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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Die Zerstörung des alten Rom.

Im Anfang des 12. Jahrhunderts schrieb Bischof Hildebert von Tours,
der live oder 1107 in Rom war, eine rührende lateinische Elegie auf den
damaligen Zustand der Stadt. Darin kommen folgende Verse vor:


Ach die Stadt ist gefallen, von der, um würdig zu reden.
Das nur sagen ich darf- Roma wars, die du schaust!
Doch nicht hat der Jahre Gewalt, nicht Schwert und nicht Flamme
Diese Herrlichkeit je ganz zu vernichten vermocht:
So viel steht noch, so viel ist gefallen, daß beides unmöglich,
Tilgen was steht, und zu baun, was in die Trümmer versank.

Auch wer gegenwärtig durch die alten Theile von Rom wandelt, mag
sich wol zweifelnd fragen: ob er mehr die Größe und Herrlichkeit bewundern soll,
deren stumme Zeugen die erhaltenen Neste jener alten Zeit sind, oder ob er
mehr staunen soll über die Gewalt der zerstörenden Kräfte, denen so mächtige
und kolossale Werke haben erliegen müssen. Solche Fragen werden uns leicht
beschleichen, wenn wir nach langer und einsamer Wanderung unter Wein- oder
Kohlpflanzungen, zwischen verlassenen Kirchen und einsam stehenden Klöstern
plötzlich durch die majestätischen Thürme und die vereinzelte Wache eines an'
eilen Thores daran erinnert werden, daß wir uns nur innerhalb der alten
und gegenwärtigen Stadtgrenze bewegt haben. Steigen wir hinauf auf
den Thurm des Capitals oder eine andere emporragende Höhe, und verfolgen
den schmalen Streifen Leben, der sich durch den ummauerten Riesenkörper der
ewigen Stadt zwischen Gärten und Trümmern hinzieht. Hier zeigen sich un¬
seren Blicken neben bewohnten Bezirken und ncugcbauten Häusern, neben
belebten Plätzen, glänzenden Palästen und prachtstrahlenden Kirchen nicht
nur Neste der Republik und der Kaiserzeit, Ruinen aus allen Jahrhunderte"
des Untergangs und des Mittelalters, Werke der zerstörenden Zeit bürgerlich^
Unruhen und barbarischer Naubsucht der Einwohner; wir nehmen auch ver'
lasiene und verödete Häuserreihen aus den letzten Jahrhunderten wahr; und
neben vielen Zeichen frischen und gegenwärtigen Lebens sehen wir die ve"
fallenden Schöpfungen der Pracht des 16. und 17. Jahrhunderts, hier die
zerstörten Anlagen der Barberinischcn Gärten beim Vatican, dort die nackten
und einsinkenden Wände der fürstlichen Anlagen der Farnese auf dem Palatin,
dort endlich die nur nothdürftig gegen Wind und Wetter geschützte Ma!^
des wüsten Herrschersitzes Sixtus V. im Lateran. Oder werfen wir endlich
von der Höhe der anmuthigen Albaner- oder Sabinerbcrge einen Blick aus


Die Zerstörung des alten Rom.

Im Anfang des 12. Jahrhunderts schrieb Bischof Hildebert von Tours,
der live oder 1107 in Rom war, eine rührende lateinische Elegie auf den
damaligen Zustand der Stadt. Darin kommen folgende Verse vor:


Ach die Stadt ist gefallen, von der, um würdig zu reden.
Das nur sagen ich darf- Roma wars, die du schaust!
Doch nicht hat der Jahre Gewalt, nicht Schwert und nicht Flamme
Diese Herrlichkeit je ganz zu vernichten vermocht:
So viel steht noch, so viel ist gefallen, daß beides unmöglich,
Tilgen was steht, und zu baun, was in die Trümmer versank.

Auch wer gegenwärtig durch die alten Theile von Rom wandelt, mag
sich wol zweifelnd fragen: ob er mehr die Größe und Herrlichkeit bewundern soll,
deren stumme Zeugen die erhaltenen Neste jener alten Zeit sind, oder ob er
mehr staunen soll über die Gewalt der zerstörenden Kräfte, denen so mächtige
und kolossale Werke haben erliegen müssen. Solche Fragen werden uns leicht
beschleichen, wenn wir nach langer und einsamer Wanderung unter Wein- oder
Kohlpflanzungen, zwischen verlassenen Kirchen und einsam stehenden Klöstern
plötzlich durch die majestätischen Thürme und die vereinzelte Wache eines an'
eilen Thores daran erinnert werden, daß wir uns nur innerhalb der alten
und gegenwärtigen Stadtgrenze bewegt haben. Steigen wir hinauf auf
den Thurm des Capitals oder eine andere emporragende Höhe, und verfolgen
den schmalen Streifen Leben, der sich durch den ummauerten Riesenkörper der
ewigen Stadt zwischen Gärten und Trümmern hinzieht. Hier zeigen sich un¬
seren Blicken neben bewohnten Bezirken und ncugcbauten Häusern, neben
belebten Plätzen, glänzenden Palästen und prachtstrahlenden Kirchen nicht
nur Neste der Republik und der Kaiserzeit, Ruinen aus allen Jahrhunderte»
des Untergangs und des Mittelalters, Werke der zerstörenden Zeit bürgerlich^
Unruhen und barbarischer Naubsucht der Einwohner; wir nehmen auch ver'
lasiene und verödete Häuserreihen aus den letzten Jahrhunderten wahr; und
neben vielen Zeichen frischen und gegenwärtigen Lebens sehen wir die ve»
fallenden Schöpfungen der Pracht des 16. und 17. Jahrhunderts, hier die
zerstörten Anlagen der Barberinischcn Gärten beim Vatican, dort die nackten
und einsinkenden Wände der fürstlichen Anlagen der Farnese auf dem Palatin,
dort endlich die nur nothdürftig gegen Wind und Wetter geschützte Ma!^
des wüsten Herrschersitzes Sixtus V. im Lateran. Oder werfen wir endlich
von der Höhe der anmuthigen Albaner- oder Sabinerbcrge einen Blick aus


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[0222] Die Zerstörung des alten Rom. Im Anfang des 12. Jahrhunderts schrieb Bischof Hildebert von Tours, der live oder 1107 in Rom war, eine rührende lateinische Elegie auf den damaligen Zustand der Stadt. Darin kommen folgende Verse vor: Ach die Stadt ist gefallen, von der, um würdig zu reden. Das nur sagen ich darf- Roma wars, die du schaust! Doch nicht hat der Jahre Gewalt, nicht Schwert und nicht Flamme Diese Herrlichkeit je ganz zu vernichten vermocht: So viel steht noch, so viel ist gefallen, daß beides unmöglich, Tilgen was steht, und zu baun, was in die Trümmer versank. Auch wer gegenwärtig durch die alten Theile von Rom wandelt, mag sich wol zweifelnd fragen: ob er mehr die Größe und Herrlichkeit bewundern soll, deren stumme Zeugen die erhaltenen Neste jener alten Zeit sind, oder ob er mehr staunen soll über die Gewalt der zerstörenden Kräfte, denen so mächtige und kolossale Werke haben erliegen müssen. Solche Fragen werden uns leicht beschleichen, wenn wir nach langer und einsamer Wanderung unter Wein- oder Kohlpflanzungen, zwischen verlassenen Kirchen und einsam stehenden Klöstern plötzlich durch die majestätischen Thürme und die vereinzelte Wache eines an' eilen Thores daran erinnert werden, daß wir uns nur innerhalb der alten und gegenwärtigen Stadtgrenze bewegt haben. Steigen wir hinauf auf den Thurm des Capitals oder eine andere emporragende Höhe, und verfolgen den schmalen Streifen Leben, der sich durch den ummauerten Riesenkörper der ewigen Stadt zwischen Gärten und Trümmern hinzieht. Hier zeigen sich un¬ seren Blicken neben bewohnten Bezirken und ncugcbauten Häusern, neben belebten Plätzen, glänzenden Palästen und prachtstrahlenden Kirchen nicht nur Neste der Republik und der Kaiserzeit, Ruinen aus allen Jahrhunderte» des Untergangs und des Mittelalters, Werke der zerstörenden Zeit bürgerlich^ Unruhen und barbarischer Naubsucht der Einwohner; wir nehmen auch ver' lasiene und verödete Häuserreihen aus den letzten Jahrhunderten wahr; und neben vielen Zeichen frischen und gegenwärtigen Lebens sehen wir die ve» fallenden Schöpfungen der Pracht des 16. und 17. Jahrhunderts, hier die zerstörten Anlagen der Barberinischcn Gärten beim Vatican, dort die nackten und einsinkenden Wände der fürstlichen Anlagen der Farnese auf dem Palatin, dort endlich die nur nothdürftig gegen Wind und Wetter geschützte Ma!^ des wüsten Herrschersitzes Sixtus V. im Lateran. Oder werfen wir endlich von der Höhe der anmuthigen Albaner- oder Sabinerbcrge einen Blick aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/222>, abgerufen am 24.07.2024.