Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weiter. So kindisch der blinde Ehrgeiz zweier siebzig- bis achtzigjähriger Männer
erscheinen mag, die, ohne irgend einen sittlichen oder politischen Bestimmungsgrund
in einer furchtbaren Krisis, wo England im höchsten Grade nöthig hätte, in sich
selbst einig zu sein, aus bloßer Eitelkeit den alten Gegnern das Heft aus der Hand
reißen: -- was ist es weiter, als eine Revanche für das ebenso verdammungswürdigc
Verfahren der Tones, die vor anderthalb Jahren, in ebenso blindem Ehrgeiz, sich
zum Sturz Palmerstons mit den Radicalen verbanden, und sich dadurch von dem
guten Willen, der Laune und den Gelüsten der Letzteren abhängig machten?

Die parlamentarische Regierung beruht factisch auf der Existenz zweier, aristo¬
kratisch geschlossener Fraktionen, die zusammen etwa zwei Drittel des Unterhauses
füllen. Die Entscheidung beruht auf dem Bund mit den außer der Fraction
stehenden Mitgliedern. Loyal ist es aber nur dann, einen solchen Bund zu
schließen, wenn es eine principielle Uebereinstimmung betrifft. Diese fand im vorigen
Jahr nicht statt. Kaiser Napoleon hatte Recht, von England ein Gesetz zu ver¬
langen, welches gegen Mörder und Verschwörer wirksam sei, wenn er seine Forderung
auch in ungebührliche Formen kleidete; Lord Palmerston hatte Recht, wenn er --
unter Modificationen -- darauf einging; die Freisprechung Bernards durch eine
gewissenlose Jury, die unter dem Beifallsgeschrei des blinden Pöbels erfolgte, war
ein Schandfleck für England. Die Tories haben sich durch Begünstigung einer
unreifen, ungesunden Stimmung ans Ruder gebracht, sie kannten ihre Schwäche,
sie wußten, daß sie ganz von ihren Gegnern abhängig waren; sie sind also ganz
und gar nicht im Recht, über sactiöses Betragen anderer sich zu beschweren.

Das entschuldigt freilich ihre Gegner nicht. Schon unter Lord Derby war
die auswärtige Politik gegen Napoleon kläglich, und diese Kläglichkeit tritt durch
die Pöbeleicn der englischen Presse gegen Deutschland nur noch klarer zu Tage.
Ein enger Bund mit Preußen konnte den Krieg -- wenn nicht ganz beschränken
-- doch wenigstens in die engsten Grenzen bannen; die Tories waren zu seig
dazu, weil sie in ihrer Schwäche sich von jedem Schuster und Schneider abhängig
wußten, dessen Interessen durch ein solches Bündniß gefährdet wurden. Wie nun
Lord Palmerston diese Mischung von Furcht und Brutalität noch überbieten will,
darauf sind wir wirklich gespannt; im Ganzen wird wol nicht viel geändert wer¬
den; ja bei dem unruhigen, völlig unberechenbaren Wesen dieses Mannes, der in
eine absolute Neutralität, wie er sie jetzt predigt, sich am letzten fügen wird, weiß
man noch gar nicht, ob nicht etwa daraus eine für uns günstige Konstellation her¬
vorgeht. Nach England uns richten, wäre Thorheit: aber die gefährliche Lage zwingt
uns, jeden Schritt sorgfältig zu erwägen, um keinen zurückthun zu dürfen; einen
-j Schritt zurück, so fällt alles über uns her.




Mit Ur. I7 beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im Juni 1859._Die Verlagshandlung




Verantwortlicher Redacteur: v, Moritz Busch -- Verlag von F. L, Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

weiter. So kindisch der blinde Ehrgeiz zweier siebzig- bis achtzigjähriger Männer
erscheinen mag, die, ohne irgend einen sittlichen oder politischen Bestimmungsgrund
in einer furchtbaren Krisis, wo England im höchsten Grade nöthig hätte, in sich
selbst einig zu sein, aus bloßer Eitelkeit den alten Gegnern das Heft aus der Hand
reißen: — was ist es weiter, als eine Revanche für das ebenso verdammungswürdigc
Verfahren der Tones, die vor anderthalb Jahren, in ebenso blindem Ehrgeiz, sich
zum Sturz Palmerstons mit den Radicalen verbanden, und sich dadurch von dem
guten Willen, der Laune und den Gelüsten der Letzteren abhängig machten?

Die parlamentarische Regierung beruht factisch auf der Existenz zweier, aristo¬
kratisch geschlossener Fraktionen, die zusammen etwa zwei Drittel des Unterhauses
füllen. Die Entscheidung beruht auf dem Bund mit den außer der Fraction
stehenden Mitgliedern. Loyal ist es aber nur dann, einen solchen Bund zu
schließen, wenn es eine principielle Uebereinstimmung betrifft. Diese fand im vorigen
Jahr nicht statt. Kaiser Napoleon hatte Recht, von England ein Gesetz zu ver¬
langen, welches gegen Mörder und Verschwörer wirksam sei, wenn er seine Forderung
auch in ungebührliche Formen kleidete; Lord Palmerston hatte Recht, wenn er —
unter Modificationen — darauf einging; die Freisprechung Bernards durch eine
gewissenlose Jury, die unter dem Beifallsgeschrei des blinden Pöbels erfolgte, war
ein Schandfleck für England. Die Tories haben sich durch Begünstigung einer
unreifen, ungesunden Stimmung ans Ruder gebracht, sie kannten ihre Schwäche,
sie wußten, daß sie ganz von ihren Gegnern abhängig waren; sie sind also ganz
und gar nicht im Recht, über sactiöses Betragen anderer sich zu beschweren.

Das entschuldigt freilich ihre Gegner nicht. Schon unter Lord Derby war
die auswärtige Politik gegen Napoleon kläglich, und diese Kläglichkeit tritt durch
die Pöbeleicn der englischen Presse gegen Deutschland nur noch klarer zu Tage.
Ein enger Bund mit Preußen konnte den Krieg — wenn nicht ganz beschränken
— doch wenigstens in die engsten Grenzen bannen; die Tories waren zu seig
dazu, weil sie in ihrer Schwäche sich von jedem Schuster und Schneider abhängig
wußten, dessen Interessen durch ein solches Bündniß gefährdet wurden. Wie nun
Lord Palmerston diese Mischung von Furcht und Brutalität noch überbieten will,
darauf sind wir wirklich gespannt; im Ganzen wird wol nicht viel geändert wer¬
den; ja bei dem unruhigen, völlig unberechenbaren Wesen dieses Mannes, der in
eine absolute Neutralität, wie er sie jetzt predigt, sich am letzten fügen wird, weiß
man noch gar nicht, ob nicht etwa daraus eine für uns günstige Konstellation her¬
vorgeht. Nach England uns richten, wäre Thorheit: aber die gefährliche Lage zwingt
uns, jeden Schritt sorgfältig zu erwägen, um keinen zurückthun zu dürfen; einen
-j Schritt zurück, so fällt alles über uns her.




Mit Ur. I7 beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im Juni 1859._Die Verlagshandlung




Verantwortlicher Redacteur: v, Moritz Busch — Verlag von F. L, Herbig
in Leipzig.
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107537"/>
          <p xml:id="ID_1500" prev="#ID_1499"> weiter. So kindisch der blinde Ehrgeiz zweier siebzig- bis achtzigjähriger Männer<lb/>
erscheinen mag, die, ohne irgend einen sittlichen oder politischen Bestimmungsgrund<lb/>
in einer furchtbaren Krisis, wo England im höchsten Grade nöthig hätte, in sich<lb/>
selbst einig zu sein, aus bloßer Eitelkeit den alten Gegnern das Heft aus der Hand<lb/>
reißen: &#x2014; was ist es weiter, als eine Revanche für das ebenso verdammungswürdigc<lb/>
Verfahren der Tones, die vor anderthalb Jahren, in ebenso blindem Ehrgeiz, sich<lb/>
zum Sturz Palmerstons mit den Radicalen verbanden, und sich dadurch von dem<lb/>
guten Willen, der Laune und den Gelüsten der Letzteren abhängig machten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1501"> Die parlamentarische Regierung beruht factisch auf der Existenz zweier, aristo¬<lb/>
kratisch geschlossener Fraktionen, die zusammen etwa zwei Drittel des Unterhauses<lb/>
füllen. Die Entscheidung beruht auf dem Bund mit den außer der Fraction<lb/>
stehenden Mitgliedern. Loyal ist es aber nur dann, einen solchen Bund zu<lb/>
schließen, wenn es eine principielle Uebereinstimmung betrifft. Diese fand im vorigen<lb/>
Jahr nicht statt. Kaiser Napoleon hatte Recht, von England ein Gesetz zu ver¬<lb/>
langen, welches gegen Mörder und Verschwörer wirksam sei, wenn er seine Forderung<lb/>
auch in ungebührliche Formen kleidete; Lord Palmerston hatte Recht, wenn er &#x2014;<lb/>
unter Modificationen &#x2014; darauf einging; die Freisprechung Bernards durch eine<lb/>
gewissenlose Jury, die unter dem Beifallsgeschrei des blinden Pöbels erfolgte, war<lb/>
ein Schandfleck für England. Die Tories haben sich durch Begünstigung einer<lb/>
unreifen, ungesunden Stimmung ans Ruder gebracht, sie kannten ihre Schwäche,<lb/>
sie wußten, daß sie ganz von ihren Gegnern abhängig waren; sie sind also ganz<lb/>
und gar nicht im Recht, über sactiöses Betragen anderer sich zu beschweren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1502"> Das entschuldigt freilich ihre Gegner nicht. Schon unter Lord Derby war<lb/>
die auswärtige Politik gegen Napoleon kläglich, und diese Kläglichkeit tritt durch<lb/>
die Pöbeleicn der englischen Presse gegen Deutschland nur noch klarer zu Tage.<lb/>
Ein enger Bund mit Preußen konnte den Krieg &#x2014; wenn nicht ganz beschränken<lb/>
&#x2014; doch wenigstens in die engsten Grenzen bannen; die Tories waren zu seig<lb/>
dazu, weil sie in ihrer Schwäche sich von jedem Schuster und Schneider abhängig<lb/>
wußten, dessen Interessen durch ein solches Bündniß gefährdet wurden. Wie nun<lb/>
Lord Palmerston diese Mischung von Furcht und Brutalität noch überbieten will,<lb/>
darauf sind wir wirklich gespannt; im Ganzen wird wol nicht viel geändert wer¬<lb/>
den; ja bei dem unruhigen, völlig unberechenbaren Wesen dieses Mannes, der in<lb/>
eine absolute Neutralität, wie er sie jetzt predigt, sich am letzten fügen wird, weiß<lb/>
man noch gar nicht, ob nicht etwa daraus eine für uns günstige Konstellation her¬<lb/>
vorgeht. Nach England uns richten, wäre Thorheit: aber die gefährliche Lage zwingt<lb/>
uns, jeden Schritt sorgfältig zu erwägen, um keinen zurückthun zu dürfen; einen<lb/><note type="byline"> -j</note> Schritt zurück, so fällt alles über uns her. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="advertisement">
                <p> Mit Ur. I7 beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal,<lb/>
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬<lb/>
ziehen ist.<lb/>
Leipzig, im Juni 1859._Die Verlagshandlung</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: v, Moritz Busch &#x2014; Verlag von F. L, Herbig<lb/>
in Leipzig.<lb/>
Druck von C. E. Elbert in Leipzig.</note><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] weiter. So kindisch der blinde Ehrgeiz zweier siebzig- bis achtzigjähriger Männer erscheinen mag, die, ohne irgend einen sittlichen oder politischen Bestimmungsgrund in einer furchtbaren Krisis, wo England im höchsten Grade nöthig hätte, in sich selbst einig zu sein, aus bloßer Eitelkeit den alten Gegnern das Heft aus der Hand reißen: — was ist es weiter, als eine Revanche für das ebenso verdammungswürdigc Verfahren der Tones, die vor anderthalb Jahren, in ebenso blindem Ehrgeiz, sich zum Sturz Palmerstons mit den Radicalen verbanden, und sich dadurch von dem guten Willen, der Laune und den Gelüsten der Letzteren abhängig machten? Die parlamentarische Regierung beruht factisch auf der Existenz zweier, aristo¬ kratisch geschlossener Fraktionen, die zusammen etwa zwei Drittel des Unterhauses füllen. Die Entscheidung beruht auf dem Bund mit den außer der Fraction stehenden Mitgliedern. Loyal ist es aber nur dann, einen solchen Bund zu schließen, wenn es eine principielle Uebereinstimmung betrifft. Diese fand im vorigen Jahr nicht statt. Kaiser Napoleon hatte Recht, von England ein Gesetz zu ver¬ langen, welches gegen Mörder und Verschwörer wirksam sei, wenn er seine Forderung auch in ungebührliche Formen kleidete; Lord Palmerston hatte Recht, wenn er — unter Modificationen — darauf einging; die Freisprechung Bernards durch eine gewissenlose Jury, die unter dem Beifallsgeschrei des blinden Pöbels erfolgte, war ein Schandfleck für England. Die Tories haben sich durch Begünstigung einer unreifen, ungesunden Stimmung ans Ruder gebracht, sie kannten ihre Schwäche, sie wußten, daß sie ganz von ihren Gegnern abhängig waren; sie sind also ganz und gar nicht im Recht, über sactiöses Betragen anderer sich zu beschweren. Das entschuldigt freilich ihre Gegner nicht. Schon unter Lord Derby war die auswärtige Politik gegen Napoleon kläglich, und diese Kläglichkeit tritt durch die Pöbeleicn der englischen Presse gegen Deutschland nur noch klarer zu Tage. Ein enger Bund mit Preußen konnte den Krieg — wenn nicht ganz beschränken — doch wenigstens in die engsten Grenzen bannen; die Tories waren zu seig dazu, weil sie in ihrer Schwäche sich von jedem Schuster und Schneider abhängig wußten, dessen Interessen durch ein solches Bündniß gefährdet wurden. Wie nun Lord Palmerston diese Mischung von Furcht und Brutalität noch überbieten will, darauf sind wir wirklich gespannt; im Ganzen wird wol nicht viel geändert wer¬ den; ja bei dem unruhigen, völlig unberechenbaren Wesen dieses Mannes, der in eine absolute Neutralität, wie er sie jetzt predigt, sich am letzten fügen wird, weiß man noch gar nicht, ob nicht etwa daraus eine für uns günstige Konstellation her¬ vorgeht. Nach England uns richten, wäre Thorheit: aber die gefährliche Lage zwingt uns, jeden Schritt sorgfältig zu erwägen, um keinen zurückthun zu dürfen; einen -j Schritt zurück, so fällt alles über uns her. Mit Ur. I7 beginnt diese Zeitschrift ein neues Quartal, welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬ ziehen ist. Leipzig, im Juni 1859._Die Verlagshandlung Verantwortlicher Redacteur: v, Moritz Busch — Verlag von F. L, Herbig in Leipzig. Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/490>, abgerufen am 22.12.2024.