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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Die Heuglillsche Expedition nach Mittelafrika.

Wenn unter den Expeditionen, welche in den letzten Jahren zur Vervoll¬
ständigung des geographischen Wissens unternommen wurden, vorzüglich zwei
Gruppen das allgemeine Interesse auf sich zogen: die. welche die Aufsindung
der Durchfahrt zwischen dem großen transatlantischen Continent und den nord¬
westlichen Polarländern zum Ziel hatte, und die, welche von den geheimni߬
vollen Ländern Jnnerafrika's den Schleier zu lüften strebte, so erklärt sich das
zwar großentheils ans der hohen Wichtigkeit dieser Unternehmungen für die
Wissenschaft, kaum weniger aber auch daraus, daß sie in ihrem weitern Ver¬
lauf unser Gemüth in Anspruch nahmen. Hier in der kymmerischen Winter¬
nacht des hohen Nordens wie dort in der Glutregion zwischen den Quellen
des Nil und des Niger zeigte uns die Phantasie die hinter den gehobenen
Schleier verschwundenen Reisenden umgeben von stündlicher Todesgefahr.
Hier wie dort ein Taucher, der sich in eine Charybdis stürzte. Hier wie dort
in der ganzen Nation die höchste Spannung, ob er wiederkehren würde. Mit-
triumphiren. wenn er kam, Mittrauern und das Gefühl der Verpflichtung
ihn zu suchen, wenn er ausblieb.

Es war ein nationales Werk, als England Schiff auf Schiff absandte,
den verschollenen Franklin zu retten. Es war ein Fest für das ganze gebildete
Deutschland, als das Dunkel über Barths Schicksal sich aufhellte und der
Entdecker Binnenasnka's aus dem Sandmeer der großen Wüste wieder auf¬
tauchte. Es ward als'Verlust für das gesammte Volk empfunden, als die
Kunde eintraf, daß Vogel, der das Werk des Gefeierten vollenden sollte, ver¬
loren zu geben sei. Die Trauerbotschaft erwies sich bei näherer Prüfung als
bloße Wahrscheinlichkeit, es war möglich, daß der Verschollene noch das Licht
sah, und sofort erhoben sich Stimmen, die es für patriotische Pflicht erklärten,
nicht hinter England und seinem Bemühen um Franklin zurückzubleiben und
zu retten, was zu retten sei, wo nicht den Verschwundenen, doch die von ihm
gesammelten wissenschaftlichen Schätze. Ein Verein trat zusammen, das Werk
zu fördern, in einem vielversuchten Afrika-Reisenden wurde der rechte Mann
für die Leitung des Unternehmens gefunden, und nicht viele Wochen ver¬
gingen, so war durch freiwillige Beiträge, die von den verschiedensten Seiten
eingingen, eine Summe zusammengebracht, welche nicht nur den nächsten
Zweck, die Aufsuchung Vogels, zu erreichen gestattete, sondern genügte,


Die Heuglillsche Expedition nach Mittelafrika.

Wenn unter den Expeditionen, welche in den letzten Jahren zur Vervoll¬
ständigung des geographischen Wissens unternommen wurden, vorzüglich zwei
Gruppen das allgemeine Interesse auf sich zogen: die. welche die Aufsindung
der Durchfahrt zwischen dem großen transatlantischen Continent und den nord¬
westlichen Polarländern zum Ziel hatte, und die, welche von den geheimni߬
vollen Ländern Jnnerafrika's den Schleier zu lüften strebte, so erklärt sich das
zwar großentheils ans der hohen Wichtigkeit dieser Unternehmungen für die
Wissenschaft, kaum weniger aber auch daraus, daß sie in ihrem weitern Ver¬
lauf unser Gemüth in Anspruch nahmen. Hier in der kymmerischen Winter¬
nacht des hohen Nordens wie dort in der Glutregion zwischen den Quellen
des Nil und des Niger zeigte uns die Phantasie die hinter den gehobenen
Schleier verschwundenen Reisenden umgeben von stündlicher Todesgefahr.
Hier wie dort ein Taucher, der sich in eine Charybdis stürzte. Hier wie dort
in der ganzen Nation die höchste Spannung, ob er wiederkehren würde. Mit-
triumphiren. wenn er kam, Mittrauern und das Gefühl der Verpflichtung
ihn zu suchen, wenn er ausblieb.

Es war ein nationales Werk, als England Schiff auf Schiff absandte,
den verschollenen Franklin zu retten. Es war ein Fest für das ganze gebildete
Deutschland, als das Dunkel über Barths Schicksal sich aufhellte und der
Entdecker Binnenasnka's aus dem Sandmeer der großen Wüste wieder auf¬
tauchte. Es ward als'Verlust für das gesammte Volk empfunden, als die
Kunde eintraf, daß Vogel, der das Werk des Gefeierten vollenden sollte, ver¬
loren zu geben sei. Die Trauerbotschaft erwies sich bei näherer Prüfung als
bloße Wahrscheinlichkeit, es war möglich, daß der Verschollene noch das Licht
sah, und sofort erhoben sich Stimmen, die es für patriotische Pflicht erklärten,
nicht hinter England und seinem Bemühen um Franklin zurückzubleiben und
zu retten, was zu retten sei, wo nicht den Verschwundenen, doch die von ihm
gesammelten wissenschaftlichen Schätze. Ein Verein trat zusammen, das Werk
zu fördern, in einem vielversuchten Afrika-Reisenden wurde der rechte Mann
für die Leitung des Unternehmens gefunden, und nicht viele Wochen ver¬
gingen, so war durch freiwillige Beiträge, die von den verschiedensten Seiten
eingingen, eine Summe zusammengebracht, welche nicht nur den nächsten
Zweck, die Aufsuchung Vogels, zu erreichen gestattete, sondern genügte,


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[0174] Die Heuglillsche Expedition nach Mittelafrika. Wenn unter den Expeditionen, welche in den letzten Jahren zur Vervoll¬ ständigung des geographischen Wissens unternommen wurden, vorzüglich zwei Gruppen das allgemeine Interesse auf sich zogen: die. welche die Aufsindung der Durchfahrt zwischen dem großen transatlantischen Continent und den nord¬ westlichen Polarländern zum Ziel hatte, und die, welche von den geheimni߬ vollen Ländern Jnnerafrika's den Schleier zu lüften strebte, so erklärt sich das zwar großentheils ans der hohen Wichtigkeit dieser Unternehmungen für die Wissenschaft, kaum weniger aber auch daraus, daß sie in ihrem weitern Ver¬ lauf unser Gemüth in Anspruch nahmen. Hier in der kymmerischen Winter¬ nacht des hohen Nordens wie dort in der Glutregion zwischen den Quellen des Nil und des Niger zeigte uns die Phantasie die hinter den gehobenen Schleier verschwundenen Reisenden umgeben von stündlicher Todesgefahr. Hier wie dort ein Taucher, der sich in eine Charybdis stürzte. Hier wie dort in der ganzen Nation die höchste Spannung, ob er wiederkehren würde. Mit- triumphiren. wenn er kam, Mittrauern und das Gefühl der Verpflichtung ihn zu suchen, wenn er ausblieb. Es war ein nationales Werk, als England Schiff auf Schiff absandte, den verschollenen Franklin zu retten. Es war ein Fest für das ganze gebildete Deutschland, als das Dunkel über Barths Schicksal sich aufhellte und der Entdecker Binnenasnka's aus dem Sandmeer der großen Wüste wieder auf¬ tauchte. Es ward als'Verlust für das gesammte Volk empfunden, als die Kunde eintraf, daß Vogel, der das Werk des Gefeierten vollenden sollte, ver¬ loren zu geben sei. Die Trauerbotschaft erwies sich bei näherer Prüfung als bloße Wahrscheinlichkeit, es war möglich, daß der Verschollene noch das Licht sah, und sofort erhoben sich Stimmen, die es für patriotische Pflicht erklärten, nicht hinter England und seinem Bemühen um Franklin zurückzubleiben und zu retten, was zu retten sei, wo nicht den Verschwundenen, doch die von ihm gesammelten wissenschaftlichen Schätze. Ein Verein trat zusammen, das Werk zu fördern, in einem vielversuchten Afrika-Reisenden wurde der rechte Mann für die Leitung des Unternehmens gefunden, und nicht viele Wochen ver¬ gingen, so war durch freiwillige Beiträge, die von den verschiedensten Seiten eingingen, eine Summe zusammengebracht, welche nicht nur den nächsten Zweck, die Aufsuchung Vogels, zu erreichen gestattete, sondern genügte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/174>, abgerufen am 13.11.2024.