Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Bild italiemschell Wunder- und Klosterlebens.

Ungefähr zwanzig Stunden südöstlich von Rom, am westlichen Abhang
der Apenninen, aber noch mitten im Gebirge, liegt die Certosa (Karthause)
von Trisulti. Den Bergvorsprung, auf welchem sie erbaut ist, umbrausen
in tiefer Thalschlucht die beiden Quellbäche der Cosa, welche ihr Wasser un¬
weit Frosinone dem Sacco, dem Hauptnebenflusse des Garigliano, zuführt.
Ich hatte in dieser Karthause auf einem Streifzuge durch die abseits von der
Landstraße gelegenen Gebirge zwischen Neapel und Rom einige Tage gastfreie
Aufnahme gesunden. Daß ich überhaupt diese von Touristen leider so wenig
gekannte Gegend zu durchstreifen Gelegenheit fand, verdankte ich meinem
Glücksstern, der mich in der Benedictinerabtei Montecassinos mit zwei katho¬
lischen Geistlichen zusammenbrachte, welche gleich mir nach Rom ziehen woll¬
ten, ober auf außergewöhnlichem Wege. Mein Entschluß, mit ihnen zu reisen,
war bald gefaßt, weil ich mich schon lange sehnte, auch einmal einen Theil
der Landschaft des innern Italiens kennen zu lernen, und weil meine Reise
nach Montecassino, so wie mein dortiger Aufenthalt mich hatte vorausahnen
lassen, was an Großartigkeit und Wildheit hinter jenen Bergen sich bieten
würde, welche Sehnsucht erweckend bis dahin den Blick vor mir verschlossen
hatten. Meine neuen Reisegenossen reizte, wie ich sehr bald merkte, die
Nnturschönheit wenig; sie vermieden die große Straße aus rein ökonomischen
Gründen, indem sie statt der Nachtquartiere in der Locanda und statt des
Pranzo in der Trattorie das Obdach der Klöster und die Tafel der Mönche
vorzogen, welchen regelmäßig ihre Satzungen gebieten, die einkehrenden Frem¬
den, namentlich aber die Diener der Kirche und die Pilger, ohne Anspruch
"us Entgelt zu beherbergen und zu verköstigen, denn der Herr hat gesagt:
"Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen" (ReZuI-i Simeti
Kencxlietl, e.W. 53). Es ist kaum glaublich, mit welchen geringen Mitteln
"uf diese Weise die Diener der katholischen Kirche die Länder ihres Glaubens
durchziehen können, und wie sehr dadurch das Priesterthum an innerem Zu-


^renzboten II. 185,9, 36
Ein Bild italiemschell Wunder- und Klosterlebens.

Ungefähr zwanzig Stunden südöstlich von Rom, am westlichen Abhang
der Apenninen, aber noch mitten im Gebirge, liegt die Certosa (Karthause)
von Trisulti. Den Bergvorsprung, auf welchem sie erbaut ist, umbrausen
in tiefer Thalschlucht die beiden Quellbäche der Cosa, welche ihr Wasser un¬
weit Frosinone dem Sacco, dem Hauptnebenflusse des Garigliano, zuführt.
Ich hatte in dieser Karthause auf einem Streifzuge durch die abseits von der
Landstraße gelegenen Gebirge zwischen Neapel und Rom einige Tage gastfreie
Aufnahme gesunden. Daß ich überhaupt diese von Touristen leider so wenig
gekannte Gegend zu durchstreifen Gelegenheit fand, verdankte ich meinem
Glücksstern, der mich in der Benedictinerabtei Montecassinos mit zwei katho¬
lischen Geistlichen zusammenbrachte, welche gleich mir nach Rom ziehen woll¬
ten, ober auf außergewöhnlichem Wege. Mein Entschluß, mit ihnen zu reisen,
war bald gefaßt, weil ich mich schon lange sehnte, auch einmal einen Theil
der Landschaft des innern Italiens kennen zu lernen, und weil meine Reise
nach Montecassino, so wie mein dortiger Aufenthalt mich hatte vorausahnen
lassen, was an Großartigkeit und Wildheit hinter jenen Bergen sich bieten
würde, welche Sehnsucht erweckend bis dahin den Blick vor mir verschlossen
hatten. Meine neuen Reisegenossen reizte, wie ich sehr bald merkte, die
Nnturschönheit wenig; sie vermieden die große Straße aus rein ökonomischen
Gründen, indem sie statt der Nachtquartiere in der Locanda und statt des
Pranzo in der Trattorie das Obdach der Klöster und die Tafel der Mönche
vorzogen, welchen regelmäßig ihre Satzungen gebieten, die einkehrenden Frem¬
den, namentlich aber die Diener der Kirche und die Pilger, ohne Anspruch
"us Entgelt zu beherbergen und zu verköstigen, denn der Herr hat gesagt:
"Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen" (ReZuI-i Simeti
Kencxlietl, e.W. 53). Es ist kaum glaublich, mit welchen geringen Mitteln
"uf diese Weise die Diener der katholischen Kirche die Länder ihres Glaubens
durchziehen können, und wie sehr dadurch das Priesterthum an innerem Zu-


^renzboten II. 185,9, 36
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/107338"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Bild italiemschell Wunder- und Klosterlebens.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_860" next="#ID_861"> Ungefähr zwanzig Stunden südöstlich von Rom, am westlichen Abhang<lb/>
der Apenninen, aber noch mitten im Gebirge, liegt die Certosa (Karthause)<lb/>
von Trisulti. Den Bergvorsprung, auf welchem sie erbaut ist, umbrausen<lb/>
in tiefer Thalschlucht die beiden Quellbäche der Cosa, welche ihr Wasser un¬<lb/>
weit Frosinone dem Sacco, dem Hauptnebenflusse des Garigliano, zuführt.<lb/>
Ich hatte in dieser Karthause auf einem Streifzuge durch die abseits von der<lb/>
Landstraße gelegenen Gebirge zwischen Neapel und Rom einige Tage gastfreie<lb/>
Aufnahme gesunden. Daß ich überhaupt diese von Touristen leider so wenig<lb/>
gekannte Gegend zu durchstreifen Gelegenheit fand, verdankte ich meinem<lb/>
Glücksstern, der mich in der Benedictinerabtei Montecassinos mit zwei katho¬<lb/>
lischen Geistlichen zusammenbrachte, welche gleich mir nach Rom ziehen woll¬<lb/>
ten, ober auf außergewöhnlichem Wege. Mein Entschluß, mit ihnen zu reisen,<lb/>
war bald gefaßt, weil ich mich schon lange sehnte, auch einmal einen Theil<lb/>
der Landschaft des innern Italiens kennen zu lernen, und weil meine Reise<lb/>
nach Montecassino, so wie mein dortiger Aufenthalt mich hatte vorausahnen<lb/>
lassen, was an Großartigkeit und Wildheit hinter jenen Bergen sich bieten<lb/>
würde, welche Sehnsucht erweckend bis dahin den Blick vor mir verschlossen<lb/>
hatten. Meine neuen Reisegenossen reizte, wie ich sehr bald merkte, die<lb/>
Nnturschönheit wenig; sie vermieden die große Straße aus rein ökonomischen<lb/>
Gründen, indem sie statt der Nachtquartiere in der Locanda und statt des<lb/>
Pranzo in der Trattorie das Obdach der Klöster und die Tafel der Mönche<lb/>
vorzogen, welchen regelmäßig ihre Satzungen gebieten, die einkehrenden Frem¬<lb/>
den, namentlich aber die Diener der Kirche und die Pilger, ohne Anspruch<lb/>
"us Entgelt zu beherbergen und zu verköstigen, denn der Herr hat gesagt:<lb/>
"Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen" (ReZuI-i Simeti<lb/>
Kencxlietl, e.W. 53). Es ist kaum glaublich, mit welchen geringen Mitteln<lb/>
"uf diese Weise die Diener der katholischen Kirche die Länder ihres Glaubens<lb/>
durchziehen können, und wie sehr dadurch das Priesterthum an innerem Zu-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> ^renzboten II. 185,9, 36</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] Ein Bild italiemschell Wunder- und Klosterlebens. Ungefähr zwanzig Stunden südöstlich von Rom, am westlichen Abhang der Apenninen, aber noch mitten im Gebirge, liegt die Certosa (Karthause) von Trisulti. Den Bergvorsprung, auf welchem sie erbaut ist, umbrausen in tiefer Thalschlucht die beiden Quellbäche der Cosa, welche ihr Wasser un¬ weit Frosinone dem Sacco, dem Hauptnebenflusse des Garigliano, zuführt. Ich hatte in dieser Karthause auf einem Streifzuge durch die abseits von der Landstraße gelegenen Gebirge zwischen Neapel und Rom einige Tage gastfreie Aufnahme gesunden. Daß ich überhaupt diese von Touristen leider so wenig gekannte Gegend zu durchstreifen Gelegenheit fand, verdankte ich meinem Glücksstern, der mich in der Benedictinerabtei Montecassinos mit zwei katho¬ lischen Geistlichen zusammenbrachte, welche gleich mir nach Rom ziehen woll¬ ten, ober auf außergewöhnlichem Wege. Mein Entschluß, mit ihnen zu reisen, war bald gefaßt, weil ich mich schon lange sehnte, auch einmal einen Theil der Landschaft des innern Italiens kennen zu lernen, und weil meine Reise nach Montecassino, so wie mein dortiger Aufenthalt mich hatte vorausahnen lassen, was an Großartigkeit und Wildheit hinter jenen Bergen sich bieten würde, welche Sehnsucht erweckend bis dahin den Blick vor mir verschlossen hatten. Meine neuen Reisegenossen reizte, wie ich sehr bald merkte, die Nnturschönheit wenig; sie vermieden die große Straße aus rein ökonomischen Gründen, indem sie statt der Nachtquartiere in der Locanda und statt des Pranzo in der Trattorie das Obdach der Klöster und die Tafel der Mönche vorzogen, welchen regelmäßig ihre Satzungen gebieten, die einkehrenden Frem¬ den, namentlich aber die Diener der Kirche und die Pilger, ohne Anspruch "us Entgelt zu beherbergen und zu verköstigen, denn der Herr hat gesagt: "Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen" (ReZuI-i Simeti Kencxlietl, e.W. 53). Es ist kaum glaublich, mit welchen geringen Mitteln "uf diese Weise die Diener der katholischen Kirche die Länder ihres Glaubens durchziehen können, und wie sehr dadurch das Priesterthum an innerem Zu- ^renzboten II. 185,9, 36

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/291>, abgerufen am 22.12.2024.