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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Knebel.

Aus K. L. von Knebels Briefwechsel mit seiner Schwester Henriette (1774--
1813). Ein Beitrag zur deutschen Hof- und Literaturgeschichte. Herausgegeben
von Heinrich Düntzer. Jena, Maule. --


-- Wer ists, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heidenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmüthig trocken weiß er Freud und Lachen
Im ganzen Cirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.

So schildert Goethe in "Ilmenau" seinen ältesten weinen'löcher Freund,
durch dessen Vermittlung der entscheidende Wendepunkt seines Lebens einge¬
treten war. In der Sammlung "Frcundesbilder aus Goethes Leben" (Lcip-
Z'g' Dyk) hat Düntzer, was man aus den Ackerstücken über diese höchst inter¬
essante und liebenswürdige Persönlichkeit wissen kann, mit seinem gewöhnlichen
Reiß zusammengestellt. Die vorliegende Korrespondenz ist eine Nachlese, die,
un Ganzen von viel geringerem Interesse, doch über den herrschenden Ton
der Societät von Weimar und über Goethe selbst einzelne beachtenswerthe
Notizen enthält.

Fräulein Henriette v. Knebel, erzählt der Herausgeber, geb. 1755 zu
Regensburg, war ganz der weibliche Abdruck ihres Bruders. Derselbe edle
Drang, dieselbe Herzinnigreit, dieselbe Sehnsucht nach geistiger Freiheit und
reiner Menschheit, derselbe Ernst der Empfindung, aber auch dieselbe Reiz¬
barkeit, dasselbe rücksichtslose Aufwallen und Uebersprudeln. Auch äußerlich
erschien sie dem Bruder gleich, eine hohe, edle Gestalt; ihr Gesicht war leider
früh durch Blattern entstellt worden, doch blitzten ihre Augen mit unwider-


Grenzbvtm I. 13ÜS. 6
Knebel.

Aus K. L. von Knebels Briefwechsel mit seiner Schwester Henriette (1774—
1813). Ein Beitrag zur deutschen Hof- und Literaturgeschichte. Herausgegeben
von Heinrich Düntzer. Jena, Maule. —


— Wer ists, der dort gebückt
Nachlässig stark die breiten Schultern drückt?
Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme,
Die markige Gestalt aus altem Heidenstamme.
Er saugt begierig am geliebten Rohr,
Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor.
Gutmüthig trocken weiß er Freud und Lachen
Im ganzen Cirkel laut zu machen,
Wenn er mit ernstlichem Gesicht
Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht.

So schildert Goethe in „Ilmenau" seinen ältesten weinen'löcher Freund,
durch dessen Vermittlung der entscheidende Wendepunkt seines Lebens einge¬
treten war. In der Sammlung „Frcundesbilder aus Goethes Leben" (Lcip-
Z'g' Dyk) hat Düntzer, was man aus den Ackerstücken über diese höchst inter¬
essante und liebenswürdige Persönlichkeit wissen kann, mit seinem gewöhnlichen
Reiß zusammengestellt. Die vorliegende Korrespondenz ist eine Nachlese, die,
un Ganzen von viel geringerem Interesse, doch über den herrschenden Ton
der Societät von Weimar und über Goethe selbst einzelne beachtenswerthe
Notizen enthält.

Fräulein Henriette v. Knebel, erzählt der Herausgeber, geb. 1755 zu
Regensburg, war ganz der weibliche Abdruck ihres Bruders. Derselbe edle
Drang, dieselbe Herzinnigreit, dieselbe Sehnsucht nach geistiger Freiheit und
reiner Menschheit, derselbe Ernst der Empfindung, aber auch dieselbe Reiz¬
barkeit, dasselbe rücksichtslose Aufwallen und Uebersprudeln. Auch äußerlich
erschien sie dem Bruder gleich, eine hohe, edle Gestalt; ihr Gesicht war leider
früh durch Blattern entstellt worden, doch blitzten ihre Augen mit unwider-


Grenzbvtm I. 13ÜS. 6
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[0051] Knebel. Aus K. L. von Knebels Briefwechsel mit seiner Schwester Henriette (1774— 1813). Ein Beitrag zur deutschen Hof- und Literaturgeschichte. Herausgegeben von Heinrich Düntzer. Jena, Maule. — — Wer ists, der dort gebückt Nachlässig stark die breiten Schultern drückt? Er sitzt zunächst gelassen an der Flamme, Die markige Gestalt aus altem Heidenstamme. Er saugt begierig am geliebten Rohr, Es steigt der Dampf an seiner Stirn empor. Gutmüthig trocken weiß er Freud und Lachen Im ganzen Cirkel laut zu machen, Wenn er mit ernstlichem Gesicht Barbarisch bunt in fremder Mundart spricht. So schildert Goethe in „Ilmenau" seinen ältesten weinen'löcher Freund, durch dessen Vermittlung der entscheidende Wendepunkt seines Lebens einge¬ treten war. In der Sammlung „Frcundesbilder aus Goethes Leben" (Lcip- Z'g' Dyk) hat Düntzer, was man aus den Ackerstücken über diese höchst inter¬ essante und liebenswürdige Persönlichkeit wissen kann, mit seinem gewöhnlichen Reiß zusammengestellt. Die vorliegende Korrespondenz ist eine Nachlese, die, un Ganzen von viel geringerem Interesse, doch über den herrschenden Ton der Societät von Weimar und über Goethe selbst einzelne beachtenswerthe Notizen enthält. Fräulein Henriette v. Knebel, erzählt der Herausgeber, geb. 1755 zu Regensburg, war ganz der weibliche Abdruck ihres Bruders. Derselbe edle Drang, dieselbe Herzinnigreit, dieselbe Sehnsucht nach geistiger Freiheit und reiner Menschheit, derselbe Ernst der Empfindung, aber auch dieselbe Reiz¬ barkeit, dasselbe rücksichtslose Aufwallen und Uebersprudeln. Auch äußerlich erschien sie dem Bruder gleich, eine hohe, edle Gestalt; ihr Gesicht war leider früh durch Blattern entstellt worden, doch blitzten ihre Augen mit unwider- Grenzbvtm I. 13ÜS. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/51>, abgerufen am 24.07.2024.