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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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der jeden Eroberungsplan Napoleons unmöglich macht. Sich unentschlossen
zwischen beide zu stellen, wäre eine Politik, die sicheres Verderben nach sich
zöge.




Literatur.

Geschichte des reichssreiherrlichen v. Wolzogenfche n Geschlechts.
Von K. A. A. Frh. v. Wol zogen - Ne us an s. -- 2 Bde., Leipzig. Brockhaus.
-- Eine musterhaft gearbeitete Monographie, trotz des starken und achtungswerthen
Eifers des Verfassers für sein Geschlecht mit gewissenhafter historischer Kritik ausge¬
arbeitet. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert haben sich die Wolzogen im
Kriege wie im Gelehrtenstande ausgezeichnet; die mitgetheilten Actenstücke aus ihrem
Leben geben zuweilen einen diesen Einblick in die Sitten der Zeit. -- Die Memoiren
seines Vaters, des General Wolzogen. hat der Versasser schon früher herausgegeben;
einige Nachträge werden hier mitgetheilt. -- Von den neuern Porträts interessirte
uns am meisten Wilhelm v. Wolzogen (geb. 1762). Schillers Mitschüler auf
der Militärakademie und späterer Schwager. Man hat neuerdings versucht, das
Andenken des Stifters desselben, des Herzog Karl von Würtemberg, wieder zu Ehren
zu bringen; durch die vorliegenden Mittheilungen fallen einige neue Streiflichter auf
diesen Charakter. -- Im April 17 84 war Wolzogen aus der Akademie entlassen
und Lieutenant geworden; im September 1788 wurde er nach Paris geschickt, um
sich im Baufach auszubilden. Nach der Abreise zeichnete er in sein Tagebuch aus:
"Es war Nachmittags vier Uhr. als ich Stuttgart verließ. . . Im Ganzen entfernte
ich mich gern von einer Stadt, wo alles doch nur das Gepräge des Despotismus
an sich trägt, wo sklavische Unterthänigkeit gegen den Fürsten und übermüthiger
Mandarinenstolz gegen Untergebene jeden gesellschaftlichen Cirkel steif und unerquick¬
lich macht. Das edle Gefühl von der Größe und Würde des Menschen ist hier durch
morgenländische Negierungsfayon ganz unterdrückt worden; auch die besten Menschen
sind von diesem lieblosen Geist angesteckt, ob sie es gleich fühlen und sich deshalb
beschämt zurückziehn, um in ihrer Familie das zu suchen, was sie außer ihrem Hause
stets vermißten: Freiheit im Reden und Handeln. Daher der Mangel an Gescllschaft-
lichkcit in Stuttgart. . . Und doch besitzt die Stadt einen der brillantesten Höfe.
Freilich aber kommt dazu der geringe Reichthum der Noblesse; die schlechten Gagen
und die früher ganz exorbitanten Ausgaben, die das Hofleben verursachte, sind der
Grund davon. Der Herzog war eben rechter Hand von der Chaussee, um ein Ma-


der jeden Eroberungsplan Napoleons unmöglich macht. Sich unentschlossen
zwischen beide zu stellen, wäre eine Politik, die sicheres Verderben nach sich
zöge.




Literatur.

Geschichte des reichssreiherrlichen v. Wolzogenfche n Geschlechts.
Von K. A. A. Frh. v. Wol zogen - Ne us an s. — 2 Bde., Leipzig. Brockhaus.
— Eine musterhaft gearbeitete Monographie, trotz des starken und achtungswerthen
Eifers des Verfassers für sein Geschlecht mit gewissenhafter historischer Kritik ausge¬
arbeitet. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert haben sich die Wolzogen im
Kriege wie im Gelehrtenstande ausgezeichnet; die mitgetheilten Actenstücke aus ihrem
Leben geben zuweilen einen diesen Einblick in die Sitten der Zeit. — Die Memoiren
seines Vaters, des General Wolzogen. hat der Versasser schon früher herausgegeben;
einige Nachträge werden hier mitgetheilt. — Von den neuern Porträts interessirte
uns am meisten Wilhelm v. Wolzogen (geb. 1762). Schillers Mitschüler auf
der Militärakademie und späterer Schwager. Man hat neuerdings versucht, das
Andenken des Stifters desselben, des Herzog Karl von Würtemberg, wieder zu Ehren
zu bringen; durch die vorliegenden Mittheilungen fallen einige neue Streiflichter auf
diesen Charakter. — Im April 17 84 war Wolzogen aus der Akademie entlassen
und Lieutenant geworden; im September 1788 wurde er nach Paris geschickt, um
sich im Baufach auszubilden. Nach der Abreise zeichnete er in sein Tagebuch aus:
„Es war Nachmittags vier Uhr. als ich Stuttgart verließ. . . Im Ganzen entfernte
ich mich gern von einer Stadt, wo alles doch nur das Gepräge des Despotismus
an sich trägt, wo sklavische Unterthänigkeit gegen den Fürsten und übermüthiger
Mandarinenstolz gegen Untergebene jeden gesellschaftlichen Cirkel steif und unerquick¬
lich macht. Das edle Gefühl von der Größe und Würde des Menschen ist hier durch
morgenländische Negierungsfayon ganz unterdrückt worden; auch die besten Menschen
sind von diesem lieblosen Geist angesteckt, ob sie es gleich fühlen und sich deshalb
beschämt zurückziehn, um in ihrer Familie das zu suchen, was sie außer ihrem Hause
stets vermißten: Freiheit im Reden und Handeln. Daher der Mangel an Gescllschaft-
lichkcit in Stuttgart. . . Und doch besitzt die Stadt einen der brillantesten Höfe.
Freilich aber kommt dazu der geringe Reichthum der Noblesse; die schlechten Gagen
und die früher ganz exorbitanten Ausgaben, die das Hofleben verursachte, sind der
Grund davon. Der Herzog war eben rechter Hand von der Chaussee, um ein Ma-


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[0128] der jeden Eroberungsplan Napoleons unmöglich macht. Sich unentschlossen zwischen beide zu stellen, wäre eine Politik, die sicheres Verderben nach sich zöge. Literatur. Geschichte des reichssreiherrlichen v. Wolzogenfche n Geschlechts. Von K. A. A. Frh. v. Wol zogen - Ne us an s. — 2 Bde., Leipzig. Brockhaus. — Eine musterhaft gearbeitete Monographie, trotz des starken und achtungswerthen Eifers des Verfassers für sein Geschlecht mit gewissenhafter historischer Kritik ausge¬ arbeitet. Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert haben sich die Wolzogen im Kriege wie im Gelehrtenstande ausgezeichnet; die mitgetheilten Actenstücke aus ihrem Leben geben zuweilen einen diesen Einblick in die Sitten der Zeit. — Die Memoiren seines Vaters, des General Wolzogen. hat der Versasser schon früher herausgegeben; einige Nachträge werden hier mitgetheilt. — Von den neuern Porträts interessirte uns am meisten Wilhelm v. Wolzogen (geb. 1762). Schillers Mitschüler auf der Militärakademie und späterer Schwager. Man hat neuerdings versucht, das Andenken des Stifters desselben, des Herzog Karl von Würtemberg, wieder zu Ehren zu bringen; durch die vorliegenden Mittheilungen fallen einige neue Streiflichter auf diesen Charakter. — Im April 17 84 war Wolzogen aus der Akademie entlassen und Lieutenant geworden; im September 1788 wurde er nach Paris geschickt, um sich im Baufach auszubilden. Nach der Abreise zeichnete er in sein Tagebuch aus: „Es war Nachmittags vier Uhr. als ich Stuttgart verließ. . . Im Ganzen entfernte ich mich gern von einer Stadt, wo alles doch nur das Gepräge des Despotismus an sich trägt, wo sklavische Unterthänigkeit gegen den Fürsten und übermüthiger Mandarinenstolz gegen Untergebene jeden gesellschaftlichen Cirkel steif und unerquick¬ lich macht. Das edle Gefühl von der Größe und Würde des Menschen ist hier durch morgenländische Negierungsfayon ganz unterdrückt worden; auch die besten Menschen sind von diesem lieblosen Geist angesteckt, ob sie es gleich fühlen und sich deshalb beschämt zurückziehn, um in ihrer Familie das zu suchen, was sie außer ihrem Hause stets vermißten: Freiheit im Reden und Handeln. Daher der Mangel an Gescllschaft- lichkcit in Stuttgart. . . Und doch besitzt die Stadt einen der brillantesten Höfe. Freilich aber kommt dazu der geringe Reichthum der Noblesse; die schlechten Gagen und die früher ganz exorbitanten Ausgaben, die das Hofleben verursachte, sind der Grund davon. Der Herzog war eben rechter Hand von der Chaussee, um ein Ma-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/128>, abgerufen am 24.08.2024.