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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Von der polnischen Grenze.

"Du hasts erreicht, Octavio!" -- Die so lange geschlossenen Thore des
hohen Hauses haben sich endlich dem begeisterten Philanthropen von Lissa ge¬
öffnet, und bald wird die Welt von dem Ruhme des Mannes erfüllt sein, der
durch seine Thätigkeit als Abgeordneter zwei große edle Nationen versöhnen
und seine Vaterstadt mit einer Hochschule zieren will. Ehrfurchtsvoll rauschen
die grünen Blätter bei jeder Bewegung des neuen Tribunen.

Uebrigens konnten die Polen wohl großmüthig sein und dem guten Doc-
tor Metzig ein Plätzchen im Unterhause gönnen, denn die Wahlen sind dies¬
mal für sie günstiger gewesen als je. Und sie sind dabei nicht ohne Verdienst.
Mit musterhafter Disciplin haben sie zusammengehalten, mit großer Gewandt¬
heit den Riß benutzt, den die extremen Männer beider Parteien in die deutsche
Bevölkerung gebracht haben, mit ungeheurer Geschmeidigkeit sich jedem Com-
promiß, zu dem sich die Feudalen oder die Liberalen boten, geneigt bewiesen,
und von Streit und Eifersucht der zusammengelegten Kreise war vollends keine
Rede. Der trotoschiner Kreis wählte Herrn v. Nicgolewski wieder, obgleich er
recht wohl weiß, daß derselbe sein voriges Mandat nicht wahrgenommen und
in diesem Jahre keine Aussicht hat, es annehmen zu können, ja, obgleich er
erwarten durfte, daß sein Mandatar ihm, wie früher, der Sprachenfrage we¬
gen, die Mühe einer zweiten Wahl auflegen würde. Und ebenso stimmten die
500 Wähler der Kreise Sabrina, Schroda, Wreschen für die Herren Bcnt-
kowski, Guttry und Graf Dzialynski, denen als Flüchtlingen ihre Wahl nicht
einmal insinuirt werden kann. Ich könnte Ihnen allerdings auch von den
wohlbekannten Manövrcs erzählen, welche von der polnischen Partei wieder an¬
gewendet wurden. Da stimmt ein fünfzehnjähriger Knabe frisch weg unter der
Menge mit; gefragt, warum er das thue, erwiedert er oM (für den Vater)
Dort erscheint ein stocktauber Mann, unter sichtbarer Heiterkeit der Wähler¬
versammlung vergeblich bemüht, die Namen wiederzugeben, die ihm, auf
zwanzig Schritte hörbar, von den Seinen zugerufen werden. Alte, unfähige
Beamte, welche die unermüdliche Geduld ihrer deutschen Vorgesetzten nur noch
im Amte erhält und in der Arbeit überträgt, weil sie Polen sind, stimmen immer
Polnisch oder verzetteln ihre Stimmen. Der liebenswürdige Geistliche, der erst
Judiths That seiner christlichen Zuhörerschaft empfahl und dann plötzlich devot
wurde, um eine königliche Patrvnatsstelle zu erreichen, präsentirt sich wieder
als Wahlmann und stimmt für den Herrn Grafen v. Dzialynski und Genossen.


Von der polnischen Grenze.

„Du hasts erreicht, Octavio!" — Die so lange geschlossenen Thore des
hohen Hauses haben sich endlich dem begeisterten Philanthropen von Lissa ge¬
öffnet, und bald wird die Welt von dem Ruhme des Mannes erfüllt sein, der
durch seine Thätigkeit als Abgeordneter zwei große edle Nationen versöhnen
und seine Vaterstadt mit einer Hochschule zieren will. Ehrfurchtsvoll rauschen
die grünen Blätter bei jeder Bewegung des neuen Tribunen.

Uebrigens konnten die Polen wohl großmüthig sein und dem guten Doc-
tor Metzig ein Plätzchen im Unterhause gönnen, denn die Wahlen sind dies¬
mal für sie günstiger gewesen als je. Und sie sind dabei nicht ohne Verdienst.
Mit musterhafter Disciplin haben sie zusammengehalten, mit großer Gewandt¬
heit den Riß benutzt, den die extremen Männer beider Parteien in die deutsche
Bevölkerung gebracht haben, mit ungeheurer Geschmeidigkeit sich jedem Com-
promiß, zu dem sich die Feudalen oder die Liberalen boten, geneigt bewiesen,
und von Streit und Eifersucht der zusammengelegten Kreise war vollends keine
Rede. Der trotoschiner Kreis wählte Herrn v. Nicgolewski wieder, obgleich er
recht wohl weiß, daß derselbe sein voriges Mandat nicht wahrgenommen und
in diesem Jahre keine Aussicht hat, es annehmen zu können, ja, obgleich er
erwarten durfte, daß sein Mandatar ihm, wie früher, der Sprachenfrage we¬
gen, die Mühe einer zweiten Wahl auflegen würde. Und ebenso stimmten die
500 Wähler der Kreise Sabrina, Schroda, Wreschen für die Herren Bcnt-
kowski, Guttry und Graf Dzialynski, denen als Flüchtlingen ihre Wahl nicht
einmal insinuirt werden kann. Ich könnte Ihnen allerdings auch von den
wohlbekannten Manövrcs erzählen, welche von der polnischen Partei wieder an¬
gewendet wurden. Da stimmt ein fünfzehnjähriger Knabe frisch weg unter der
Menge mit; gefragt, warum er das thue, erwiedert er oM (für den Vater)
Dort erscheint ein stocktauber Mann, unter sichtbarer Heiterkeit der Wähler¬
versammlung vergeblich bemüht, die Namen wiederzugeben, die ihm, auf
zwanzig Schritte hörbar, von den Seinen zugerufen werden. Alte, unfähige
Beamte, welche die unermüdliche Geduld ihrer deutschen Vorgesetzten nur noch
im Amte erhält und in der Arbeit überträgt, weil sie Polen sind, stimmen immer
Polnisch oder verzetteln ihre Stimmen. Der liebenswürdige Geistliche, der erst
Judiths That seiner christlichen Zuhörerschaft empfahl und dann plötzlich devot
wurde, um eine königliche Patrvnatsstelle zu erreichen, präsentirt sich wieder
als Wahlmann und stimmt für den Herrn Grafen v. Dzialynski und Genossen.


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[0455] Von der polnischen Grenze. „Du hasts erreicht, Octavio!" — Die so lange geschlossenen Thore des hohen Hauses haben sich endlich dem begeisterten Philanthropen von Lissa ge¬ öffnet, und bald wird die Welt von dem Ruhme des Mannes erfüllt sein, der durch seine Thätigkeit als Abgeordneter zwei große edle Nationen versöhnen und seine Vaterstadt mit einer Hochschule zieren will. Ehrfurchtsvoll rauschen die grünen Blätter bei jeder Bewegung des neuen Tribunen. Uebrigens konnten die Polen wohl großmüthig sein und dem guten Doc- tor Metzig ein Plätzchen im Unterhause gönnen, denn die Wahlen sind dies¬ mal für sie günstiger gewesen als je. Und sie sind dabei nicht ohne Verdienst. Mit musterhafter Disciplin haben sie zusammengehalten, mit großer Gewandt¬ heit den Riß benutzt, den die extremen Männer beider Parteien in die deutsche Bevölkerung gebracht haben, mit ungeheurer Geschmeidigkeit sich jedem Com- promiß, zu dem sich die Feudalen oder die Liberalen boten, geneigt bewiesen, und von Streit und Eifersucht der zusammengelegten Kreise war vollends keine Rede. Der trotoschiner Kreis wählte Herrn v. Nicgolewski wieder, obgleich er recht wohl weiß, daß derselbe sein voriges Mandat nicht wahrgenommen und in diesem Jahre keine Aussicht hat, es annehmen zu können, ja, obgleich er erwarten durfte, daß sein Mandatar ihm, wie früher, der Sprachenfrage we¬ gen, die Mühe einer zweiten Wahl auflegen würde. Und ebenso stimmten die 500 Wähler der Kreise Sabrina, Schroda, Wreschen für die Herren Bcnt- kowski, Guttry und Graf Dzialynski, denen als Flüchtlingen ihre Wahl nicht einmal insinuirt werden kann. Ich könnte Ihnen allerdings auch von den wohlbekannten Manövrcs erzählen, welche von der polnischen Partei wieder an¬ gewendet wurden. Da stimmt ein fünfzehnjähriger Knabe frisch weg unter der Menge mit; gefragt, warum er das thue, erwiedert er oM (für den Vater) Dort erscheint ein stocktauber Mann, unter sichtbarer Heiterkeit der Wähler¬ versammlung vergeblich bemüht, die Namen wiederzugeben, die ihm, auf zwanzig Schritte hörbar, von den Seinen zugerufen werden. Alte, unfähige Beamte, welche die unermüdliche Geduld ihrer deutschen Vorgesetzten nur noch im Amte erhält und in der Arbeit überträgt, weil sie Polen sind, stimmen immer Polnisch oder verzetteln ihre Stimmen. Der liebenswürdige Geistliche, der erst Judiths That seiner christlichen Zuhörerschaft empfahl und dann plötzlich devot wurde, um eine königliche Patrvnatsstelle zu erreichen, präsentirt sich wieder als Wahlmann und stimmt für den Herrn Grafen v. Dzialynski und Genossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/455>, abgerufen am 15.01.2025.