Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die RlUlMilsler.
Ein geistlicher Orden im preußischen Staatsdienst.

Die charakteristischen Merkmale eines geistlichen Ordens sind: Gegensatz
gegen das, was die Kirche "Welt" nennt, Leben nach bestimmter vom Stifter
entworfener Regel, hierarchische Gliederung und unbedingter Gehorsam der
Mitglieder gegen die Obern. Was man sonst noch anführen mag, ist nicht
unerläßliches Erfordernis am wenigsten ist dieß die Ehelosigkeit; denn es gab
und gibt bekanntlich verheirathete Jesuiten.

Vergleichen wir mit diesen Elementen zu einer Definition die Mitthei¬
lungen, welche uns Dr. v. Holzendorff soeben in Betreff der Brüder des
Rauben Hauses gemacht hat*), so kann kaum ein Zweisel darüber obwalten,
daß diese Genossenschaft unter den Begriff eines geistlichen Ordens fällt.

Das Rauhe Haus zu Horn bei Hamburg war ursprünglich eine Anstalt
zur Rettung verwahrloster Kinder und zur Besserung jugendlicher Verbrecher.
Aber aus den Arbeitern, die hierbei verwendet wurden, entwickelte sich allmä-
lig durch den Unternehmungsgeist und das Organisationstalent Dr. Wieherns.
des Stifters, ein über ganz Deutschland verbreiteter Verein, welcher, Studirte
und Unstudirte umfassend, die Zwecke des Mutterhauses im Großen erstrebt.
Nach dreijährigem Cursus in letzterem gehen die "Brüder" in die Welt, um
entweder als Geistliche oder als weltliche Subalternbeamte: Hausverwalter in
Armen- und Krankenhäusern, Aufseher in Waisenhäusern und Strafanstalten,
Schullehrer. Werkmeister u. s. w. der "innern Mission" zu dienen. Die im
Mutterhaus wirkenden heißen "Hausbrüder", die in die Welt entlassenen
"Sendbrüder", die in freierer Weise der Genossenschaft "Wirten "Freibrüder".
Alle aber bilden ein fest geschlossenes, nach gemeinsamer Regel lebendes,
gemeinsamen Zielen zugekehrtes, dem Willen des im Mittelpunkt stehenden
Führers und Meisters gehorchendes, von ihm in den wichtigsten Beziehungen
abhängiges Ganze. 1846 wollte man nur ein "Seminar für die innere Mis¬
sion unter deutschen Protestanten" sein. 1855 war daraus schon eine "bleibende
Verbindung", ein "Bruderbund" geworden. 1858 hatte sich hieraus durch
weitere Verengerung der die Glieder des Vereins zusammenhaltenden Bande
eine "Familie" entwickelt, von der es in den Statuten heißt: "Wir stehen
jeder für sich und jeder für alle und alle für jeden in einer Familie zusam¬
men, in der jeder Gott dient, alle aber als Genossen des königlichen Priester¬
volkes sich bewußt sind."



') Die Brüderschaft des Rauben Hauses, ein protestantischer Orden im Staatsdienst. Aus
bisher unbekannten Papieren durgestellt. Berlin, 1S61. Lüderitzsche Buchhandlung.
Die RlUlMilsler.
Ein geistlicher Orden im preußischen Staatsdienst.

Die charakteristischen Merkmale eines geistlichen Ordens sind: Gegensatz
gegen das, was die Kirche „Welt" nennt, Leben nach bestimmter vom Stifter
entworfener Regel, hierarchische Gliederung und unbedingter Gehorsam der
Mitglieder gegen die Obern. Was man sonst noch anführen mag, ist nicht
unerläßliches Erfordernis am wenigsten ist dieß die Ehelosigkeit; denn es gab
und gibt bekanntlich verheirathete Jesuiten.

Vergleichen wir mit diesen Elementen zu einer Definition die Mitthei¬
lungen, welche uns Dr. v. Holzendorff soeben in Betreff der Brüder des
Rauben Hauses gemacht hat*), so kann kaum ein Zweisel darüber obwalten,
daß diese Genossenschaft unter den Begriff eines geistlichen Ordens fällt.

Das Rauhe Haus zu Horn bei Hamburg war ursprünglich eine Anstalt
zur Rettung verwahrloster Kinder und zur Besserung jugendlicher Verbrecher.
Aber aus den Arbeitern, die hierbei verwendet wurden, entwickelte sich allmä-
lig durch den Unternehmungsgeist und das Organisationstalent Dr. Wieherns.
des Stifters, ein über ganz Deutschland verbreiteter Verein, welcher, Studirte
und Unstudirte umfassend, die Zwecke des Mutterhauses im Großen erstrebt.
Nach dreijährigem Cursus in letzterem gehen die „Brüder" in die Welt, um
entweder als Geistliche oder als weltliche Subalternbeamte: Hausverwalter in
Armen- und Krankenhäusern, Aufseher in Waisenhäusern und Strafanstalten,
Schullehrer. Werkmeister u. s. w. der „innern Mission" zu dienen. Die im
Mutterhaus wirkenden heißen „Hausbrüder", die in die Welt entlassenen
„Sendbrüder", die in freierer Weise der Genossenschaft «Wirten „Freibrüder".
Alle aber bilden ein fest geschlossenes, nach gemeinsamer Regel lebendes,
gemeinsamen Zielen zugekehrtes, dem Willen des im Mittelpunkt stehenden
Führers und Meisters gehorchendes, von ihm in den wichtigsten Beziehungen
abhängiges Ganze. 1846 wollte man nur ein „Seminar für die innere Mis¬
sion unter deutschen Protestanten" sein. 1855 war daraus schon eine „bleibende
Verbindung", ein „Bruderbund" geworden. 1858 hatte sich hieraus durch
weitere Verengerung der die Glieder des Vereins zusammenhaltenden Bande
eine „Familie" entwickelt, von der es in den Statuten heißt: „Wir stehen
jeder für sich und jeder für alle und alle für jeden in einer Familie zusam¬
men, in der jeder Gott dient, alle aber als Genossen des königlichen Priester¬
volkes sich bewußt sind."



') Die Brüderschaft des Rauben Hauses, ein protestantischer Orden im Staatsdienst. Aus
bisher unbekannten Papieren durgestellt. Berlin, 1S61. Lüderitzsche Buchhandlung.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112066"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die RlUlMilsler.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Ein geistlicher Orden im preußischen Staatsdienst.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_329"> Die charakteristischen Merkmale eines geistlichen Ordens sind: Gegensatz<lb/>
gegen das, was die Kirche &#x201E;Welt" nennt, Leben nach bestimmter vom Stifter<lb/>
entworfener Regel, hierarchische Gliederung und unbedingter Gehorsam der<lb/>
Mitglieder gegen die Obern. Was man sonst noch anführen mag, ist nicht<lb/>
unerläßliches Erfordernis am wenigsten ist dieß die Ehelosigkeit; denn es gab<lb/>
und gibt bekanntlich verheirathete Jesuiten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_330"> Vergleichen wir mit diesen Elementen zu einer Definition die Mitthei¬<lb/>
lungen, welche uns Dr. v. Holzendorff soeben in Betreff der Brüder des<lb/>
Rauben Hauses gemacht hat*), so kann kaum ein Zweisel darüber obwalten,<lb/>
daß diese Genossenschaft unter den Begriff eines geistlichen Ordens fällt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_331"> Das Rauhe Haus zu Horn bei Hamburg war ursprünglich eine Anstalt<lb/>
zur Rettung verwahrloster Kinder und zur Besserung jugendlicher Verbrecher.<lb/>
Aber aus den Arbeitern, die hierbei verwendet wurden, entwickelte sich allmä-<lb/>
lig durch den Unternehmungsgeist und das Organisationstalent Dr. Wieherns.<lb/>
des Stifters, ein über ganz Deutschland verbreiteter Verein, welcher, Studirte<lb/>
und Unstudirte umfassend, die Zwecke des Mutterhauses im Großen erstrebt.<lb/>
Nach dreijährigem Cursus in letzterem gehen die &#x201E;Brüder" in die Welt, um<lb/>
entweder als Geistliche oder als weltliche Subalternbeamte: Hausverwalter in<lb/>
Armen- und Krankenhäusern, Aufseher in Waisenhäusern und Strafanstalten,<lb/>
Schullehrer. Werkmeister u. s. w. der &#x201E;innern Mission" zu dienen. Die im<lb/>
Mutterhaus wirkenden heißen &#x201E;Hausbrüder", die in die Welt entlassenen<lb/>
&#x201E;Sendbrüder", die in freierer Weise der Genossenschaft «Wirten &#x201E;Freibrüder".<lb/>
Alle aber bilden ein fest geschlossenes, nach gemeinsamer Regel lebendes,<lb/>
gemeinsamen Zielen zugekehrtes, dem Willen des im Mittelpunkt stehenden<lb/>
Führers und Meisters gehorchendes, von ihm in den wichtigsten Beziehungen<lb/>
abhängiges Ganze. 1846 wollte man nur ein &#x201E;Seminar für die innere Mis¬<lb/>
sion unter deutschen Protestanten" sein. 1855 war daraus schon eine &#x201E;bleibende<lb/>
Verbindung", ein &#x201E;Bruderbund" geworden. 1858 hatte sich hieraus durch<lb/>
weitere Verengerung der die Glieder des Vereins zusammenhaltenden Bande<lb/>
eine &#x201E;Familie" entwickelt, von der es in den Statuten heißt: &#x201E;Wir stehen<lb/>
jeder für sich und jeder für alle und alle für jeden in einer Familie zusam¬<lb/>
men, in der jeder Gott dient, alle aber als Genossen des königlichen Priester¬<lb/>
volkes sich bewußt sind."</p><lb/>
            <note xml:id="FID_15" place="foot"> ') Die Brüderschaft des Rauben Hauses, ein protestantischer Orden im Staatsdienst. Aus<lb/>
bisher unbekannten Papieren durgestellt. Berlin, 1S61.  Lüderitzsche Buchhandlung.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] Die RlUlMilsler. Ein geistlicher Orden im preußischen Staatsdienst. Die charakteristischen Merkmale eines geistlichen Ordens sind: Gegensatz gegen das, was die Kirche „Welt" nennt, Leben nach bestimmter vom Stifter entworfener Regel, hierarchische Gliederung und unbedingter Gehorsam der Mitglieder gegen die Obern. Was man sonst noch anführen mag, ist nicht unerläßliches Erfordernis am wenigsten ist dieß die Ehelosigkeit; denn es gab und gibt bekanntlich verheirathete Jesuiten. Vergleichen wir mit diesen Elementen zu einer Definition die Mitthei¬ lungen, welche uns Dr. v. Holzendorff soeben in Betreff der Brüder des Rauben Hauses gemacht hat*), so kann kaum ein Zweisel darüber obwalten, daß diese Genossenschaft unter den Begriff eines geistlichen Ordens fällt. Das Rauhe Haus zu Horn bei Hamburg war ursprünglich eine Anstalt zur Rettung verwahrloster Kinder und zur Besserung jugendlicher Verbrecher. Aber aus den Arbeitern, die hierbei verwendet wurden, entwickelte sich allmä- lig durch den Unternehmungsgeist und das Organisationstalent Dr. Wieherns. des Stifters, ein über ganz Deutschland verbreiteter Verein, welcher, Studirte und Unstudirte umfassend, die Zwecke des Mutterhauses im Großen erstrebt. Nach dreijährigem Cursus in letzterem gehen die „Brüder" in die Welt, um entweder als Geistliche oder als weltliche Subalternbeamte: Hausverwalter in Armen- und Krankenhäusern, Aufseher in Waisenhäusern und Strafanstalten, Schullehrer. Werkmeister u. s. w. der „innern Mission" zu dienen. Die im Mutterhaus wirkenden heißen „Hausbrüder", die in die Welt entlassenen „Sendbrüder", die in freierer Weise der Genossenschaft «Wirten „Freibrüder". Alle aber bilden ein fest geschlossenes, nach gemeinsamer Regel lebendes, gemeinsamen Zielen zugekehrtes, dem Willen des im Mittelpunkt stehenden Führers und Meisters gehorchendes, von ihm in den wichtigsten Beziehungen abhängiges Ganze. 1846 wollte man nur ein „Seminar für die innere Mis¬ sion unter deutschen Protestanten" sein. 1855 war daraus schon eine „bleibende Verbindung", ein „Bruderbund" geworden. 1858 hatte sich hieraus durch weitere Verengerung der die Glieder des Vereins zusammenhaltenden Bande eine „Familie" entwickelt, von der es in den Statuten heißt: „Wir stehen jeder für sich und jeder für alle und alle für jeden in einer Familie zusam¬ men, in der jeder Gott dient, alle aber als Genossen des königlichen Priester¬ volkes sich bewußt sind." ') Die Brüderschaft des Rauben Hauses, ein protestantischer Orden im Staatsdienst. Aus bisher unbekannten Papieren durgestellt. Berlin, 1S61. Lüderitzsche Buchhandlung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/96>, abgerufen am 22.12.2024.