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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Wie wir vorausgesehn, hat seit dem Schluß des preußischen Landtags das
Geschrei der mittel- und süddeutschen Presse gegen Preußen sich nicht gemindert, son¬
dern vermehrt. Indessen ist es ein Vortheil, daß jetzt der Controverspunkt anfängt
deutlicher hervorzutreten. Mehr und mehr stellt sich heraus, daß in der Presse zwei
alte Parteien sich bekämpfen, die man mit zwei Städtenamen als die Bamberger
und die Gothaer zu bezeichnen pflegte, oder noch früher die Großdeutschcn und die
Klcindcutschen. Diesen sehr alten und historisch begründeten Gegensatz auf zufällige
und kleinliche Motive zurückführen zu wollen, ist ein höchst abgeschmackter Taschen-
spiclerkniff, dessen sich namentlich die baierschen Blätter bedienen.

Bis jetzt war dieser Gegensatz nicht so deutlich hervorgetreten. In der Agi¬
tation gegen Preußen sanden sich sehr verschiedenartige Elemente zusammen: der alte
Franzosenhaß, der gerechte Zorn gegen einen Kaiser, der sein eignes Land knechtet
und einem andern die Freiheit verspricht; das deutsche Nationalgefühl, der Eiser für
die katholische Sache und noch vieles andere. Das Hauptmittel aber der ganzen
Agitation war eine höchst wunderliche Vorstellung des deutschen Publicums von den
Verpflichtungen Preußens.

Der echte deutsche Philister stellt sich nämlich Preußen als den Portier des hei¬
ligen römischen Reichs vor, der die Verpflichtung habe, die Straße zu kehren und
alle überlästigen Gäste zu entfernen. Sobald irgendwo die Actien fallen, so hat
man den entschiedenen Argwohn, daß Preußen durch seine Nachlässigkeit daran Schuld
sei. Die Sache ist nicht um ein Haar breit übertrieben. Bei jeder einbrechenden
Noth erinnert man sich daran, daß Preußen als Militärstaat die Ausgabe habe,
Deutschland zu retten. Ist dann die Noth vorüber, so sucht man allen möglichen
Tadel zusammen, über das Geschick und Ungeschick seines Benehmens u. s. w. So
hat man jetzt die grenzenlose Unverschämtheit, sogar in Blättern, die aus einige
Snchtenntniß Anspruch machen, den Mangel einer deutschen Flotte Preußen beizu-
messen. Die alte sogenannte deutsche Flotte war auf das Zustandekommen eines
centralisirten Bundesstaats berechnet und zum großen Theil mit preußischem Gelde
eingerichtet, da Oestreich, im Besitz einer eignen Flotte, die Betheiligung ablehnte.
Sollte nun etwa der Bundestag ein deutsches Admiralitätscollcgium zusammensetzen?
Was aber die preußische Flotte betrifft, so vergesse man doch ja nicht, daß dasselbe
Hannover, welches sich jetzt als Vorfechter der deutschen Einheit gcrirt, der Erwer¬
bung des Jahdebusens und namentlich der Communication desselben mit dem übri¬
gen preußischen Gebiet die ernstesten Schwierigkeiten in den Weg gelegt hat; Schwie¬
rigkeiten, die noch heute nicht überwunden sind, aber hoffentlich jetzt ihrer Erledi¬
gung cntgcgenschn.

Bei diesen unbestimmten Vorstellungen des Publicums wendet man die gar
nicht ungeschickte Taktik an, die preußische Politik der. Jahre 1850--1858 als ma߬
gebend sür Preußen zu bezeichnen und fortwährend daran zu erinnern, daß Preußen


Von der preußischen Grenze.

Wie wir vorausgesehn, hat seit dem Schluß des preußischen Landtags das
Geschrei der mittel- und süddeutschen Presse gegen Preußen sich nicht gemindert, son¬
dern vermehrt. Indessen ist es ein Vortheil, daß jetzt der Controverspunkt anfängt
deutlicher hervorzutreten. Mehr und mehr stellt sich heraus, daß in der Presse zwei
alte Parteien sich bekämpfen, die man mit zwei Städtenamen als die Bamberger
und die Gothaer zu bezeichnen pflegte, oder noch früher die Großdeutschcn und die
Klcindcutschen. Diesen sehr alten und historisch begründeten Gegensatz auf zufällige
und kleinliche Motive zurückführen zu wollen, ist ein höchst abgeschmackter Taschen-
spiclerkniff, dessen sich namentlich die baierschen Blätter bedienen.

Bis jetzt war dieser Gegensatz nicht so deutlich hervorgetreten. In der Agi¬
tation gegen Preußen sanden sich sehr verschiedenartige Elemente zusammen: der alte
Franzosenhaß, der gerechte Zorn gegen einen Kaiser, der sein eignes Land knechtet
und einem andern die Freiheit verspricht; das deutsche Nationalgefühl, der Eiser für
die katholische Sache und noch vieles andere. Das Hauptmittel aber der ganzen
Agitation war eine höchst wunderliche Vorstellung des deutschen Publicums von den
Verpflichtungen Preußens.

Der echte deutsche Philister stellt sich nämlich Preußen als den Portier des hei¬
ligen römischen Reichs vor, der die Verpflichtung habe, die Straße zu kehren und
alle überlästigen Gäste zu entfernen. Sobald irgendwo die Actien fallen, so hat
man den entschiedenen Argwohn, daß Preußen durch seine Nachlässigkeit daran Schuld
sei. Die Sache ist nicht um ein Haar breit übertrieben. Bei jeder einbrechenden
Noth erinnert man sich daran, daß Preußen als Militärstaat die Ausgabe habe,
Deutschland zu retten. Ist dann die Noth vorüber, so sucht man allen möglichen
Tadel zusammen, über das Geschick und Ungeschick seines Benehmens u. s. w. So
hat man jetzt die grenzenlose Unverschämtheit, sogar in Blättern, die aus einige
Snchtenntniß Anspruch machen, den Mangel einer deutschen Flotte Preußen beizu-
messen. Die alte sogenannte deutsche Flotte war auf das Zustandekommen eines
centralisirten Bundesstaats berechnet und zum großen Theil mit preußischem Gelde
eingerichtet, da Oestreich, im Besitz einer eignen Flotte, die Betheiligung ablehnte.
Sollte nun etwa der Bundestag ein deutsches Admiralitätscollcgium zusammensetzen?
Was aber die preußische Flotte betrifft, so vergesse man doch ja nicht, daß dasselbe
Hannover, welches sich jetzt als Vorfechter der deutschen Einheit gcrirt, der Erwer¬
bung des Jahdebusens und namentlich der Communication desselben mit dem übri¬
gen preußischen Gebiet die ernstesten Schwierigkeiten in den Weg gelegt hat; Schwie¬
rigkeiten, die noch heute nicht überwunden sind, aber hoffentlich jetzt ihrer Erledi¬
gung cntgcgenschn.

Bei diesen unbestimmten Vorstellungen des Publicums wendet man die gar
nicht ungeschickte Taktik an, die preußische Politik der. Jahre 1850—1858 als ma߬
gebend sür Preußen zu bezeichnen und fortwährend daran zu erinnern, daß Preußen


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[0406] Von der preußischen Grenze. Wie wir vorausgesehn, hat seit dem Schluß des preußischen Landtags das Geschrei der mittel- und süddeutschen Presse gegen Preußen sich nicht gemindert, son¬ dern vermehrt. Indessen ist es ein Vortheil, daß jetzt der Controverspunkt anfängt deutlicher hervorzutreten. Mehr und mehr stellt sich heraus, daß in der Presse zwei alte Parteien sich bekämpfen, die man mit zwei Städtenamen als die Bamberger und die Gothaer zu bezeichnen pflegte, oder noch früher die Großdeutschcn und die Klcindcutschen. Diesen sehr alten und historisch begründeten Gegensatz auf zufällige und kleinliche Motive zurückführen zu wollen, ist ein höchst abgeschmackter Taschen- spiclerkniff, dessen sich namentlich die baierschen Blätter bedienen. Bis jetzt war dieser Gegensatz nicht so deutlich hervorgetreten. In der Agi¬ tation gegen Preußen sanden sich sehr verschiedenartige Elemente zusammen: der alte Franzosenhaß, der gerechte Zorn gegen einen Kaiser, der sein eignes Land knechtet und einem andern die Freiheit verspricht; das deutsche Nationalgefühl, der Eiser für die katholische Sache und noch vieles andere. Das Hauptmittel aber der ganzen Agitation war eine höchst wunderliche Vorstellung des deutschen Publicums von den Verpflichtungen Preußens. Der echte deutsche Philister stellt sich nämlich Preußen als den Portier des hei¬ ligen römischen Reichs vor, der die Verpflichtung habe, die Straße zu kehren und alle überlästigen Gäste zu entfernen. Sobald irgendwo die Actien fallen, so hat man den entschiedenen Argwohn, daß Preußen durch seine Nachlässigkeit daran Schuld sei. Die Sache ist nicht um ein Haar breit übertrieben. Bei jeder einbrechenden Noth erinnert man sich daran, daß Preußen als Militärstaat die Ausgabe habe, Deutschland zu retten. Ist dann die Noth vorüber, so sucht man allen möglichen Tadel zusammen, über das Geschick und Ungeschick seines Benehmens u. s. w. So hat man jetzt die grenzenlose Unverschämtheit, sogar in Blättern, die aus einige Snchtenntniß Anspruch machen, den Mangel einer deutschen Flotte Preußen beizu- messen. Die alte sogenannte deutsche Flotte war auf das Zustandekommen eines centralisirten Bundesstaats berechnet und zum großen Theil mit preußischem Gelde eingerichtet, da Oestreich, im Besitz einer eignen Flotte, die Betheiligung ablehnte. Sollte nun etwa der Bundestag ein deutsches Admiralitätscollcgium zusammensetzen? Was aber die preußische Flotte betrifft, so vergesse man doch ja nicht, daß dasselbe Hannover, welches sich jetzt als Vorfechter der deutschen Einheit gcrirt, der Erwer¬ bung des Jahdebusens und namentlich der Communication desselben mit dem übri¬ gen preußischen Gebiet die ernstesten Schwierigkeiten in den Weg gelegt hat; Schwie¬ rigkeiten, die noch heute nicht überwunden sind, aber hoffentlich jetzt ihrer Erledi¬ gung cntgcgenschn. Bei diesen unbestimmten Vorstellungen des Publicums wendet man die gar nicht ungeschickte Taktik an, die preußische Politik der. Jahre 1850—1858 als ma߬ gebend sür Preußen zu bezeichnen und fortwährend daran zu erinnern, daß Preußen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/406>, abgerufen am 22.12.2024.