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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Die Binnenzölle im Zollverein.

Nach der Befreiung vom französischen Joch wandte das deutsche Volk
die jetzt ganz anders gebildeten und geschärften Augen auf seine inneren Ver¬
hältnisse. Nach Jahrhunderten eines leidentlichen Zustandes endlich einmal that¬
sächlich und selbständig ein maaßgebendes Gewicht in der großen europäischen
Politik ausübend, fühlte Deutschland jetzt doppelt, wie sehr es in der in¬
neren Entwicklung und Bewegung durch die aus dem Mittelalter und den fol¬
genden Jahrhunderten einer bemitleidenswerthen Zersplitterung und Ermattung
übernommenen Zustände und Einrichtungen. Gewohnheiten und Rechte behin¬
dert werde. Am empfindlichsten machte sich dieses auf dem Gebiete geltend,
wo jeder Einzelne jeden Augenblick mit den öffentlichen Formen und Verhält¬
nissen in Berührung kommen kann, auf dem Gebiete der Volkswirthschaft.
Der öffentliche Verkehr, die gesammte Bewegung und Wechselbeziehung aller
einzelnen Zweige der Wirthschaft litt grade am meisten noch unter den Fesseln
und Resten einer zu Grabe gegangenen Bildungsperiode, unter der Herrschaft
erstarrter Zollverhältnisse, welche selbst zur Zeit ihrer Entstehung kaum aus
wirthschaftlichem und staatlichem Bedürfniß, sondern vielmehr diesem schnur¬
stracks entgegen aus dem überwiegenden und einseitigen Interesse des einen
Reichsstandes hervorgegangen waren. Das Zollrecht war der Fürsten und
Reichsherren vornehmstes Mittel geworden, um vom öffentlichen Verkehr Geld¬
steuern zu erheben. Jeder von ihnen erkannte nur als seinen Vortheil, so
viele Zollstätten wie möglich überall zu besitzen, wo des Reiches öffentlicher
Verkehr sein Gebiet berührte, und beurtheilte und behandelte wenigstens in
den meisten Fällen nur von diesem Standpunkte aus den Handel und Wan¬
del des Volkes. So viele Herrschaften, so viele Zollbezirke lagerten im Reiche
"eben und gegen einander und alle hatten nicht nur an den Grenzorten son¬
dern kreuz und quer durch das ganze große oder kleine Gebiet Haupt- und Ne¬
benzollstätten, die jede Bewegung der Volkswirthschaft an die nächste Scholle
fesselten und sür sich allein schon erklärlich machen würden, wie das Reich vom
!6- bis zum 19. Jahrhundert so gänzlich von der Wirthschaft glücklicherer
Nachbarländer in Abhängigkeit gerathen konnte. Die Zeit minderte zwar d,ehe


Grenzboten III. 1S61.
Die Binnenzölle im Zollverein.

Nach der Befreiung vom französischen Joch wandte das deutsche Volk
die jetzt ganz anders gebildeten und geschärften Augen auf seine inneren Ver¬
hältnisse. Nach Jahrhunderten eines leidentlichen Zustandes endlich einmal that¬
sächlich und selbständig ein maaßgebendes Gewicht in der großen europäischen
Politik ausübend, fühlte Deutschland jetzt doppelt, wie sehr es in der in¬
neren Entwicklung und Bewegung durch die aus dem Mittelalter und den fol¬
genden Jahrhunderten einer bemitleidenswerthen Zersplitterung und Ermattung
übernommenen Zustände und Einrichtungen. Gewohnheiten und Rechte behin¬
dert werde. Am empfindlichsten machte sich dieses auf dem Gebiete geltend,
wo jeder Einzelne jeden Augenblick mit den öffentlichen Formen und Verhält¬
nissen in Berührung kommen kann, auf dem Gebiete der Volkswirthschaft.
Der öffentliche Verkehr, die gesammte Bewegung und Wechselbeziehung aller
einzelnen Zweige der Wirthschaft litt grade am meisten noch unter den Fesseln
und Resten einer zu Grabe gegangenen Bildungsperiode, unter der Herrschaft
erstarrter Zollverhältnisse, welche selbst zur Zeit ihrer Entstehung kaum aus
wirthschaftlichem und staatlichem Bedürfniß, sondern vielmehr diesem schnur¬
stracks entgegen aus dem überwiegenden und einseitigen Interesse des einen
Reichsstandes hervorgegangen waren. Das Zollrecht war der Fürsten und
Reichsherren vornehmstes Mittel geworden, um vom öffentlichen Verkehr Geld¬
steuern zu erheben. Jeder von ihnen erkannte nur als seinen Vortheil, so
viele Zollstätten wie möglich überall zu besitzen, wo des Reiches öffentlicher
Verkehr sein Gebiet berührte, und beurtheilte und behandelte wenigstens in
den meisten Fällen nur von diesem Standpunkte aus den Handel und Wan¬
del des Volkes. So viele Herrschaften, so viele Zollbezirke lagerten im Reiche
"eben und gegen einander und alle hatten nicht nur an den Grenzorten son¬
dern kreuz und quer durch das ganze große oder kleine Gebiet Haupt- und Ne¬
benzollstätten, die jede Bewegung der Volkswirthschaft an die nächste Scholle
fesselten und sür sich allein schon erklärlich machen würden, wie das Reich vom
!6- bis zum 19. Jahrhundert so gänzlich von der Wirthschaft glücklicherer
Nachbarländer in Abhängigkeit gerathen konnte. Die Zeit minderte zwar d,ehe


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[0131] Die Binnenzölle im Zollverein. Nach der Befreiung vom französischen Joch wandte das deutsche Volk die jetzt ganz anders gebildeten und geschärften Augen auf seine inneren Ver¬ hältnisse. Nach Jahrhunderten eines leidentlichen Zustandes endlich einmal that¬ sächlich und selbständig ein maaßgebendes Gewicht in der großen europäischen Politik ausübend, fühlte Deutschland jetzt doppelt, wie sehr es in der in¬ neren Entwicklung und Bewegung durch die aus dem Mittelalter und den fol¬ genden Jahrhunderten einer bemitleidenswerthen Zersplitterung und Ermattung übernommenen Zustände und Einrichtungen. Gewohnheiten und Rechte behin¬ dert werde. Am empfindlichsten machte sich dieses auf dem Gebiete geltend, wo jeder Einzelne jeden Augenblick mit den öffentlichen Formen und Verhält¬ nissen in Berührung kommen kann, auf dem Gebiete der Volkswirthschaft. Der öffentliche Verkehr, die gesammte Bewegung und Wechselbeziehung aller einzelnen Zweige der Wirthschaft litt grade am meisten noch unter den Fesseln und Resten einer zu Grabe gegangenen Bildungsperiode, unter der Herrschaft erstarrter Zollverhältnisse, welche selbst zur Zeit ihrer Entstehung kaum aus wirthschaftlichem und staatlichem Bedürfniß, sondern vielmehr diesem schnur¬ stracks entgegen aus dem überwiegenden und einseitigen Interesse des einen Reichsstandes hervorgegangen waren. Das Zollrecht war der Fürsten und Reichsherren vornehmstes Mittel geworden, um vom öffentlichen Verkehr Geld¬ steuern zu erheben. Jeder von ihnen erkannte nur als seinen Vortheil, so viele Zollstätten wie möglich überall zu besitzen, wo des Reiches öffentlicher Verkehr sein Gebiet berührte, und beurtheilte und behandelte wenigstens in den meisten Fällen nur von diesem Standpunkte aus den Handel und Wan¬ del des Volkes. So viele Herrschaften, so viele Zollbezirke lagerten im Reiche "eben und gegen einander und alle hatten nicht nur an den Grenzorten son¬ dern kreuz und quer durch das ganze große oder kleine Gebiet Haupt- und Ne¬ benzollstätten, die jede Bewegung der Volkswirthschaft an die nächste Scholle fesselten und sür sich allein schon erklärlich machen würden, wie das Reich vom !6- bis zum 19. Jahrhundert so gänzlich von der Wirthschaft glücklicherer Nachbarländer in Abhängigkeit gerathen konnte. Die Zeit minderte zwar d,ehe Grenzboten III. 1S61.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/131>, abgerufen am 13.11.2024.