort noch eine Wendung in ihrem Sinne, wenig¬
stens eine neue Frist zum Besinnen für Däunemark durchzusetzen im Stande sein.
An Tage vor Eröffnung des Parlaments wartete Russell von Stunde zu Stunde
aus solche Kunde. Am Abend aber erhielt er die ziemlich unzweideutige Erklärung
Bismarcks, daß Preußen sich, wenn der Krieg ausgebrochen sei, nicht mehr an das
londoner Protokoll gebunden halten werde, und jetzt sich durch drohende Worte ge¬
gen Deutschland zum Einschreiten für Dänemark zu verpflichten, mußte sehr bedenk¬
lich und um so bedenklicher erscheinen, als man die Erklärung der Tories zu fürch¬
ten hatte. Der gedachte Passus wurde infolge dessen ausgemerzt.

Zu derselben Zeit aber sandte Palmerston der „Times" einen Artikel ein, in
dem es unter andern Vorwürfen gegen Preußen und Oestreich hieß - noch im letzten
Augenblick habe England den deutschen Mächte» „verbürgen" wollen, daß Däne¬
mark ihren Forderungen auf Rücknahme der Novcmbervcrfasfung nachkommen
werde; aber selbst dieses äußerste Zugeständnis) sei vergeblich gewesen. Dieser Artikel
hatte den Zweck, die Herren, welche im Parlament für Deutschland sprechen wollten,
irre zu machen, und dies gelang wirklich, wenigstens theilweise, doch ohne besondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/332>, abgerufen am 24.07.2024.